MEINE FAMILIE

Yoga & Ayurveda bei Traurigkeit

„Du darfst nicht weinen, wenn du uns besuchen kommst“, hat mir die Lebensgefährtin meines Vaters eingeschärft, kurz nachdem wir von seiner tödlichen Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs erfahren haben. „Das verkraftet er nicht.“ Aber wie kann man verhindern bitterlich zu weinen, wenn einem der Arsch voll Tränen steht? Ich wollte mich ihm zuliebe zusammenreißen, hab eine Beruhigungstablette genommen, mich mit Lavendel eingeschmiert und sogar recherchiert, wie ich Tränen unterdrücken kann (die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger fest drücken). Es hat geklappt, obwohl mein Papa seit unserem letzten Treffen nur wenige Wochen zuvor bestimmt 15 kg verloren hatte und sichtlich geschwächt war. Es hat mir das Herz gebrochen, ihn so schnell schwinden zu sehen, aber ich hab nicht geweint. Zumindest nicht in seiner Gegenwart.

Seine erste Frage an mich war, ob ich seine Musikliste parat habe. Papis Playlist… Vor etwa 15 Jahren hatte sich mein Vater von mir eine selbst gebrannte CD mit all seinen Lieblingsliedern gewünscht. Von den vielen coolen Songs aus seiner Jugendzeit, die auf dem handgeschriebenen Zettel standen, waren 4 rot angekreuzt:

  • The Lords „Poor Boy“
  • The Rolling Stones „Paint it, Black“
  • The Byrds „Mr. Tambourine Man“
  • The Moody Blues „Nights in White Satin“

Die sollten später mal auf seiner Beerdigung gespielt werden. Er hat mich seither immer wieder daran erinnert und ich wusste immer, wo die Playlist abgelegt war. Was sich über viele Jahre zum Running Gag zwischen uns entwickelt hatte, wurde nun sprichwörtlich todernst. „Manch einer wird das lächerlich finden. Aber für mich ist das wirklich wichtig.“ Als ob ich das nicht wüsste.

Die Ärzte gaben ihm noch ein paar Monate. Er hat die Zeit genutzt, um ein paar bürokratische Sachen zu regeln, seinen 71. und damit letzten Geburtstag zu feiern und sich dabei von seinen engsten Freunden und der Familie zu verabschieden, Zwist beizulegen und Frieden zu finden – und eben die eigene Beerdigung zu organisieren. Mein Vater hat seine Trauerrednerin selbst ausgesucht und sogar das Gasthaus organisiert, in dem im Anschluss die Trauergemeinde zusammenkommen sollte. Nur 3 Wochen nach der Diagnose war er tot. Ich kann es immer noch nicht fassen.

Gestern war die Trauerfeier. Unglaublich persönlich, cool, schmerzhaft und gleichzeitig wunderschön. Genau, wie er sie haben wollte…

In einer solchen Zeit des Ausnahmezustandes, in der alles unwirklich und vieles nichtig erscheint, hält mich die Yogapraxis über Wasser. Ich kann mich nicht immer dazu aufraffen, aber sie beruhigt und erdet mich und bringt mich schließlich wieder in Spur. Mir hilft vor allem das längere Verweilen in Umkehrhaltungen und eine ruhige, aber intensive und fordernde Sequenz, um das Gedankenkarussell zu stoppen und Kraft zu schöpfen. David Jacobs hat eine „Iyengar Yoga Sequenz bei Trauer“ geteilt, die einst Geeta Iyengar unterrichtet hat. Sie ist eigentlich auf 3 Stunden angelegt. Eine komprimierte Version davon war genau das, was ich gebraucht habe:

  • 10 min Setu Bandha Sarvangasana über ein Querbolster (gestützte Schulterbrücke)
  • 4x 30 sec Adho Mukha Vrksasana (Handstand)
  • 10 min Dwi Pada Viparita Dandasana über Stuhl, Beine hüfthoch parallel zum Boden (gestützte Rückbeuge)
  • Bharadvajasana auf dem Stuhl (Drehhaltung)
  • 4x 30 sec Adho Mukha Vrksasana (Handstand)
  • 7 min Rope Sirsasana oder Salamba Sirsasana (kopfüber im Seil hängen oder Kopfstand)
  • 10 min Sarvangasana über Stuhl (Stuhl-Schulterstand)
  • 5 min Halasana über Stuhl (Pflug)
  • 5 min Supta Virasana (zwischen Füßen sitzen und zurücklegen)
  • Je 5 min Supta Svastikasana (liegen mit gekreuzten Beinen)
  • 10 min Supta Baddha Konasana (liegen mit Fußsohlen zusammen, Knie auseinander)
  • 10 min Savasana auf dem Bolster (Endentspannung)

Pranayama:

  • 3 Zyklen Ujjayi
  • Viloma I & II

Auch der Ayurveda gibt mir für besondere Zeiten eine Menge Werkzeuge in die Hand: Es sind die kleinen Routinen, die ich mir im Laufe der Jahre angewöhnt habe, die mir Halt und meinem Tag einen guten Start geben – auch wenn es hart wird. Warmes Wasser am Morgen, Ölziehen, Zunge schaben, Nasenspülung. Dauert alles in allem nur ein paar Minuten und spült alles Übel raus. Ich bin nicht perfekt und gerade beim Essen auch oft total maßlos. Aber ich weiß, wie ich den Schalter wieder umlegen kann, bevor es mich völlig runterzieht: Porridge am Morgen, Essenpausen von 4-5 Stunden zwischen den Mahlzeiten, viel grünes Gemüse, Ingwer, Zimt, Kardamom, Kurkuma. Kein Brot, keine Milchprodukte, nix Süßes. Moderat wäre es in Ordnung, aber moderat kann ich nicht.

Yoga & Ayurveda dienen in vielerlei Hinsicht der Prävention, doch sie schützen uns letztendlich auch nicht vor Schicksalsschlägen, Verlust oder Krankheit. Sie helfen im Umgang damit. Die regelmäßige Praxis in guten Zeiten schenkt uns Wissen und Routinen, mit denen wir uns in schlechten über Wasser halten können. Was für ein wertvoller Schatz.

Und wenn auch das nicht reicht, beginne ich zu schreiben…