GASTBEITRAG

Das Kreuz mit dem Rücken

Von Anne Leiss, Feldenkrais®-Practitioner

Über 80% der Deutschen haben mindestens einmal im Leben Rückenschmerzen. Oftmals kommen diese und verschwinden wieder – wie ein Schnupfen. Jedoch ca. ein Drittel der Bevölkerung plagt sich mit chronischen oder wiederkehrenden Rückenproblemen und sogar jeder achte Deutsche hat täglich Beschwerden. In Bezug auf Anzahl der Tage und Fälle von Arbeitsunfähigkeit stehen Rückenschmerzen an erster Stelle und führen wie keine andere Erkrankung zu einer Frühberentung und zu hohen Kosten.

Doch trotz dieser großen Verbreitung ist es erstaunlich, dass sich bis Ende des letzten Jahrtausends nur 0,2% der medizinischen Studien mit diesem Thema beschäftigten (Egon Jonsson). Erst seit 2000 ändert sich die Landschaft wissenschaftlicher Untersuchungen in den Bereichen der Medizin und Psychologie.

Rückenschule – alte Schule

Wenn es um die Linderung und Vorbeugung von Rückenschmerzen ging, galt lange Zeit die Rückenschulbewegung als DIE Maßnahme. Ihr ist es zu verdanken, dass die Bedeutung von Rückenschmerzen ins öffentliche Bewusstsein getragen und viel diskutiert wird. Jedoch in jüngster Zeit ist sie vom Thron gestürzt. Insbesondere bei unspezifischen, chronischen Rückenschmerzen ist ihr Beitrag zur Lösung in die Kritik geraten.

Eine zu starke Beschäftigung mit einer stets rückengerechten Haltung kann sogar kontraproduktiv wirken. In einer im Dezember 2005 auf einem Fachkongress vorgestellten Studie der Bertelsmann Stiftung lautet das Fazit: „Traditionelle Rückenschulen helfen Patienten nur wenig dabei, Bewegungsangst abzubauen und eine positive Einstellung zum eigenen Rücken zu entwickeln. Anstatt zur Aktivität zu ermuntern, legen sie zu viel Wert auf die Schulung rückengerechten Verhaltens und können damit sogar Bewegungsangst fördern.“

Das Problem des alten Erklärungsmodells ist, dass es auf Störungen in Bandscheiben, Wirbelkörper, Wirbelgelenke, Sehnen, Muskeln ausgerichtet ist. Es vermittelt den irrigen Eindruck, dass bei genauer Diagnostik EIN Bereich im Rücken die Schmerzen verursacht. Mittlerweile belegen viele Studien, dass wiederkehrende Rückenschmerzen – viel seltener als angenommen – eine direkte Folge von Abnutzungserscheinungen an den  Bandscheiben, den Wirbeln und ihren Gelenken sind.

Muckis gegen Schmerzen?

Fitnessstudios setzen auf leistungsorientierte, muskelaufbauende Maßnahmen. Das ist grundsätzlich gut. Aber es ist ein fataler Irrtum zu glauben, dass Bewegungsschmerzen bei vermehrter Kraftanstrengung verschwinden. Muskulatur, die sich über lange Zeit in einem erhöhten Spannungszustand befindet (wie es bei chronischen Rückenschmerzen der Fall ist), kann nicht durch starke und lang gehaltene Kräftigungs- und Dehnungsübungen wieder in einen „gesünderen“ Zustand gebracht werden. Vielmehr kann übermäßiges Bewegen den Rücken destabilisieren und damit den Weg für ernsthafte Rückenprobleme ebnen. Hinzu kommt, dass die Betroffenen ihren Rücken fälschlicherweise als unveränderbar geschädigt erleben können.

Die Entwicklung von Rückenschmerzen ist weit mehr und wird durch eine spezifische Eigendynamik bestimmt, welche sich nur selten auf eine klar umrissene Ursache zurückführen lässt. Was einmal der Auslöser für die Schmerzen gewesen ist, spielt für die Chronifizierung eine untergeordnete Rolle. Verantwortlich ist eine Störung, die körperliche Strukturen genauso wie komplexe Prozesse der Schmerzbewertung betrifft. In vielen Studien wurde inzwischen nachgewiesen, dass eine Chronifizierung von Schmerzen mit einer „Ausbreitung der Schmerzen auf mehreren Ebenen einhergeht – der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene.“ (Ljutow, Nagel 2005).

Wie übe ich richtig?

Was kann Mann bzw. Frau nun tun, um wiederkehrenden Rückenschmerzen entgegenzuwirken und ihnen vorzubeugen? Was kann helfen?

Eine mögliche Antwort lautet: ein multidimensionaler Ansatz mit dynamischen Übungen, einer Verhaltenstherapie und einem individuellen Behandlungsprogramm. Konkret heißt das:

  • Übungen, die über einfache, angenehme und möglichst ganzheitliche Aktivitäten Bewegungsspielräume erweitern.
  • Verhaltenstherapeutische Ansätze mit den Zielen bspw. die Fixierung auf den Rücken abzubauen, den eigenen Mut wiederzufinden, Resignation gegenüber dem Schmerz abzubauen, für den beruflichen wie privaten Alltag Entlastung zu erlernen, Spaß an der regelmäßigen körperlichen Aktivität zu erfahren.
  • Multidisziplinäre Maßnahmen, die sich durch ein hohes Maß an Individualisierung auszeichnen und verschiedene Therapieansätze verbinden. So kann jede Behandlung z. B. eine medikamentöse oder andere Schmerztherapie durch körperliche Übungen begleitet werden und diese erfolgreich unterstützen. (VIVEKA Heft 38)

 

Diese Erkenntnisse unterstützen meine persönliche Empfehlung, nämlich die Kombination von Feldenkrais und Yoga.

Auf den ersten Blick gehen die Ziele der beiden Bewegungsmethoden kaum miteinander. Vereinfacht gesagt, geht es bei Yoga um das Erreichen einer bestimmten Haltung / Dehnungsposition, also um das Erreichen eines bestimmten Ziels. Dagegen bei Feldenkrais ist der Weg das Ziel.

Doch genau in dieser Kombi liegt der Reiz.

Was verbindet Yoga und Feldenkrais?

Beides, Feldenkrais und Yoga, helfen bei der Bewältigung von Rückenschmerzen durch einen besonderen Umgang mit dem Körper.  Beiden ist es fremd, einen einzelnen Körperbereich oder gar Muskel isoliert zum Gegenstand einer Übung zu machen. Mit jeder Übung wird der ganze Körper angesprochen. Durch konzentrierte Bewegungsabläufe, in enger Verbindung mit dem Atem, wird ein ganzheitliches Erleben erreicht.

Die Praxis lebt vom Vertrauen in die Möglichkeit, durch eigenes Zutun positive Veränderungen zu bewirken. Dieses Vertrauen in die eigene Kraft (im Yoga: Iraddha) ist eine wesentliche Komponente für einen Erfolg.

Regelmäßigkeit im Üben ist jeweils eine Voraussetzung für eine positive Wirkung auf Rückenprobleme. Unterstützung erfährt sie, wenn das Üben Spaß macht, wenn die Erfahrungen angenehm sind. Hierfür ist die Vielfalt der jeweiligen Übungen schier endlos und dazu prädestiniert, Übungen für das individuelle Problem zu finden, die dem eigenen Körper Bewegung und Aktivität ohne Schmerz erlauben.

Über die spezielle Wirkweise von Yoga, kann Euch Nici jede Menge berichten. Nun will ich mich meiner Leidenschaft, der Praxis der Feldenkrais-Methode widmen:

Das Besondere an der Feldenkrais-Praxis

Bei der Feldenkrais-Methode steht die Bewegungsqualität im Vordergrund. Hier geht es während einem sehr langsamen und sanften Ausführen von Bewegungen darum, herauszufinden, welche Muskeln aktiv sind. Meist sind es nämlich zu viele Muskeln, die arbeiten / sich anstrengen. Diese überflüssigen Anstrengungen werden gesucht, um sie abstellen zu können. Es geht um die Frage, was ist wirklich wichtig für diese Bewegung und was ist überflüssig?

Ziel ist es, Unmögliches möglich, Mögliches leicht und Leichtes elegant zu tun.

Die kleinen und langsamen Bewegungen erscheinen zunächst irritierend. Wir sind mit gymnastischen und anstrengenden Übungen groß geworden, und nun soll genau das Gegenteil Erfolg versprechen? Der Grund ist einfach erklärt: Die bewusste Wahrnehmung der kleinen, langsamen Bewegung nimmt über das Nervensystem mit der Schaltzentrale, unserem Gehirn, Kontakt auf. Hier ruht der Plan einer gewohnten (und möglicherweise unangemessenen) Bewegung, und hier entsteht der Plan für eine neue Bewegung.

Eine Feldenkrais-Stunde hat etwas von einer Entdeckungsreise: So wie Kolumbus die (neue) Welt entdeckte, lassen sich Bewegungen entdecken. Die aufmerksame Beobachtung der reduzierten (auf das Ausmaß und die Geschwindigkeit) Bewegungen zeigt uns auf, welches Echo sie wo in uns auslösen.

Die umfassende Bewusstheit ist die Grundlage, die eigenen Bewegungsmuster zu erkennen und gegebenenfalls zu verändern. Das Ausprobieren von verschiedensten Varianten, „das Differenzieren“ wie wir Feldenkrais-Lehrer sagen, lässt uns erfahren, dass wir mehr Möglichkeiten, mehr Alternativen, zur Verfügung haben.

Die bewusste Ausführung konfrontiert den Feldenkrais-Praktizierenden mit seiner persönlichen Strategie: Wie schnell gehe ich wie weit? Wann gebe ich auf? Wo übergehe ich einfach Hindernisse? Akzeptiere ich meine Asymmetrie oder fällt es mir schwer? Was tue ich, wenn ich (kurz) nicht weiter weiß?

Dr. Moshé Feldenkrais war überzeugt „sich selbst zu erkennen, ist das Wichtigste, was ein Mensch für sich tun kann“. Und der große Yogi Ramana Maharshi widmete sich zeit seines Lebens (fast zur parallelen Zeit) der Frage: „Wer bin ich?“

Probiert es! Lernt die Feldenkrais-Methode kennen, ich garantiere Euch eine Erleichterung und Verbesserung Eurer Yogapositionen durch das Lernen, dass die Bewegungsabläufe weniger Anstrengung bedürfen, als ihr denkt!

Mein nächster Feldenkrais-Kurs im YogaKraftwerk beginnt am Donnerstag, den 12. April:

https://www.yogakraftwerk.de/Studio/Aktuelles/Aktuelles.php?we_objectID=143

Eure Anne!