UNSERE SCHÜLER

Tinas Challenge: Uttanasana

Tina hat 2018 einer Haltung den Kampf angesagt: Uttanasana. Die Vorwärtsbeuge im Stehen ist für sie – wie für viele andere auch – eine große Herausforderung. Wer endlich mit den Händen den Boden erreicht, ahnt, wie beruhigend und wohltuend die Übung sein kann. „Nach dem Asana fühlt man sich ruhig und abgekühlt. Die Augen beginnen zu glänzen und die Gedanken finden Frieden“, schreibt BKS Iyengar in „Licht auf Yoga“, woher übrigens auch das schwarz-weiße Titelbild stammt. – Doch bis man die Dehnung genießen kann, ist es oft ein langer Weg und Uttanasana manchmal eine Qual.

Die Sanskritsilbe „Ut“ bedeutet intensiv, „tan“ heißt strecken, „asana“ ist die Haltung. „Vorwärtsstreckung“ ist auch der bessere Begriff, denn es geht darum, die Wirbelsäule zu dehnen und zunächst mit geradem Rücken so tief wie möglich zu kommen, um die Bandscheiben nicht zu belasten.

Warum Uttanasana?

„Uttanasana gehört für mich zu den Basics“, meinte Tina zum Jahreswechsel, als sie die Idee für die Challenge hatte. „Es öffnet die Rückseite. Ich glaube, wenn ich im Stehen tiefer nach unten komme, hilft mir das auch beim Herabschauenden Hund oder bei der Vorwärtsbeuge im Sitzen. Außerdem werden der Sonnengruß und alle Flows im Yoga viel leichter. Das macht dann alles mehr Spaß.“

Tina leidet seit ihrem zwölften Lebensjahr an Kopfschmerzen und Migräneattacken. Mit 30 wurde es so schlimm, dass sie einen körperlichen Zusammenbruch erlitt. Ihre Physiotherapeutin riet ihr zu anderer Bewegung als bisher, um ihre Verspannungen zu lösen. Sie sollte nicht so hart üben wie beim Fitness- oder Lauftraining. Lieber weicher. Dehnen und entspannen, um den Körper sanft geschmeidiger zu machen. So fand sie zum YogaKraftwerk.

Zu ungeduldig für Yoga?

„Durch Yoga habe ich ein anderes Körpergefühl bekommen und meine Bewegungsabläufe haben sich verbessert. Aber es war auch ernüchternd zu erfahren, was alles (noch) nicht geht“, so Tina. Vorwärtsbeugen zum Beispiel.

Tina geht inzwischen achtsamer mit sich um. Versucht bewusst zur Ruhe zu kommen. Hat es auch mit Meditation versucht. Noch so eine Herausforderung: „Wenn Enge im Körper herrscht, ist es extrem schwer loszulassen.“ Ich staune, wie reflektiert sie darüber berichtet und wie schön sie das in Worte packen kann.

Manche Asanas helfen ihr zu entspannen. Sie hängt gern über Kopf im Seil und mag gestützte brustöffnende Haltungen. Die Suptas:

Supta Virasana, Supta Baddha Konasana, Supta Svastikasana

 

Aber Yoga braucht Zeit. Es ist leichter Kraft aufzubauen, als den Körper flexibler zu machen. Tina ging es nicht schnell genug und sie war schon fast am Aufgeben. „Ich habe meine innere Haltung noch nicht abgelegt. Ich bin zu ehrgeizig. Ich will Fortschritte sehen“, sagte sie zu mir im Januar.

Beim Yoga geht es nicht um Ehrgeiz, aber durchaus um Entwicklung. Und wenn die Entwicklung stagniert und man sich damit nicht zufrieden geben möchte, muss man etwas an seiner Praxis ändern: Mehr üben. Oder anders üben. Länger in den Haltungen bleiben. Oder ganz im Gegenteil: mehr im Flow üben. Die Yogarichtung wechseln. Den Lehrer wechseln. Einen neuen Zugang finden. Vielleicht, indem man sich selbst eine Challenge setzt, wie Tina. Und so treffen wir uns einmal monatlich außerhalb der regulären Kurse im Studio, um ihr Uttanasana zu verbessern.

Der Januar

Der Termin im Januar war in erster Linie eine Bestandsaufnahme. Nachdem sie wegen der Geburt ihrer kleinen Tochter Leni im August letzten Jahres ein paar Monate pausiert hat, kommt Tina inzwischen wieder ein- bis zweimal die Woche in unsere Kurse. Entweder zum Yin Yoga bei Janina oder zum Iyengar Yoga bei mir. Außerdem übt sie zu Hause mit YouTube-Videos. Vor allem Vinyasa-Flows, Dreh- und Dehnungshaltungen. Viel mehr geht gar nicht, Yoga ist schließlich nicht alles.

Wir gehen ein paar Haltungen durch. Machen Fotos.

Die Beinrückseiten sind bei Tina nicht verkürzt. Sie muss eher aufpassen, dass sie sie nicht überstreckt. Tina scheitert an der Beugung in der Hüfte. Es kostet sie sehr viel Anstrengung, bei einem 90°-Winkel zwischen Ober- und Unterkörper den Rücken gerade oder gar konkav zu bekommen. Also das Kreuzbein und die Schulterblätter nach innen zu saugen und das Brustbein zu heben.

Sie bekommt von mir Hausaufgaben, um das zu üben: in Ardha Uttanasana (die halbe Vorwärtsbeuge mit geradem Rücken, während die Hände auf Klötzen erhöht sind), Prasarita Padottanasana (die Vorwärtsbeuge in der Grätsche, zunächst ebenfalls konkav), Paschimottanasana (die Vorwärtsbeuge im Sitzen – mit Gurt, um an die Füße zu kommen), Adho Mukha Svanasana (der Herabschauende Hund)…

Paschimottanasana – die „Dehnung der Westseite“, wie es übersetzt heißt

Adho Mukha Svanasana – der Herabschauende Hund

Der Februar

Tinas Fortschritte sind sehr tagesformabhängig. Manchmal ist alles super, manchmal könnte sie verzweifeln. Morgens zu üben findet sie grausam, weil sie sich dann noch so steif fühlt. Normal.

„Am meisten bringt mich die halbe Vorwärtsbeuge mit Klötzen unter den Händen voran“, hat Tina festgestellt. Die Vorwärtsbeuge in der Grätsche mag sie überhaupt nicht, hat aber erkannt, dass sie ihr weiterhilft. Also übt sie sie fleißig. Mit Erfolg.

Prasarita Padottanasana – die Vorwärtsbeuge in der Grätsche

Tina beginnt ihre Homepractice jetzt immer mit dem Sonnengruß, um den Körper erst einmal geschmeidiger zu machen. Wir arbeiten mit Gurt und Klotz, um ihren Rücken konkav zu bekommen. Ich habe das Gefühl, dass es ihr inzwischen leichter fällt, in Vorwärtsstreckungen den Brustkorb zu öffnen und ihren verspannten Nacken zu dehnen.

Der März

Für den März habe ich für Tina eine Sequenz zusammengestellt, in der Uttanasana die sogenannte Peak-Pose darstellt. Also den Höhepunkt, auf den sie sich im Laufe der Sequenz mit anderen Haltungen vorbereitet. Das macht die Vorwärtsbeuge leichter und bringt schneller kleine Erfolgserlebnisse.

Uttanasana – die Vorwärtsbeuge im Stehen

Tina ist gut drauf. Hat ihre Challenge sogar noch etwas ausgeweitet und übt jetzt auch regelmäßig Chaturanga Dandasana, eine armgestützte Haltung, die Teil des Sonnengrußes ist.

 

Tina ist stärker geworden. Die Fortschritte sind unverkennbar. Und wir haben erst März. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht…

Eure Nici

 

About The Author

Nici

Silvester 2006 habe ich mir Punkt Mitternacht beim Feuerwerk eine Zigarette angezündet und bekam prompt einen Asthmaanfall. So wurde ich zum Nichtraucher - ich hatte ohnehin keinen Bock mehr drauf, zunehmend zum Rauchen vor die Tür geschickt zu werden. Um durchzuhalten und mich abzulenken (und nicht zuzunehmen), begann ich mit Sport und Bewegung. Ich habe viel ausprobiert, aber Yoga hat mich von Anfang an gepackt und nicht wieder losgelassen. Inzwischen bin ich zertifizierte Iyengar Yoga Lehrerin und Ayurveda Lifestyle Coach, habe meine Arbeit als TV-Producerin an den Nagel gehängt und ein eigenes Yogastudio eröffnet. Das YogaKraftwerk. Mein ganzer Stolz.

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