BERUF & BERUFUNG

Vom TV- ins Yogastudio

Ich war Redakteurin und später Chefin vom Dienst bei der Talkshow Arabella Kiesbauer. Meine erste Arbeit nach dem Studium. Der härteste und aufregendste Job meines Lebens. Nirgends hab ich so viel gelernt.

Wir haben uns provokante Talkthemen ausgedacht, interessante Gäste dafür gesucht, Moderationen geschrieben, Einspieler gedreht und geschnitten, positive und negative Überraschungen geplant, Leute aufeinander gehetzt, wiedervereint oder versöhnt. Wir haben uns die schaurigsten Geschichten erzählen lassen und auch nachts um 2 noch potentielle Talkgäste angerufen, wenn jemand für die Aufzeichnung am nächsten Tag abgesprungen war. Wir haben zur Urlaubszeit am Ballermann, auf Ibiza oder in Holland am Strand produziert. Ich habe für Arabella in London gedreht und bei allen meinen Sendungen einen Herzstillstand erlitten, weil ich nie wusste, was passieren würde. Wir haben Personen aufgespürt, die seit 10 Jahren als vermisst galten. Wir hatten die dicksten und die größten Menschen im Studio. Und siamesische Zwillinge. Ich bin für die Sendung mit einer Kamera am Oberschenkel in der Schweiz die 220 Meter hohe Staumauer runtergesprungen wie James Bond in Goldeneye. Meine Kollegen waren meine engsten Freunde, denn wir hatten gar keine Zeit andere kennenzulernen. Es waren auch wirklich tolle Leute – sie sind es noch. Wir waren ein eingeschworenes Team. Mit einem schrecklichen Image.

Als Trash-TV verrissen

Für eine Talkshow zu arbeiten muss so ähnlich sein, wie für die BILD zu schreiben: Jeder kennt es, aber alle rümpfen die Nase. Unsere Arbeit wurde von den vermeintlich seriösen Medien verrissen, aber selbst in meiner Familie und im Freundeskreis außerhalb des Jobs war das Echo gespalten. Das muss man aushalten können, wenn man ständig zu hören bekommt, dass man Trash produziert. Es hat mich immer sehr geärgert, aber wie sollte es auch anders sein?

Als ich den Job damals bekommen habe und meinen Schwiegereltern stolz davon erzählte, machten sie freudestrahlend den Fernseher an, um zu sehen, was das für eine Sendung ist, für die ich arbeiten wollte. Es war kurz nach 14 Uhr und Arabella hielt auf ProSieben gerade einen riesigen Dildo in die Kamera und moderierte das Thema an: „Selbstbefriedigung – Lust oder Last?“…

Mein Freund hat sich während der gesamten Zeit, die ich für das Format Arabella gearbeitet habe, nicht eine einzige Sendung von mir angesehen. Obwohl ich auf einige richtig stolz war. Er hat sich erst in meinem 7. Jahr bei Arabella mal mit in die Regie gesetzt und mir bei der Arbeit zugeschaut. Dabei ist so eine Sendungsaufzeichnung nun wirklich eine interessante Sache.

Mehr als 15 Jahre Nachmittagsfernsehen

Ich blieb dem Nachmittagsfernsehen treu, weil es mir Spaß gemacht hat und in Zeiten von projektbezogenen Verträgen eine lückenlose Anstellung garantierte. Nach dem Talk kam für mich Scipted Reality. Es ist eine Form von Unterhaltungsgenre, das damals ebenfalls eine riesige Nachfrage hatte. Imagetechnisch war meine Arbeit für Dr. Verena Breitenbach mein Tiefpunkt. Nicht zuletzt dank Stefan Raab. Aber dafür kannte die Sendung auch jeder. (Ich hatte meinem Freund ein Breitenbach-Crew-T-Shirt geschenkt und als er damit spaßeshalber bei seiner Arbeit an der Rennstrecke herumlief, bekam er von der Tribüne Standing Ovation…) Es folgten für mich Das Geständnis und schließlich Richter Alexander Hold, K11, Im Namen der Gerechtigkeit – zum Glück mit deutlich besserem Ruf. Die letzten Jahre war ich für die Formate als Producer tätig.

Und ich bereue keinen einzigen Tag. Ich weiß, was vor und hinter der Kamera geleistet wurde. Arabella Kiesbauer mag polarisieren, aber sie ist die begabteste Moderatorin, die ich kenne. Wenn alles schief gelaufen war, konnte sie trotzdem eine tolle Sendung draus machen. Alexander Hold hat immer extrem viel Wert darauf gelegt, dass die auf 45 Minuten reduzierten fiktiven Verhandlungen in sich logisch und aus der rechtlichen Warte inhaltlich einwandfrei waren. Staatsanwalt und Verteidiger haben ihr Plädoyer stets selbst geschrieben. Sie sind ja auch im wahren Leben Rechtsanwälte. Und alle wussten, dass die Realität viel absurdere Fälle hervorbringt, als wir uns hätten ausdenken können.

Der fehlende Baustein zur beruflichen Erfüllung

Ich habe das große Glück, dass ich immer – schon bei meinen Ferien- und Nebensjobs als Schülerin und Studentin – mit Aufgaben Geld verdienen konnte, die ich auch wirklich gern gemacht habe. Trotzdem hat mir irgendwann etwas gefehlt. Rückblickend ging es damit los, dass ich mich nach ehrenamtlichen Aufgaben umgesehen hatte, obwohl ich beruflich sehr eingespannt war.  Ich spielte mit dem Gedanken vereinsamten Bewohnern eines Altenheims Gesellschaft zu leisten, aber meine Arbeitszeiten passten nicht zu den Besuchszeiten. Ich war eine ganze Weile Lesefuchs und habe benachteiligten Kindern in München regelmäßig vorgelesen. – Und schließlich habe ich im Münchner Frauentherapiezentrum Yoga unterrichtet. Dabei konnte ich erleben, wie sehr die kleine Gruppe von misshandelten oder abhängigen Frauen von Yoga profitierte. Wie gut ihnen so eine Yogastunde tat. Ich hatte damit eine Aufgabe gefunden, die nicht nur Spaß machte, sondern auch: Sinn.

Das war der Auslöser für meinen beruflichen Neustart. Von da an hat sich alles wie von selbst gefügt und in sehr kurzer Zeit zu meinem eigenen Yogastudio, dem YogaKraftwerk, geführt. Für die Menschen, die Zeit, die Erfahrungen während meiner Fernsehlaufbahn bin ich unglaublich dankbar. Ich möchte sie nicht missen. Vieles von dem, was ich damals gelernt habe, hilft mir heute mein Studio zu betreiben. Und selbst wenn ich mich heute für keine Zuschauerquote mehr rechtfertigen muss, so möchte ich doch auch meine Yogaschüler immer gut unterhalten.

About The Author

Nici

Silvester 2006 habe ich mir Punkt Mitternacht beim Feuerwerk eine Zigarette angezündet und bekam prompt einen Asthmaanfall. So wurde ich zum Nichtraucher - ich hatte ohnehin keinen Bock mehr drauf, zunehmend zum Rauchen vor die Tür geschickt zu werden. Um durchzuhalten und mich abzulenken (und nicht zuzunehmen), begann ich mit Sport und Bewegung. Ich habe viel ausprobiert, aber Yoga hat mich von Anfang an gepackt und nicht wieder losgelassen. Inzwischen bin ich zertifizierte Iyengar Yoga Lehrerin und Ayurveda Lifestyle Coach, habe meine Arbeit als TV-Producerin an den Nagel gehängt und ein eigenes Yogastudio eröffnet. Das YogaKraftwerk. Mein ganzer Stolz.

4 comments

  1. 12. Januar 2018 at 22:51

    Mensch Nic, was für ein schöner Artikel!
    Ich bin immer wieder beeindruckt, von deiner social media Arbeit, deinen Fotos und dem Yoga, das Du verkörperst, mit dem Du ansteckst.
    Bleib, wie Du bist. Ich wünsche Dir viele weitere tolle Jahre.

    1. 13. Januar 2018 at 09:54

      Vielen Dank, liebe Jasmina! Das kann ich nur zurückgeben. Ich habe verfolgt, wie liebevoll Du Dein eigenes neues Studio (www.mattenliebe.de) gerade aufbaust, und finde Deine Ideen und Deine Begeisterung super. Ich glaube, wir ticken ganz ähnlich. Und vielleicht fällt uns auch mal ein gemeinsames Projekt ein.

  2. Esther

    13. Januar 2018 at 11:29

    Wow Nici, vielen Dank für diesen Einblick in dein Leben! Toll geschrieben und sehr spannend zu lesen ❤️ Fernsehen war noch nie meine Lieblingsbeschäftigung aber entgangen ist mir das Nachmittagsprogramm trotzdem nicht. Diese Talkshows haben einen Zugang zu Menschen gewährt, die man sonst nie hätte kennenlernen können. Und durchaus wurden auch Vorurteile über Menschen mit manch befremdlichen Lebensstilen aus dem Weg geräumt.

    Die Gerichtsshows liefen bei meiner Oma, die bei uns im Haus gelebt hat. Da ist mir allerdings Barbara mit den feuerroten Haaren noch am meisten in Erinnerung geblieben ? Es war ganz amüsant, ab und an mitzuraten, wer der Bösewicht ist. Und auch der ein oder andere Laienschauspieler war sehr unterhaltsam ?

    Die Arbeit hinter den Kulissen war sicher kein Zuckerschlecken und mit dem eigenen Gewissen bestimmt nicht immer bedenkenlos zu vereinbaren. Ich kann verstehen, dass du nach vielen turbulenten Jahren einen Ausgleich gesucht hast und bin sehr froh, dass du mit dem Yogakraftwerk unser „Ländle“ bereicherst uns unsere Yogastunden unterhaltsam machst ?

    Und für alle, die sich mittags gerne berieseln lassen, habe ich einen tollen Tipp: Statt anderen Menschen beim Streiten oder Kinder kriegen zuzugucken, könnte man seine Zeit auch sinnvoller nutzen. Zum Beispiel mit Yoga üben ? Wir wurden mittags für mindestens 1 Stunde vor die Tür gesetzt. Radeln, Skaten, im Garten spielen. Früher fand ich das manchmal echt blöd. Heute sage ich: Danke Papa! ?

    1. 13. Januar 2018 at 12:48

      Danke, liebe Esther! Super Papa! 😉

Geht es Dir ähnlich? Was sind Deine Erfahrungen? Hast Du Fragen? Immer raus damit!