YOGA-EVENTS

Iyengar Yoga Convention 2018

Uttanasana. Wir stehen hüftbreit in der Vorwärtsbeuge. Die Beine sind gestreckt, der Oberkörper hängt nach unten und wir verlagern langsam das Gewicht. Mal ein wenig auf das rechte Bein, mal auf das linke. Bis wir ganz zentriert sind. Erst dann längen wir den seitlichen Rumpf an der Taille, an den Rippen, unter den Achselhöhlen. Die Wirbelsäule wird lang und länger. Es vergehen etliche Minuten, doch die Zeit steht still. Wir sind mehr als 300 zertifizierte und angehende Iyengar Yogalehrer in der Wiener Stadthalle, aber man hört keinen Ton. Die Konzentration auf die Streckung der Wirbelsäule weitet das Bewusstsein. Das ist Yoga. Es ist wie „zu Hause ankommen“.

So beschreibt es Birjoo Mehta, unser Lehrer an diesem Pfingstwochenende auf der Iyengar Yoga Convention in Wien, und das trifft es genau. Wie oft gelingt mir das bei meiner eigenen Praxis? Ich übe viel und es tut mir immer gut, aber wie oft kann ich wirklich völlig in die Haltungen eintauchen und alles andere ausschalten? Es sind diese Ruhe beim Praktizieren und die Präzision der Worte, mit denen uns Birjoo neue Impulse für das eigene Üben und das Lehren von Yoga schenkt, die mich auf dieser Convention am meisten faszinieren.

Der indische Gastlehrer

Birjoo ist Senior Iyengar Yogalehrer aus Mumbei, Indien. Er wurde Mitte der Siebziger Jahre Schüler von BKS Iyengar und hat ihn später oft auf seinen Reisen durch die Welt begleitet. Wenn BKS Iyengar seine subtilen Anweisungen zur Ausrichtung visualisieren wollte, hat er oft seinen Schüler Birjoo als Modell für die Demonstration herangezogen.

Birjoo Mehta ist geprägt von BKS Iyengar. Er hat von ihm gelernt, sich durch das Beobachten in der Yogapraxis immer weiter zu entwickeln, und strahlt inzwischen längst selbst sehr viel Weisheit aus. Dabei wirkt er auffallend bescheiden und liebenswert. Vor allem Letzteres ist eigentlich nicht gerade die herausstechendste Eigenschaft von Iyengar Yogis. Zumindest nicht auf den ersten Blick. „Streng“ trifft es schon eher. Eine beschützende Strenge, damit die Schüler möglichst verletzungsfrei in die Praxis eintauchen, um Körper und Geist zu verändern. Aber Birjoo ist nicht streng – und hat trotzdem unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Das zeichnet ihn aus.

Wie bei einem Klassentreffen

Es ist meine vierte Convention und bisher waren alle ganz toll. Ich freu mich das ganze Jahr darauf. Ein Gefühl von Urlaub und Klassentreffen. Die Iyengar Yoga Ausbildung dauert Jahre, in denen man sich immer wieder auf Wochenend- und Wochenseminaren zum intensiven gemeinsamen Üben trifft, zu Workshops reist, sich in Kleingruppen gegenseitig verbessert, zusammen lernt und nervenaufreibende Prüfungen ablegt. Das schweißt zusammen.

 

 

 

 

 

 

 

Entspannung in der Pause: Viola und Regina im Convention-Shirt

Die Iyengar Yogis sind eine sehr spezielle, angenehm uneitle Gemeinschaft in meist kurzen Hosen, die diesen Event nutzt, um sich auszutauschen. So wie man bei Politikern oft schon an ihrem Äußeren ihre Parteizugehörigkeit sehen kann oder wie man Journalisten, Anwälte, Lehrer oder Kosmetikerinnen am Aussehen erkennt, lassen sich auch Yogis ihrem Stil klar zuordnen. Wen es aus einer anderen Richtung zum Iyengar Yoga verschlägt, der fällt oft auf wie ein bunter Hund. Nicht nur optisch, sondern auch im ganzen Verhalten. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber Yogis aus der Vinyasa Richtung wirken oft vergleichsweise weich in der Bewegung und ein bisschen selbstverliebt, verabscheuen Hilfsmittel als wären es Stigmata für Unzulänglichkeiten und halten es nicht lange in einer statischen Pose aus. Sie passen sich entweder mit der Zeit an die Iyengar Yogis an oder man sieht sie bei so einem Anlass nie wieder. Iyengar Yogis dagegen sind stolz auf ihre lange Ausbildung. Sie wirken ernsthafter und reifer (auch an Jahren übrigens) und neigen ein bisschen zum Verbessern und Belehren. Ayurvedisch betrachtet dominiert das Pitta-Dosha. Deshalb ist es wohl genau mein Ding.

Building Bridges

Die deutschen Conventions werden jeweils von einem Iyengar Yoga Studio organisiert und in der jeweiligen Stadt ausgerichtet, unterstützt vom Verein. In diesem Jahr erstmals außerhalb von Deutschland, daher lautet auch das Motto diesmal „Building Bridges“. Das Organisationsteam lädt für die Convention jedes Jahr einen Gastlehrer aus Indien ein, der eng mit dem Yoga Institut der Familie Iyengar in Pune, Indien, verwachsen ist und an dem Wochenende sein Wissen mit uns teilt. Birjoo habe ich 2014 schon mal auf einer Convention erlebt und vieles von dem, was er uns damals mitgegeben hat, hilft mir heute noch beim Praktizieren. Wir üben auf den Conventions Seite an Seite mit Freunden, ehemaligen Azubi-Kollegen und auch unseren eigenen Lehrern und Prüfern. Wir sind alle Schüler und werden es immer bleiben.

Mit Magdalena bin ich schon durch dick & dünn – die Prüfung zum Beispiel…

Stehhaltungen, Umkehrhaltungen, Drehhaltungen, Vorwärtsbeugen im Sitzen, Rückbeugen. Wir üben an diesem Pfingstwochenende die Basics, keine besonders schwierigen oder fortgeschrittenen Haltungen, benutzen kaum Hilfsmittel. Aber wir üben diese Basics mit einem neuen Bewusstsein, einem anderen Focus, der sich wie ein roter Faden durch sämtliche Asanas zieht und unsere Aufmerksamkeit aufrecht hält. Wir arbeiten neben der Streckung der Wirbelsäule mit den fünf Vayus, die in jeder Haltung energetisch gezielt an die richtige Stelle im Körper gebracht werden, um leichter in die Position zu kommen und sie lange halten zu können. Sich über die Vayus auszurichten, ist eher untypisch im Iyengar Yoga. Aber es hilft. Birjoo betont immer wieder, dass ein neuer Impuls nicht bedeutet, alles Gelernte über Bord zu werfen. Es ist einfach eine andere Herangehensweise, die eine neue Klarheit und Erkenntnis schafft.

Birjoo bringt mehr Leichtigkeit in meine Praxis. Wenn ich auf die Streckung der Wirbelsäule und einen Punkt zwischen den Schulterblättern konzentriert bin, ermüden die Muskeln nicht so schnell. Es fühlt sich anders an. Auch im Kopf. Ruhig, klar, wach.

„Focus on keeping your spine straight. It is the job of the spine to keep the brain alert.“ BKS Iyengar

Wie wahr. Eure Nici

UNSERE SCHÜLER

Marilias Mutausbruch

Marilia hat 20 kg abgenommen und ist ein neuer Mensch. Die Veränderung war ein langsamer Prozess. Weil Marilia jede Woche dreimal ins YogaKraftwerk kommt und ich sie daher recht oft sehe, ist es mir erst gar nicht aufgefallen. Es war auch nicht der optische Wandel, den ich zuerst bemerkt habe, sondern das neue Selbstvertrauen in ihrer Yogapraxis.

Marilia hat vor knapp drei Jahren mit Yoga begonnen. Im YogaKraftwerk. Sie hat direkt ein Abo abgeschlossen, das sie auch nutzt, und zählt daher inzwischen schon fast zum Inventar. Die 53-Jährige strahlt soviel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft aus, dass mir jedes Mal das Herz aufgeht, wenn ich sie sehe. Sie ist von Haus aus sehr gelenkig. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schülern, müssen wir bei ihr darauf achten, dass sie in manchen Yogahaltungen nicht überdehnt. Davon abgesehen macht ihr diese Flexibilität beim Yoga vieles leichter. Sie kann die Asanas eher genießen, die sich viele andere erst hart erarbeiten müssen. Marilia hat andere Herausforderungen. Bzw.: Sie hatte.

Angst schränkt ein

Marilia war bis vor kurzem ein kleiner Schisser, wenn ich ehrlich sein soll. Die gebürtige Brasilianerin hat sich am liebsten einen Platz in der letzten Reihe oder hintersten Ecke gesucht. Wenn wir Haltungen geübt haben, die ein bisschen Überwindung kosten, hat sie sich mit einer Geschicklichkeit und Unauffälligkeit durch die Übung geschummelt wie ein Analphabet, der sein Defizit kaschiert. Zum Beispiel beim Aerial Yoga: Da flippen und springen wir durchs Tuch, Vorwärtsrolle rein, Rückwärtsrolle raus. Marilia nicht. Bei ihr sah es immer nur so aus als ob. Sie hat getrickst und ihre Energie lieber darauf verwendet, dass ich sie nicht erwische, statt sich auf die Übung zu konzentrieren. Wenn ich zu ihr gesehen habe, war sie immer schon „fertig“ und hat mich angestrahlt…

Doch dann hat Marilia im vergangenen Jahr unseren Workshop „Yoga meets Ayurveda“ besucht und begonnen, sich mit ihrer Ernährung zu beschäftigen. „Ich war eine ‚Fresserin'“, sagt sie heute rückblickend. „Ich habe immer viel in der Firmenkantine gegessen. Und wenn ich spätabends nach Hause kam, hatte ich Heißhungerattacken und habe alles in mich hineingestopft, was ich finden konnte. Eine Tafel Schokolade war weg wie nichts…“ So kam sie auf fast 80 kg bei 1,60 m. Niemand hätte sie als dick bezeichnet, aber es machten sich bereits Knieprobleme bemerkbar. „Außerdem konnte ich mich nicht mehr sehen. Ich wollte unbedingt etwas ändern.“

Marilia vor acht Monaten in Krieger II

Neue Essgewohnheiten

Marilia ließ sich von einer Heilpraktikerin in Sachen Ernährungsumstellung beraten und setzte die Tipps konsequent in die Tat um. Sie verzichtete fortan komplett auf Süßigkeiten. Kohlenhydrate gab es lange Zeit nur noch zum Frühstück, abends dagegen Fisch, Salat, viel Gemüse, wenig Fleisch. In die Kantine geht sie nicht mehr, Marilia bereitet sich ihr Essen für die Arbeit jetzt immer vor. Sie hat auf diese Weise 20 kg verloren – und viel gewonnen: „Es geht mir gesundheitlich besser. Meine Knieschmerzen sind weg. Radfahren und laufen geht leichter, ich habe mehr Spaß daran. Und ich bin lockerer und mutiger geworden. Ich traue mir mehr zu.“ Ihr Mann macht bei der Diät nicht mit, hat aber ganz automatisch auch ein paar Kilos verloren, weil Marilia anders kocht.

Yoga macht diszipliniert

Seit fast einem Jahr zieht sie das jetzt durch. Sie hat ihr Wunschgewicht erreicht. Inzwischen gibt es bei ihr abends auch mal ein paar Kartoffeln oder Nudeln. Sie schafft es heute, Süßigkeiten nur noch zum Genuss zu essen. „Yoga hat sehr dazu beigetragen, disziplinierter und konsequenter zu werden“, meint Marilia. Und Yoga spielt eine große Rolle in ihrem Leben. Neben den Studiobesuchen übt sie auch noch ein- bis zweimal pro Woche zu Hause. Sie hat eine neue Leichtigkeit in ihre Praxis gebracht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Auch wenn Faktoren wie Gewicht oder Alter beim Yoga grundsätzlich keine Rolle spielen, kriegt man den Hintern in manchen Übungen natürlich einfacher hoch, wenn er etwas kleiner ist. Marilia flippt heute durch das Tuch oder schwingt sich in den Kopfstand, als wäre es nie ein Problem gewesen. Und sie möchte noch viel mehr. Gerade hat sie sich für ein paar Gastlehrer-Workshops angemeldet: Armbalancen, Umkehrhaltungen, AcroYoga,…

Marilia traut sich heute viel mehr zu

Eure Nici

 

 

YOGA-PHILOSOPHIE

Der Affengott Hanuman

Es war einmal…

…ein junger Königssohn namens Rama, der wegen einer Intrige von seinem Vater in die Verbannung geschickt wird. Seine schöne Frau Sita begleitet ihn. In den Wäldern treffen sie Shurphanaka, ein böses Weib. Shurphanaka verliebt sich in Rama, wird aber von ihm abgewiesen – er ist immerhin verheiratet. Als sie schließlich sogar versucht Sita zu töten, um Rama für sich zu gewinnen, schlägt ihr Rama vor Wut die Nase ab. Jetzt wird die entstellte Shurphanaka erst richtig böse. Sie wendet sich an ihren Bruder, den schrecklichen Dämon Ravana, der 10 Köpfe und 20 Arme hat. Er entführt Sita auf seine Inselfestung nach Lanka (vermutlich das heutige Sri Lanka) und hält sie dort gefangen. Nur mit der selbstlosen Hilfe des Affengottes Hanuman gelingt es Rama, seine Sita aufzuspüren und aus den Fängen des Dämons wieder zu befreien…

Die Geschichte des „Ramayana“ (was übersetzt soviel heißt wie „Ramas Lebenslauf“) ist eines der bedeutendsten indischen Epen. Es ist fast 2000 Jahre alt und umfasst etwa 24.000 Doppelverse über die Taten und Leiden des Helden Rama, insbesondere die Geschichte der Entführung und Wiedergewinnung seiner Frau Sita. Eine dramatische Liebesgeschichte mit einem unschönen Ende. Und ein Lobgesang auf Hanuman, den wahren Held des Epos.

Hanuman ist neben Ganesha der wohl bekannteste und beliebteste der hinduistischen Götter. Sein Geburtstag im März/April ist in Indien ein offizieller Feiertag. Hanuman wird meist mit einem Affengesicht auf einem großen menschlichen Körper dargestellt – ein Körper, der hart ist wie ein Diamant. Der Affengott wird wegen seiner Muskeln auch als Gott der Sportler, Fitnessjünger und Bodybuilder verehrt.

Schutzherr des Pranayama

Hanuman ist der Sohn der schönen, makellosen und tugendhaften Affenfrau Anjana und des Windgottes. Er ist Jesusgleich durch unbefleckte Empfängnis auf die Welt gekommen. Mit Superkräften. In vielen Schriften gilt er gar als eine Inkarnation Shivas. Aufgrund seiner Abstammung vom Windgott wird Hanuman als Schutzherr des Pranayama, der Atemtechniken, betrachtet. Er hat die Herrschaft über das Prana, den lebenswichtigen Atem. Wer Hanuman verehrt, soll daher eine umso wirkungsvollere Pranayama-Praxis erfahren. Aus diesem Grunde wird Hanuman oft fliegend gezeigt.

Hanuman war sich seiner Größe und seiner Kraft lange Zeit nicht bewusst. Viele Mythen handeln von den Jugendstreichen des zutiefst gutmütigen, aber auch etwas unbedachten und tollpatschigen jungen Affen, der sogar die Sonne vom Himmel holen wollte, weil er sie für eine Frucht hielt. Damit zog er den Zorn der Götter auf sich und wurde mit einem Fluch bestraft: nämlich mit der Unwissenheit über seine Superkräfte – bis er auf Rama trifft. Erst wenn er dem Königssohn Rama hingebungsvoll dienen würde, sollten ihm seine übermenschlichen Fähigkeiten wieder bewusst werden und sich sogar noch vervielfachen.

Mut und Hingabe

Hanuman fühlt sich deshalb magisch zu Rama hingezogen, als er ihm im „Ramayana“ erstmals begegnet. Hanuman ist zu diesem Zeitpunkt bereits der tapfere General eines Affenheeres und Rama sucht seine entführte Sita. Der Affe unterstützt ihn dabei und wird zum selbstlosen Diener und treuen Freund Ramas. Bescheiden, mutig, niemals prahlerisch. Er hat die Fähigkeit zu Demut, bedingungsloser Liebe und grenzenloser Loyalität. Einen besseren Freund kann man sich nicht wünschen. Und deshalb wird Hanuman so verehrt. Der Affengott wird oft mit aufgerissener Brust dargestellt (siehe Titelbild von der riesigen Hanuman-Statur in Rishikesh). Wir können in sein Herz sehen, das erfüllt ist von dem Königspaar Rama und Sita. In jedem Rama-Tempel gibt es auch eine Statur oder ein Bildnis von Hanuman. Rama und Hanuman gehören zusammen.

Hanumans Superkräfte

Hanuman ist in Indien ein Superheld, der mit Hilfe seiner übernatürlichen Kräfte viele Wunder vollbringen kann. Er ist bekannt für seine großen Sprünge: Um die entführte Sita aufzuspüren, überwindet er die Meerenge zwischen Indien und (Sri) Lanka (=54,8 km an der engsten Stelle!) mit einem einzigen gigantischen Sprung. In meiner Ausgabe des „Ramayana“ (Diederichs Gelbe Reihe) erstreckt sich allein die heroische Beschreibung des Wahnsinns-Sprunges über 10 Seiten…

Hanuman kann zudem seinen Körper zu einer ungeheuren Größe ausdehnen oder auf die Größe eines Daumennagels schrumpfen lassen: In Lanka angekommen überbringt er dem Dämon Ravana die Botschaft, dass er Sita freilassen und sich bei Rama entschuldigen soll. Ravana denkt aber gar nicht daran, sondern lässt Hanuman stattdessen in Fesseln legen, den Affenschwanz in Öl und Ghee (Butterschmalz) wickeln und anzünden, um ihn zu entehren. Hanuman macht sich daraufhin erst ganz klein, um aus den Fesseln zu schlüpfen und dann riesig groß, um mit seinem brennenden Schwanz ganz Lanka anzuzünden. (Übrigens: Bei der anschließenden Abkühlung im Meer zeugt er versehentlich ein Kind. Denn als ein Tropfen seines Schweißes einem Fisch ins Maul fällt, bringt der daraufhin Hanumans Sohn Makar Dhuaj zur Welt. So schnell kann’s gehen…)

Hanuman kann Berge versetzen: Um Ramas Bruder zu retten, der sich beim Kampf gegen den Dämon lebensgefährlich verletzt hat, soll Hanuman eine bestimmte Heilpflanze von einem Himalaya-Gipfel besorgen. Der Affengott fliegt übers Meer in den Himalaya – und vergisst, wie die Pflanze aussieht, die er holen soll. Weil die Zeit eilt, vergrößert er seinen Körper um ein Vielfaches und nimmt gleich den ganzen Gipfel des Berges mit der lebensspendenden Pflanze mit.

Fliegen wie Hanuman über den Himalaya

Hanuman ist unsterblich. Als Rama stirbt, will Hanuman ihm folgen, aber Rama bittet ihn auf der Erde zu bleiben, um hingebungsvollen Menschen zu dienen. Er ist daher einer der insgesamt 7 unsterblichen Wesen in erdnahen Ebenen, die für Menschen erreichbar sind. Es soll besonders leicht sein, die unmittelbare Gegenwart dieser Götter zu erfahren.

Hanuman-Yogahaltungen

Manche Asanas sind nach Hanuman benannt:

  • Hanumanasana
    • Der Spagat. Er symbolisiert die weiten Sprünge Hanumans und seine Fähigkeit, Grenzen zu überwinden und über sich hinauszuwachsen durch Ausweitung und Hingabe.
    • Der Spagat war offenbar auch für BKS Iyengar eine ganz besondere Haltung: „Diese schöne Stellung hilft Ischias und andere Schäden in den Beinen zu heilen“, schreibt er in „Licht auf Yoga“ und widmet Hanumans Geschichte einen großen Absatz.

BKS Iyengar in Hanumanasana (Quelle: „Licht auf Yoga“, Verlag O.W. Barth)

  • Anjaneyasana (Anjaneya = Sohn von Anjana, der Affenfrau)
    • Tiefer Ausfallschritt mit dem Knie am Boden. Wird auch Halbmond genannt oder Low Lunge.
    • Diese Haltung symbolisiert den Flug zum Himalaya, um die Heilpflanze zu besorgen.

Swami Vishnudevananda in Anjaneyasana (Quelle: „Das große illustrierte Yogabuch“, Verlag Aurum)

Der Gedanke an Hanuman hilft mir zudem in vielen anderen Yogahaltungen, seit ich 2014 den großartigen Iyengar Yogi Birjoo Mehta auf einer Yoga-Convention erlebt habe. Wir sollten uns damals vorstellen, dass wir uns wie Hanuman den Brustkorb aufreißen, um unseren Brustraum in den Asanas zu weiten.

Es gibt übrigens sehr schöne Lieder und Mantren über Hanuman, zum Beispiel von Krishna Das, einem großen Hanuman-Verehrer:

https://www.youtube.com/watch?v=Lv7lVaTYgGI

Eure Nici

 

 

UNSERE LEHRER

Was ist Ashtanga Yoga?

5 Uhr morgens klingelt Selimes Wecker. Dann beginnt sie ihre Yogapraxis mit 25 Minuten Pranayama (Atemtechniken) und übt anschließend idealerweise 90 Minuten Asanas (Yogahaltungen). Wenn sie am Vorabend spät ins Bett gekommen oder einfach zu kaputt ist, kürzt sie die Praxis ab. Es gibt ein, zwei Ruhetage pro Woche. An denen übt sie nur Pranayama und oft Zazen (eine Meditationstechnik des Zen-Buddhismus).

Ich habe mich sehr darüber gefreut, als ich Ende 2015 mit Selime auch Ashtanga Yoga in unser Programm aufnehmen konnte. Selime Özbek unterrichtet seither einmal wöchentlich im YogaKraftwerk. Ab und zu gibt sie Workshops. Ihr eigener Yogaweg begann 2008. Sie lernte Yoga bei einer Ashtanga Yogalehrerin in Sindelfingen und hatte damit auf Anhieb den richtigen Stil für sich gefunden. „Ashtanga ist ein ganzes System, das für mich einfach Sinn macht“, sagt Selime. Drei Jahre nach ihrer ersten Yogastunde absolvierte sie ihr Teacher Training bei Paul Dallaghan in Thailand – dem Lehrer ihrer Lehrerin. In dem Studio Yoga Mitte in Stuttgart hat sie danach bei Farzad Ahmadpour ihre disziplinierte morgendliche Praxis kultiviert. 2012 reiste Selime in die indische Stadt Mysore, um „auch mal an der Quelle des Ashtanga zu praktizieren“. Und nicht nur des Ashtanga Yoga…

Der Vater des modernen Yoga

Tirumalai Krishnamacharya (1888 – 1989), der als der Vater des modernen Yoga bezeichnet wird, wurde in Mysore geboren. Er zog sich als junger Mann für sieben Jahre in die Berge des Himalaya zurück, um dort bei einem weisen Yogi mehr als 3000 Asanas und Pranayama zu lernen. Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt wurde er 1933 vom damaligen Maharajah an den Fürstenpalast von Mysore geholt, um dort Yoga zu unterrichten. Krishnamacharya galt als sehr intelligent und charismatisch, aber er war auch für seine Strenge bekannt, mit der er die Schüler disziplinierte. Es gibt Fotos und Videos, auf denen Krishnamacharya und seine Schüler Demonstrationen ihres Könnens liefern und ihre Kraft, Balance und unglaubliche Flexibilität in sehr schwierigen Haltungen zeigen. Es erinnert an eine Zirkusveranstaltung, aber das war Marketing. Hätte Yoga sonst jemals so einen Hype erlebt? Und wer bin ich, das zu verurteilen? Ich habe selbst einen Instagram-Account… Krishnamacharya ist jedenfalls persönlich nie in den Westen gereist, aber seine Schüler haben ihn und seine Lehre weltweit bekannt gemacht. Darunter sein jüngerer Schwager BKS Iyengar (1918 – 2014) und Pattabhi Jois (1915 – 2009), die später selbst die Yogaszene dominierten und eigene Yogarichtungen prägten: Iyengar Yoga und eben – Ashtanga Yoga.

Der Legende nach haben Krishnamacharya und Pattabhi Jois in den 30er Jahren in der Bibliothek der Universität von Kalkutta ein uraltes, mysteriöses Manuskript gefunden: auf Palmenblätter geschriebene Sanskrit-Texte über Hatha Yoga, die „Yoga Korunta“. Die beiden sollen die Texte übersetzt und daraus die Ashtanga Yoga Serien rekonstruiert haben. Krishnamacharya hat Pattabhi Jois schließlich dazu ermuntert, diese Instruktionen zur Basis seiner Praxis und seiner Lehrtätigkeit zu machen. Das Skript gibt es heute übrigens nicht mehr. Ameisen sollen es gefressen haben.

Selime hat 2012/2013 in Mysore mit Sharath Jois, dem Enkel von Pattabhi Jois, Yoga geübt. Ein prägendes Erlebnis für sie mit einer „tollen Energie“ an diesem historischen Ort.

Selime in Mysore

Der Weg zur Erleuchtung

Ashtanga Yoga wurde nach dem achtgliedrigen Yogapfad (Ashtanga Pada) benannt, dem Weg zur sogenannten Erleuchtung, der im „Yoga Sutra“ des weisen Patanjali beschrieben wird. Das ist eine fast 2000 Jahre alte Schrift. Eine Yogarichtung danach zu benennen klingt daher aus heutiger Sicht fast ein bisschen anmaßend. Als wäre Ashtanga Yoga der einzige Weg zur Erfüllung. Aber damals gab es noch nicht die große Palette an diversen Yogastilen, die heute wie Pilze aus dem Boden schießen. Zur Unterscheidung vom Yogapfad wird Ashtanga Yoga auch oft Ashtanga Vinyasa Yoga genannt. Dieser Name impliziert die fließenden Übergänge von einer Haltung in die nächste im Rhythmus der Atmung.

In den neunziger Jahren entdeckten diverse Promis wie Sting oder Madonna Ashtanga Yoga für sich und verhalfen dieser Yogarichtung – und auch Yoga im Allgemeinen – zu einem großen Schub. Heute wird Ashtanga Yoga weltweit unterrichtet. Aus Respekt vor der Tradition auf die immer gleiche Weise.

Die Asana-Praxis des Ashtanga

Es gibt insgesamt nur sechs Sequenzen, genannt Serien, also bestimmte festgelegte Abfolgen von Asanas, wobei in aller Regel nur die erste Serie unterrichtet wird. Die ist schon schwer genug. Sie beginnt mit zwei verschiedenen Sonnengrüßen und führt im Atemfluss über eine große Palette an Steh- und Sitzhaltungen mit anspruchsvollen fließenden Übergängen (Vinyasa) zu einer Abschlusssequenz mit Umkehrpositionen und Haltungen im Lotussitz. Das Setzen der Bandhas, der „Körperverschlüsse“, durch Muskelkontraktion hilft bei der Ausführung der Asanas, schenkt Kraft und Kontrolle über die Muskeln. Die Drishtis, also die Blickpunkte, die jeweilige Blickrichtung in jeder Haltung, fördern die Konzentration. Alles zusammen führt zu einem langen intensiven, meditativen Flow mit einer faszinierenden Wirkung auf Körper und Geist. Ashtanga Yogis sind meist recht athletische Typen. Wie auch Selime:

„Beim Ashtanga ist es in der Regel so, dass Du Dir eine eigene (fast) tägliche Praxis der ersten Serie aneignest“, erklärt sie mir.

Selime bei ihrer täglichen Praxis

„Und wenn Du die erste Serie fundiert mehrere Jahre praktiziert hast, gibt Dir Dein Lehrer nach und nach die Positionen der zweiten Serie dazu. Das war für mich erst mal richtig anstrengend, weil ich oft knapp zwei Stunden morgens mit meinem Lehrer praktiziert habe und dann kam der Rest des Tages. Irgendwann, wenn man einen Großteil der zweiten Serie gelernt hat, ‚darf‘ man die erste weglassen und steigt nach den stehenden Positionen direkt in die zweite ein. Ab welchem Punkt das ist, da streiten sich gerne die Lehrer“, meint Selime augenzwinkerd. „Ich würde sagen, das ist individuell abhängig von der Konstitution. Man kann sich schon verletzen, wenn man zu ehrgeizig an die Asanas ran geht oder den Körper überfordert, indem man Dinge zu früh einführt. Der energetische Aspekt der zweiten Serie ist nicht zu unterschätzen. Viele Yogis merken das über die Psyche. Dann braucht man vielleicht wieder mehr Erdung über die erste Serie.“ Selime selbst übt derzeit die erste und die zweite Serie. Mal tageweise abwechselnd, mal schwerpunktmäßig die zweite Serie, um mehr Routine zu bekommen. Ich zieh den Hut vor ihrer Disziplin. Aber sie meint dazu nur: „Yoga hat meinem Tag Struktur gegeben.“

Ihre Herausforderung bleibt der Handstand. „Ich traue mich keinen Handstand ohne Wand zu machen. Einmal bin ich doof auf den Rücken gefallen. Fazit: Es ist eine reine Kopfsache. Alles andere ist Übung.“

Neben den normalen Ashtanga Yogastunden gibt es für Praktizierende dieser Richtung noch den besonderen Mysore Style. Das ist die traditionelle Art des Unterrichtens. Mysore Praxis bedeutet, dass der Teilnehmer die Serie, die er gelernt hat, selbstständig und im eigenen Atemrhythmus praktiziert und vom Lehrer nur in der Ausführung unterstützt wird. Selime: „Man kann an seinem individuellen Standpunkt ansetzen und sich von dort entwickeln. Man findet den eigenen Rhythmus und ist mehr bei sich, weil einem keiner von außen sagt, was wie getan werden muss.“ Dieser Tage wird im YogaKraftwerk die erste Mysore Stunde stattfinden. Es wäre schön, wenn mehr daraus wird.

Neben den vorgegebenen Sequenzen gibt es ein paar Regeln, die traditionell von Ashtanga Yogalehrern an ihre Schüler vermittelt werden:

  • Sechs Tage Asana-Praxis pro Woche, idealerweise morgens. Ein Ruhetag. Meist Samstag.
  • Keine Musik. „Unser Mantra ist der Ujjayi-Atem“, so Selime.
  • Nichts trinken während der Übungen. Am besten auch noch nicht in der folgenden halben Stunde, um den Energiefluss der Praxis nicht zu stören.

 

Es gibt auch dunkle Seiten

Eine sehr reine Lehre also. Doch Yogalehrer sind keine Heiligen. Auch wenn die bekanntesten unter ihnen von vielen Yogis wie solche verehrt werden. Diese Verehrung ist gefährlich, wenn sie blind für die Verfehlungen macht. Wer nie zur Rechenschaft gezogen wird, nimmt sich immer mehr heraus. Wer Macht hat, kann sie auch missbrauchen. #metoo ist inzwischen auch in der Yogaszene angekommen und die Vorwürfe richten sich auch gegen den verstorbenen Pattabhi Jois. Etliche Frauen berichten, dass sie von ihm während der Übungen absichtlich an der Brust und im Schambereich berührt worden, wenn er ihnen seine – ebenfalls umstrittenen – Hilfestellungen gab, um tiefer in die Haltung zu kommen. Es gibt Bilder davon. Das ist ernüchternd und es macht fassungslos. Vor allem weil offenbar die wenigsten Frauen sofort ihre Konsequenzen daraus gezogen haben und aus der Stunde gegangen sind. Warum nicht? Selime hat das zum Glück nicht erlebt, aber sie hat auch viel darüber gelesen und sich damit auseinander gesetzt. „Ich habe meine Meinung und meinem Umgang damit gefunden.“

Seit ich davon erfahren habe, sehe ich Pattabhi Jois mit anderen Augen. Der Ashtanga Yoga an sich und die Art und Weise wie Ashtanga Yogis wie Selime den Yoga leben behält für mich seine Faszination, auch wenn meine Lehre der Iyengar Yoga ist. Beide Richtungen haben die gleiche Wurzel und deshalb ist es schön, dass im YogaKraftwerk beide Stile angeboten werden können.

Eure Nici

 

 

UNSERE LEHRER

Zu Gast: Olivia Klug

Bähm! Olivia knallt. In jeder Hinsicht. Ihre Welt ist kunterbunt. Ihr lustiges, meist lachendes Gesicht und ihre Energie bleiben sofort in Erinnerung. Doch zuerst ist mir die Yogakleidung aufgefallen, die sie entwirft:

Das YogaKraftwerk steht regelmäßig Kopf. Umkehrhaltungen sind ein fester Bestandteil meiner Sequenzen, ob im Tuch, im Seil oder am Boden. Daher weiß ich nur zu gut, dass einem bei diesem Perspektivwechsel alles entgegenfallen kann. Mich nervt Yogakleidung, die den Bauch frei legt, weil sie mir über den Kopf rutscht, wenn ich darauf stehe. Und vor knapp drei Jahren sah ich in einer Yogazeitschrift eine tolle Lösung für dieses Problem: das Yogatube. Es sitzt wie ein eng anliegender Rock mit einer sehr hohen Taille über oder unter dem T-Shirt und hält nicht nur die Kleidung zusammen… Ein Figurschmeichler, der sich super trägt und den es auch noch in ausgesucht schönen Farben und Mustern zu kaufen gibt.

Ich habe mir damals sofort ein Tube bei der Firma bestellt, die in der Zeitschrift vorgestellt wurde. Bei yogalivia. Die Inhaberin ist Olivia Klug. Das war unser erster Kontakt.

FeetUp auf unserer Yogaterrasse

Wenig später habe ich Olivia auf der YogaWorld persönlich kennengelernt und bei ihr auch für meine Yoga-Boutique eingekauft. Doch Olivia produziert nicht nur Yogakleidung, sie unterrichtet auch selbst. Unter anderem Yoga mit dem FeetUp-Stuhl. Und mit einem ganzen VW-Bus voller Kopfstand-Stühle (und Yogatubes, bunter Leggings und Jumpsuits) war sie nun zu Gast im YogaKraftwerk. Als Gastlehrerin und für einen eigenen kleinen Yoga-Kurzurlaub.

Wir haben ein paar Parallelen. Vielleicht verstehen wir uns deshalb so gut. Wir sind beide 46 Jahre und haben uns beide vor drei, vier Jahren beruflich noch einmal völlig neu aufgestellt. Olivia hatte mehr als 20 Jahre eine eigene Werbeagentur. Beruflich erfolgreich, zwei lebhafte Kinder, ein großer Hof mit Garten in Niederbayern, auf dem sie mit ihrer Familie lebt und wo ihr Mann Thomas seine eigene Firma betreibt, dazu Yoga und viel Sport zum Ausgleich – alles toll, aber kaum unter einen Hut zu kriegen. Ein Organisationstalent wie Olivia schafft es trotzdem, auf Dauer vielleicht nicht ohne Folgen.

Die Kehrtwende

„Mir hat eines Tages eine Freundin an den Kopf geknallt, was ich für ein schrecklicher Mensch bin. Sie hat ihren ganzen eigenen Frust an mir ausgelassen und mich total runtergemacht. Vieles von dem, was sie mir vorgeworfen hat, war Unsinn. Sie brauchte einfach nur ein Ventil. Aber es war auch das eine oder andere richtig an dem, was sie gesagt hat. Und das hat mich in den Grundfesten meiner Selbstwahrnehmung erschüttert.“ Die beiden sind seither keine Freundinnen mehr. Dieses Gewitter hat Olivia allerdings zum Nachdenken gebracht. Ebenso wie der frühe Tod ihrer Mutter mit Anfang 60 durch einen Herzinfarkt. Olivia hat sich daher eine Auszeit genommen und zehn Tage in Österreich gefastet und sich sortiert. Als sie von dieser Reise zurückkam, hat sie ihrem Partner in der Agentur gesagt, dass sie aufhört.

Wenig später wurde von ihr yogalivia gegründet. Die erste Kollektion hatte sie bereits entworfen, als sie ihren Kindern mal beim Malen Gesellschaft geleistet hat. „Ich hatte mich schon länger darüber geärgert, dass es für mich nicht die richtigen Yogaklamotten zu kaufen gab. Mir war alles zu trist und zu farblos. Schon 2011 bei meinem ersten Yoga-Retreat hab ich erste eigene Entwürfe in mein Tagebuch gezeichnet.“ Ihr Mann war von dem Ergebnis begeistert und hat sie ermuntert. Und so hat sich Olivia eine Schnittmacherin gesucht und ihre gezeichneten Modelle zum Leben erweckt.

Bewegungsfreudig

Inzwischen hat sie ein Gewölbe auf ihrem Vierseithof zum Yogaraum ausgebaut und gibt dort regelmäßig Kurse. Die Yogalehrer-Ausbildung war eine logische Konsequenz, denn alles, was Olivia macht, macht sie gleich richtig. Jeden Sport, den sie betrieben hat (Ballett, Kunstturnen, Rhönrad, Voltigieren, Reiten, Flamenco, Stepptanz, Laufen, Rollschuhfahren, Eiskunstlaufen!), hat sie richtig in Kursen erlernt. „Ich habe mich schon immer gern und viel bewegt. Ich bringe meinen Körper gern zum Schwitzen. Es ist mir völlig wurscht, ob ich dann Schweißflecken habe oder die Schminke verschmiert. Ich mag mich einfach gern fordern. Ich bringe meinen Körper gern an Grenzen. Sport pushed mich allerdings noch mehr. Yoga nicht. Yoga bringt mich runter. Ich bin jemand, der nicht stillsitzen und meditieren kann, aber beim Yoga komme ich in einen meditativen Flow, der mich ruhig werden lässt.“

Eine neue eigene Firma, eigene Yogakurse, die Mitarbeit in der Firma ihres Mannes, natürlich immer noch die Kinder und der Hof – Olivia ist heute an einen Punkt angelangt, an dem es fast schon wieder zu viel wird. Aber sie ist sich jetzt dessen eher bewusst und übt sich in Achtsamkeit. Wie bei ihrer kleinen Auszeit im YogaKraftwerk, bei der sie sich auch einen Wunsch erfüllt und endlich mal Aerial Yoga ausprobiert hat. Genau ihr Ding. Natürlich.

Olivias Welt ist bunt. Das war sie schon immer. Mit yogalivia ist sie es erst recht. Ich wünsche mir schon seit langem von ihr ein schwarzes Yogatube zu meinen vielen bunten Leggings, aber das verweigert sie mir schlicht. Sie will keine schwarzen Sachen produzieren. Punkt.

Eure Nici

YOGA-STILE

Die 10 häufigsten Fragen zum Aerial Yoga

Yoga im Tuch ist eine sehr junge Stilrichtung: Vor knapp 20 Jahren baute der Akrobat und Showtänzer Christopher Calvin Harrison ein Trapeztuch in seine luftakrobatischen Inszenierungen ein. Später setzte er das Tuch auch zum Dehnen und Entspannen beim Training ein und hing es für diese Zwecke tiefer, auf die Höhe einer Ballettstange. Daraus entwickelte sich das AntiGravity Konzept. Die Tänzerin Michelle Dortignac aus Colorado ließ klassische Hatha Yoga Übungen in das Training mit dem Tuch einfließen und so entstand schließlich Aerial Yoga, also Luft-Yoga. Ab 2009 ließen sich die ersten deutschen Yogalehrer in Amerika für die Übungspraxis mit dem Tuch fortbilden und brachten diesen spielerischen Yogastil zu uns. Bei einer von ihnen – Dhanya Daniela Meggers – habe ich 2014 meine Aerial Yoga Ausbildung gemacht. Inzwischen bildet Dhanya auch einmal im Jahr im YogaKraftwerk Aerial Yogalehrer aus und fort.

Seit der Eröffnung des YogaKraftwerks vor gut drei Jahren ist Aerial Yoga ein wichtiger Bestandteil meines Studios. Nicht zuletzt wegen der schönen, großen, bunten Tücher finden meine Schüler aus einem ungewöhnlich großen Einzugsbereich ins YogaKraftwerk. Manche wollen es einfach nur mal ausprobieren, andere können gar nicht genug davon bekommen und yogeln zweimal die Woche durchs Tuch und immer mehr buchen eine Aerial Yoga Stunde für einen privaten Event mit Freunden oder Kollegen.

Diese Fragen treten vor dem ersten Besuch immer wieder auf:

1. Bin ich zu dick für das Tuch?

Nein. Das geht gar nicht. Weil ich in meinen Räumlichkeiten keine Haken in der Decke anbringen kann, hat mein Vater – ein Bauingenieur – extra eine stabile Balkenkonstruktion errichtet, die die Tücher trägt. Die 2,80 m breiten und 3,70 m langen Tücher werden mit O-Schlingen, Karabinern und Daisy Chains aus dem Kletterbereich zusammengehalten und an den Balken aufgehängt. Das Tuch besteht aus Lycra / Tricot – eine sehr strapazierfähige Kunstfaser, die in eine Richtung dehnbar ist. Es trägt bis zu 500 kg. Wir haben sogar schon Partner Aerial Yoga darin veranstaltet – ein sehr lustiger Workshop mit teilweise zwei Personen in einem Tuch.

Übergewichtige Yogis haben es im Tuch übrigens oftmals leichter als beim klassischen Yoga am Boden. Man kann Gewicht an das Tuch abgeben, es trägt, hält und schützt einen während der Yogastunde. Und noch dazu legen sich die farbenfrohen Tücher schmeichelhaft um jede Hüfte. Das hebt die Stimmung.

2. Ich bin steif wie ein Brett. Kann ich trotzdem mitmachen?

Aber ja! Das höre ich übrigens auch beim klassischen Yoga oft: „Ich würde ja gerne mal Yoga ausprobieren, aber ich bin zu steif.“ Das ist totaler Quatsch. Wir üben Yoga, UM flexibler, geschmeidiger, stärker, konzentrierter, ausgeglichener zu werden, nicht weil wir all das schon sind. Genau wie beim Yoga am Boden werden beim Aerial Yoga die Muskeln gedehnt und gekräftigt, die Balance wird geschult – oft sogar mehr als bei den klassischen Stilen. Mein Anspruch dabei ist, dass Ihr so sehr auf Euch selbst konzentriert seid, dass Ihr gar keine Zeit findet, um nach links oder rechts zu sehen und Euch mit anderen zu vergleichen. Der Rest kommt mit der Übung: Wer regelmäßig Aerial Yoga praktiziert, wird beweglicher. Wer übt, wird besser. Wie bei allem.

3. Mir wird schon im Auto schlecht. Macht Aerial Yoga da Sinn?

Ausprobieren. Ich kann auch nicht im Auto lesen, aber stundenlang kopfüber im Tuch baumeln und schaukeln. Bei anderen ist es vielleicht umgekehrt. Kurz: Ja, es kann einem im Tuch schlecht werden. Das passiert auch immer wieder. Deswegen appelliere ich an jeden neuen Schüler, die ersten Anzeichen für einen flauen Magen nicht zu ignorieren, sondern die Übungen zu unterbrechen, wenn nötig. Lieber mal zwei Minuten aussetzen und zur Ruhe kommen, als die Zähne zusammenzubeißen und sich womöglich die schöne Endentspannung zu versauen, weil man stattdessen gegen Schwindel ankämpft. Ich bin außerdem immer nur wenige Schritte von Euch entfernt und kann jeden rasch anhalten, der für seine Verhältnisse zu doll ins Schaukeln geraten ist.

Und es ist nicht jeder Tag gleich. Stress, Menstruation, Wetterfühligkeit, Erschöpfung – all das kann das Üben mit dem Tuch beeinflussen. Es gibt gute Tage und sensible Tage. Aber man lernt mit der Zeit immer besser mit dem Tuch umzugehen und seine persönlichen Grenzen nicht zu weit auszureizen.

4. Was muss ich anziehen und mitbringen?

Kleidung, in der Du Dich gut bewegen kannst. Ohne Reißverschlüsse und spitzen Schmuck, damit nichts am Tuch hängen bleibt. Oft wird dabei der versteckte Reißverschluss hinten am Kreuzbein völlig vergessen. Bei Laufhosen zum Beispiel. Diese sind aber besonders fies zum Tuch. Zwar würde das Tuch nicht sofort zerreißen, aber es können sich kleine Löcher bilden, die mit der Zeit größer werden. Und wer will schon in einem Tuch mit Loch sitzen?

Ich empfehle außerdem Oberteile, die in Umkehrhaltungen nicht über den Kopf rutschen. Also eher enganliegend und nicht zu weit ausgeschnitten. Ihr werdet Euch kopfüber nicht wohlfühlen, wenn Euch der Busen aus dem BH fällt…

Bei mir wird Yoga grundsätzlich barfuß geübt, denn die Füße arbeiten schließlich mit. Und auch aus Sicherheitsgründen, damit Ihr nicht abrutscht. Für die Entspannungsphasen am Anfang und am Ende könnt Ihr aber gern Socken anziehen.

Mehr müsst Ihr nicht mitbringen. Außer ein Wasser vielleicht, wenn Ihr etwas zum Trinken braucht.

5. Wie lange darf ich vorher nichts essen?

Dazu schrieb BKS Iyengar in den sechziger Jahren in „Licht auf Yoga“: „Asanas sollten am besten mit leerem Magen ausgeführt werden. Ist dies schwierig, kann man zuvor eine Tasse Tee, Kaffee, Kakao oder Milch trinken. Man kann die Asanas auch ohne Beschwerden eine Stunde nach einer leichten Mahlzeit ausführen. Nach einer schweren Mahlzeit sollten zumindest vier Stunden vergehen, bevor man mit den Übungen beginnt.“ Das würde ich auch heute noch und auch für Aerial Yoga so unterschreiben.

6. Darf jeder beim Aerial Yoga mitmachen?

Es macht nicht für jeden Sinn, weil für manche Leute ein großer Teil der Übungen nicht in Frage kommen würde: Umkehrhaltungen sind ein elementarer Bestandteil von Aerial Yoga, sollten aber bei Bluthochdruck oder hohem Augeninnendruck nicht ausgeführt werden. Auch während der Schwangerschaft ist das Tuch nicht geeignet.

7. Was ist anders als beim klassischen Yoga?

Der Baum – im Tuch und am Boden

Ich unterrichte neben Aerial Yoga noch den traditionellen Iyengar Yoga. Dabei benutzen wir viele Hilfsmittel. Das Tuch ist für mich nichts anderes: ein Hilfsmittel, das mich tiefer oder überhaupt in eine Haltung bringt. Iyengar Yoga ist ein vergleichsweise strenger Yogastil mit Fokus auf der korrekten Ausrichtung. Aerial Yoga ist spielerischer, hat mehr Leichtigkeit – trotzdem vergesse ich nicht plötzlich alle Ausrichtungsprinzipien, die ich gelernt habe, wenn ich eine Sequenz im Tuch anleite.

Beim Aerial Yoga über das Tuch zu springen und zu flippen oder über Kopf zu hängen, erfordert anfangs etwas Mut – aber auch beim Iyengar Yoga hängen wir manchmal kopfüber im Seil oder über dem Stuhl. Zunächst ist es einfach nur aufregend, später kann man es auch genießen.

Manche Haltungen, wie der Handstand, sind im Tuch einfacher. Andere sind fordernder, weil man gleichzeitig die Balance halten muss. Es gibt Haltungen, die sind nur im Tuch möglich. Und Haltungen, für die man kein Tuch gebrauchen kann.

Die Fledermaus – geht nur im Tuch

8. Ist schon mal jemand aus dem Tuch gefallen?

Ja, äußerst selten, aber das kann passieren, wenn man sich nicht richtig festhält. Es waren aber nie die schwierigen Haltungen. Da sind die Teilnehmer so konzentriert, dass sie genau zuhören. Es passiert eher, wenn die Anspannung – und damit auch die Konzentration – wieder nachlassen. Aber die Tücher hängen nicht mal einen Meter über dem Boden. Der Weg nach unten ist also nicht so weit, wenn man mal rausrutscht. Verletzt hat sich noch niemand. Ich weiß nur von ein paar blauen Flecken ab und zu oder roten Streifen an Stellen, an denen das Tuch gedrückt hat.

9. Machen auch Männer Aerial Yoga?

Ja! Es dominieren die Frauen, wie auch bei den anderen Yogastilen. Aber einige meiner männlichen Schüler kommen nun schon seit Jahren sehr regelmäßig zum Aerial Yoga. Manche zusammen mit ihrer Frau, andere allein. Einige waren sogar beim Aerial Dance.

10. Wie läuft so eine Aerial Yoga Stunde ab?

Wir beginnen mit Pranayama, also Atemübungen, in einer aufrechten Sitzhaltung im Tuch. Dann wärmen wir den Körper mit Übungen auf, die uns mit dem Tuch vertraut machen. Beim Aerial Yoga gibt es eine überschaubare Reihe von Grundpositionen mit jeweils unzähligen Variationsmöglichkeiten. Nach jeder Umkehrhaltung baue ich erdende Übungen mit Bodenkontakt ein, damit der Körper wieder zur Ruhe kommen kann. Die Sequenz wechselt jede Woche, trotzdem ist keine Stunde gleich. Denn die Atmosphäre, die jeweilige Stimmung, der Schwierigkeitsgrad hängen sehr von der Anzahl und der Mischung der Teilnehmer ab. Grundsätzlich ist jede Stunde auch für absolute Anfänger geeignet. Es ist immer wieder erstaunlich, wie weit man schon in der ersten Stunde gehen kann. Die Endentspannung im Tuch ist extra lang und besonders schön.

In der letzten Woche eines jeden Monats üben wir regenerativ. Da geht es sehr ruhig und entspannt zu – wobei es auch ziemlich anstrengend werden kann, über mehrere Minuten in einer Dehnungshaltung zu verweilen.

Etwa alle zwei Monate gibt es einen besonderen und sehr beliebten Workshop Freitagabends: Aerial Yoga Deep. Hier hängen die Tücher nur etwa 15 cm über dem Boden. Wer Angst hat, dass ihm beim Aerial Yoga schlecht werden könnte, aber es gern versuchen würde, sollte diesen Workshop in Erwägung ziehen oder in die regenerativen Kurse am Monatsende kommen.

Ich kann nur jedem empfehlen, Aerial Yoga mal auszuprobieren. Vielleicht wirst Du dabei feststellen, dass es nicht die richtige Yogaart für Dich ist. Aber vielleicht geht Dir auch wie mir das Herz auf bei diesem ganz besonderen Erlebnis und Du möchtest es nicht mehr missen.

Unsere Kurse, Workshops und Ausbildungstermine findet Ihr unter http://www.yogakraftwerk.de.

Eure Nici

 

ASANA-PRAXIS

Übungssequenz YogaWorld Stuttgart 2018

Die folgende Sequenz habe ich am 8. April 2018 auf der YogaWorld Stuttgart unterrichtet. Hier ist die Abfolge der Haltungen für alle, die dabei waren und denen es gut getan hat. Aber auch für jeden anderen, der zu Hause danach üben möchte. Bei dieser Praxis werden die Schultern mobilisiert und der Nackenbereich gedehnt, um Verspannungen entgegenzuwirken. Viel Spaß dabei!

Dauer: 45 Minuten

Level: Für jeden geeignet

Hilfsmittel: Keine

Iyengar Yoga für Nacken & Schultern

1. Virasana / Heldensitz:

  • zwischen den Fersen sitzen (Alternativ: Fersensitz oder Schneidersitz)

  • Pranayama / Atemtechnik:
    • Ujjayi V (Beobachten der Bewegungen im Brustkorb bei der Atmung)
    • Ujjayi VII (Verlängerung der Einatmung)
  • Parvatasana in Virasana / Hände verschränkt nach oben im Heldensitz
    • Finger verschränken, Hände auf die Schädelkrone, Handflächen nach oben drehen, schweres Gewicht auf den Händen visualisieren und dieses langsam nach oben schieben, bis die Arme völlig gestreckt sind
    • Seitenwechsel Fingerverschränkung

  • Parsva Virasana / Drehung im Heldensitz
    • mit der Einatmung die Wirbelsäule längen, mit der Ausatmung nach rechts drehen, dabei mit der linken Hand den rechten Oberschenkel greifen + ziehen, die Finger der rechten Hand hinterm Po in die Matte schieben, um noch weiter zu drehen
    • Seitenwechsel

2. Adho Mukha Virasana / Vorwärtsstreckung im Helden

  • große Zehen zusammen, Knie auseinander, Gesäß auf den Fersen erden, mit langen Flanken nach vorn strecken, Arme über den Kopf, Unterarme heben, Schulterblätter nach innen saugen

3. Adho Mukha Svanasana / Herabschauender Hund

  • Arme + Beine strecken, Fersen Richtung Boden, Brustbein Richtung Füße

4. Uttanasana / Vorwärtsbeuge

  • zu den Händen laufen, Füße mattenbreit, Fußsohlen lang + breit, Kniescheiben ans Gelenk saugen, Beine strecken, Hände an Schienbeine oder außerhalb der Matte zum Boden, Schultern weg von den Ohren

5. Tadasana / Berghaltung

  • Füße hüftbreit, Zehen nach vorn, Kniescheiben hoch, Arme bis in die Fingerspitzen strecken

6. Urdhva Hastasana / Arme nach oben strecken

  • Kapuzenmuskel für langen Nacken nach unten ziehen, Oberarme näher zusammen bringen, Ellbogen verriegeln

  • Oberarme immer näher zusammenbringen, bis die Handflächen schließlich bei gestreckten Armen über dem Kopf zusammen kommen (= Urdhva Namaskarasana)

7. Garudasana / Adler

  • erst nur die Arme verschlingen:
    • rechter Oberarm kreuzt linken Oberarm, Arme beugen, Unterarme umschlingen einander, Handflächen zusammen, Ellbogen heben, Hände weg vom Gesicht
    • Seitenwechsel
  • die Beine dazu:
    • Arme wieder verschlingen, zuerst rechter Arm oben, Beine beugen, Gewicht aufs rechte Bein verlagern, linkes Bein lösen und von vorn um rechtes Bein schlingen
    • Seitenwechsel Arme + Beine

8. Utkatasana / Stuhl

  • Arme nach oben strecken und nach hinten setzen wie auf einen imaginären Stuhl, Bauchnabel zur Wirbelsäule, Schienbeine nach hinten
  • Wiederholung + aus Utkatasana direkt in Garudasana
    • Seitenwechsel aus Utkatasana in Garudasana

9. Gomukhasana-Arme / Kuhgesicht (nur Arme)

  • rechter Handrücken schiebt sich die Wirbelsäule entlang nach oben Richtung Kopf, linke Hand kommt von oben, Finger verhaken (oder Socke im Rücken greifen), an diesem Griff ziehen, um Brustkorb in alle Richtungen zu dehnen
  • Seitenwechsel

  • Wiederholung erste Seite
    • mit dieser Armhaltung den linken Fuß in einem großen Ausfallschritt nach hinten bringen, Hüfte dreht zum langen Mattenrand links für einen besonderen Weg in  Trikonasana / Dreieck:
      • beide Beine strecken, die rechten Rippen lang ziehen + nach rechts kippen, zuerst nur die untere Hand lösen und zum Schienbein oder auf den Boden hinter der Wade bringen, oberen Ellbogen nach oben-hinten bringen, dann oberen Arm zur Decke strecken
  • Seitenwechsel Gomukhasana-Arme + Trikonasana (rechter Fuß setzt zurück)

10. Urdhva Baddha Hastasana / Ellbogen über dem Kopf greifen

  • Tadasana hüft- oder mattenbreit, Arme nach oben strecken, Ellbogen greifen, innere Schulter nach unten ziehen, während sich die Ellbogenspitzen zur Decke strecken
  • mit gestreckten Beinen und dieser Armhaltung nach unten beugen in Baddha Hasta Uttanasana
  • Seitenwechsel Unterarmverschränkung

11. Urdhva Baddhanguliyasana / Hände verschränkt nach oben

  • in Tadasana Finger verschränken, Handflächen nach außen drehen, Arme nach oben strecken, Oberarme nah zusammen bringen, Brustkorb vom Becken wegheben
  • Seitenwechsel Fingerverschränkung

  • Wiederholung erste Seite
    • mit dieser Armhaltung den linken Fuß in einem großen Ausfallschritt nach hinten bringen, Hüfte dreht zum langen Mattenrand links für einen besonderen Weg in  Virabhadrasana II / Krieger II:
      • linkes Bein strecken, rechtes Bein tief beugen, dabei Knie zum hinteren langen Mattenrand bringen
      • 5x im Atemrhythmus beugen und strecken, Arme bleiben in Urdhva Baddhanguliyasana
    • Seitenwechsel Fingerverschränkung + Virabhadrasana II (rechter Fuß setzt zurück)

 

12. Zurück zum Boden über:

  • Tadasana
  • Urdhva Hastasana
  • Uttanasana
  • Adho Mukha Svanasana

13. Dandasana / Stock

  • aufrecht sitzen, Beine strecken, Innenknie zum Boden, Fußsohlen öffnen, Kreuzbein + Schulterblätter nach innen saugen, Brustkorb vom Becken wegheben

14. Marichyasana I / einfache Variante der Drehung über die offene Seite

  • Beine hüftbreit, linken Fuß aufstellen, mit langer Wirbelsäule nach rechts drehen, linker Ellbogen presst gegen linkes Innenknie, rechte Hand hinter Gesäß, Arme nutzen, um im Brustkorb weiter nach rechts zu drehen
  • Seitenwechsel

15. Chatuspadasana / Variation der Schulterbrücke

  • auf den Rücken legen, Füße nah am Po hüftbreit aufstellen, Füße parallel, Schultern unter den Rumpf ziehen, Becken heben, Hände unter die Fersen schieben, Handflächen nach oben, auf die Schulterspitzen kommen, Becken und Brustbein weiter nach oben heben (Alternative: Finger unterm Becken verschränken)
  • 3 Wiederholungen

16. Savasana / Totenstellung, Endentspannung

  • Arme + Beine ausstrecken, Handflächen nach oben, Gesäß weg von der Taille, Schultern unter den Rumpf ziehen
  • Arme + Beine entspannen, Bauch + Kehle weich werden lassen, Gesichts- und Kopfhaut entspannen, Augäpfel + Gehirn im Kopf nach unten sinken lassen
  • verlängerte Ausatmung unterstützt die Entspannung

Habt Ihr Fragen? Nur zu!

Eure Nici

UNSERE SCHÜLER

Tinas Challenge: Uttanasana

Tina hat 2018 einer Haltung den Kampf angesagt: Uttanasana. Die Vorwärtsbeuge im Stehen ist für sie – wie für viele andere auch – eine große Herausforderung. Wer endlich mit den Händen den Boden erreicht, ahnt, wie beruhigend und wohltuend die Übung sein kann. „Nach dem Asana fühlt man sich ruhig und abgekühlt. Die Augen beginnen zu glänzen und die Gedanken finden Frieden“, schreibt BKS Iyengar in „Licht auf Yoga“, woher übrigens auch das schwarz-weiße Titelbild stammt. – Doch bis man die Dehnung genießen kann, ist es oft ein langer Weg und Uttanasana manchmal eine Qual.

Die Sanskritsilbe „Ut“ bedeutet intensiv, „tan“ heißt strecken, „asana“ ist die Haltung. „Vorwärtsstreckung“ ist auch der bessere Begriff, denn es geht darum, die Wirbelsäule zu dehnen und zunächst mit geradem Rücken so tief wie möglich zu kommen, um die Bandscheiben nicht zu belasten.

Warum Uttanasana?

„Uttanasana gehört für mich zu den Basics“, meinte Tina zum Jahreswechsel, als sie die Idee für die Challenge hatte. „Es öffnet die Rückseite. Ich glaube, wenn ich im Stehen tiefer nach unten komme, hilft mir das auch beim Herabschauenden Hund oder bei der Vorwärtsbeuge im Sitzen. Außerdem werden der Sonnengruß und alle Flows im Yoga viel leichter. Das macht dann alles mehr Spaß.“

Tina leidet seit ihrem zwölften Lebensjahr an Kopfschmerzen und Migräneattacken. Mit 30 wurde es so schlimm, dass sie einen körperlichen Zusammenbruch erlitt. Ihre Physiotherapeutin riet ihr zu anderer Bewegung als bisher, um ihre Verspannungen zu lösen. Sie sollte nicht so hart üben wie beim Fitness- oder Lauftraining. Lieber weicher. Dehnen und entspannen, um den Körper sanft geschmeidiger zu machen. So fand sie zum YogaKraftwerk.

Zu ungeduldig für Yoga?

„Durch Yoga habe ich ein anderes Körpergefühl bekommen und meine Bewegungsabläufe haben sich verbessert. Aber es war auch ernüchternd zu erfahren, was alles (noch) nicht geht“, so Tina. Vorwärtsbeugen zum Beispiel.

Tina geht inzwischen achtsamer mit sich um. Versucht bewusst zur Ruhe zu kommen. Hat es auch mit Meditation versucht. Noch so eine Herausforderung: „Wenn Enge im Körper herrscht, ist es extrem schwer loszulassen.“ Ich staune, wie reflektiert sie darüber berichtet und wie schön sie das in Worte packen kann.

Manche Asanas helfen ihr zu entspannen. Sie hängt gern über Kopf im Seil und mag gestützte brustöffnende Haltungen. Die Suptas:

Supta Virasana, Supta Baddha Konasana, Supta Svastikasana

 

Aber Yoga braucht Zeit. Es ist leichter Kraft aufzubauen, als den Körper flexibler zu machen. Tina ging es nicht schnell genug und sie war schon fast am Aufgeben. „Ich habe meine innere Haltung noch nicht abgelegt. Ich bin zu ehrgeizig. Ich will Fortschritte sehen“, sagte sie zu mir im Januar.

Beim Yoga geht es nicht um Ehrgeiz, aber durchaus um Entwicklung. Und wenn die Entwicklung stagniert und man sich damit nicht zufrieden geben möchte, muss man etwas an seiner Praxis ändern: Mehr üben. Oder anders üben. Länger in den Haltungen bleiben. Oder ganz im Gegenteil: mehr im Flow üben. Die Yogarichtung wechseln. Den Lehrer wechseln. Einen neuen Zugang finden. Vielleicht, indem man sich selbst eine Challenge setzt, wie Tina. Und so treffen wir uns einmal monatlich außerhalb der regulären Kurse im Studio, um ihr Uttanasana zu verbessern.

Der Januar

Der Termin im Januar war in erster Linie eine Bestandsaufnahme. Nachdem sie wegen der Geburt ihrer kleinen Tochter Leni im August letzten Jahres ein paar Monate pausiert hat, kommt Tina inzwischen wieder ein- bis zweimal die Woche in unsere Kurse. Entweder zum Yin Yoga bei Janina oder zum Iyengar Yoga bei mir. Außerdem übt sie zu Hause mit YouTube-Videos. Vor allem Vinyasa-Flows, Dreh- und Dehnungshaltungen. Viel mehr geht gar nicht, Yoga ist schließlich nicht alles.

Wir gehen ein paar Haltungen durch. Machen Fotos.

Die Beinrückseiten sind bei Tina nicht verkürzt. Sie muss eher aufpassen, dass sie sie nicht überstreckt. Tina scheitert an der Beugung in der Hüfte. Es kostet sie sehr viel Anstrengung, bei einem 90°-Winkel zwischen Ober- und Unterkörper den Rücken gerade oder gar konkav zu bekommen. Also das Kreuzbein und die Schulterblätter nach innen zu saugen und das Brustbein zu heben.

Sie bekommt von mir Hausaufgaben, um das zu üben: in Ardha Uttanasana (die halbe Vorwärtsbeuge mit geradem Rücken, während die Hände auf Klötzen erhöht sind), Prasarita Padottanasana (die Vorwärtsbeuge in der Grätsche, zunächst ebenfalls konkav), Paschimottanasana (die Vorwärtsbeuge im Sitzen – mit Gurt, um an die Füße zu kommen), Adho Mukha Svanasana (der Herabschauende Hund)…

Paschimottanasana – die „Dehnung der Westseite“, wie es übersetzt heißt

Adho Mukha Svanasana – der Herabschauende Hund

Der Februar

Tinas Fortschritte sind sehr tagesformabhängig. Manchmal ist alles super, manchmal könnte sie verzweifeln. Morgens zu üben findet sie grausam, weil sie sich dann noch so steif fühlt. Normal.

„Am meisten bringt mich die halbe Vorwärtsbeuge mit Klötzen unter den Händen voran“, hat Tina festgestellt. Die Vorwärtsbeuge in der Grätsche mag sie überhaupt nicht, hat aber erkannt, dass sie ihr weiterhilft. Also übt sie sie fleißig. Mit Erfolg.

Prasarita Padottanasana – die Vorwärtsbeuge in der Grätsche

Tina beginnt ihre Homepractice jetzt immer mit dem Sonnengruß, um den Körper erst einmal geschmeidiger zu machen. Wir arbeiten mit Gurt und Klotz, um ihren Rücken konkav zu bekommen. Ich habe das Gefühl, dass es ihr inzwischen leichter fällt, in Vorwärtsstreckungen den Brustkorb zu öffnen und ihren verspannten Nacken zu dehnen.

Der März

Für den März habe ich für Tina eine Sequenz zusammengestellt, in der Uttanasana die sogenannte Peak-Pose darstellt. Also den Höhepunkt, auf den sie sich im Laufe der Sequenz mit anderen Haltungen vorbereitet. Das macht die Vorwärtsbeuge leichter und bringt schneller kleine Erfolgserlebnisse.

Uttanasana – die Vorwärtsbeuge im Stehen

Tina ist gut drauf. Hat ihre Challenge sogar noch etwas ausgeweitet und übt jetzt auch regelmäßig Chaturanga Dandasana, eine armgestützte Haltung, die Teil des Sonnengrußes ist.

 

Tina ist stärker geworden. Die Fortschritte sind unverkennbar. Und wir haben erst März. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht…

Eure Nici

 

MEINE FAMILIE

Die Kraft der Gewohnheit

Jeden Montag bekomme ich von meinem Bruder die gleiche What’sApp. Darin wünscht er mir und meinem Freund eine tolle Woche. Immer der gleiche Text, die gleichen Emojis hintendran. Immer neu eingetippt. Ebenso am Freitag. In seinem Freitags-Gruß freut sich Björn darüber, dass die Arbeitswoche fast vorbei ist und wünscht uns ein ganz tolles Wochenende. Immer wortgenau auf die gleiche Weise. Aber immer neu geschrieben. Unsere Mutter findet jeden Morgen auf dem Küchentisch eine kleine handschriftliche Nachricht von Björn – die er stets neu verfasst, auch wenn sich an dem Text nichts verändert. Jeden Vormittag ruft er sie in seiner Frühstückspause an, um ihr zu sagen, dass er gut auf seiner Arbeitsstelle angekommen ist… Wir wünschen uns oft, dass er ein bisschen abwechslungsreicher wäre, aber wenn wir mal nichts von ihm hören, machen wir uns sofort Sorgen. Also ist es wohl gut so, wie es ist.

Ein besonderes Leben

Es ist ja schon großartig, dass Björn überhaupt schreiben kann. Dass er Arbeit hat und dass er selbstständig mit Rad und Straßenbahn dahin fahren kann. Mein Bruder lebt mit einer geistigen Behinderung. Kurz nach seiner Geburt habe ich ihn als damals Siebenjährige völlig verkrampft und knallrot in seinem Babykörbchen vorgefunden. Er hatte einen epileptischen Anfall. Das Bild habe ich heute noch im Kopf. Björn kam sofort ins Krankenhaus und lag dort drei Tage im Koma. Keiner wusste, ob er es schaffen würde. Das war wohl der Auslöser für seine Behinderung. Die Ärzte haben meiner Mutter später gesagt, dass er nie eine Schule besuchen wird. Er hat ihnen das Gegenteil bewiesen.

Nach mehreren Anläufen kam Björn mit neun Jahren auf die Sonderschule, hat diese auch abgeschlossen und ist danach zum Gartenfachwerker ausgebildet worden. Er war seither fast durchgängig in diversen Jobs beschäftigt – und das in einer Region mit ziemlich hoher Arbeitslosigkeit. Unsere Mutter hat ihn immer gefördert und immer für ihn gekämpft. Sie hat sich sogar mal an den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt gewandt, damit Björn wieder Arbeit bekommt. Und war erfolgreich damit. Zur Zeit arbeitet er als Hausmeister-Assistent an einer berufsbildenden Einrichtung.

Es dauert seine Zeit, bis Björn etwas begreift. Aber wenn er einmal eine neue Aufgabe erlernt und diese zur Routine entwickelt hat, kann man sich blind auf ihn verlassen. Deshalb ist er bei seinen Kollegen und Vorgesetzten auch immer sehr beliebt. Er erledigt seine Arbeit gewissenhaft, auch wenn sie ihm den Rücken zudrehen. Monotone Aufgaben stören ihn nicht. Im Gegenteil.

Nur keine Überraschungen

Björn mag keine Überraschungen. Alles, was ihn aus seinem immergleichen Tagesrhythmus bringt, stresst ihn. Er ist der unflexibelste Mensch, den ich kenne. Seine Wochenenden sind ihm heilig und genau durchgetaktet mit Hausarbeit, Mahlzeiten, Sport, Mittagsschlaf, Fernsehprogramm. Wenn wir mit ihm verreisen wollen, müssen wir ihn lange im Voraus darauf vorbereiten, damit er sich mental darauf einstellen kann. Er freut sich, wenn ich zu Besuch nach Hause komme, aber er will deshalb nicht seine Lieblingsserien verpassen. Wenn ich ihn zu einem Ausflug überreden kann, muss ich dafür sorgen, dass er trotzdem um 14:30 Uhr einen Kaffee bekommt. Sonst verderbe ich ihm den Spaß daran. Und mir damit auch.

Das hat viele Vorteile. Björn ist durch und durch berechenbar. Aber manchmal kippt dieses Verhaftetsein an Gewohntem in Trägheit um. Dann wird er bequem, isst zu viel, bewegt sich weniger. Wenn Björn zunimmt, ist er weniger konzentriert und aufnahmefähig. Das will ich nicht verallgemeinern, aber bei ihm ist das so. Und es ist dann ein langer Prozess, bei ihm den Schalter wieder umzulegen.

Björns 15 Minuten Ruhm…

Sich durch nichts und niemanden von seinen Routinen abhalten zu lassen, kann auch gefährlich werden: Letztes Jahr ist Björn in aller Seelenruhe durch eine Polizeiabsperrung geradelt, die unerwartet seinen Nachhauseweg blockiert hat. Er hat  die 50 Einsatzkräfte ignoriert, die in Schutzanzügen (!) 140 Kilo mutmaßlichen Giftstoff entsorgt haben, der dort illegal abgeladen wurde. Mein Bruder ist einfach durch das weiße Pulver gefahren. Die Polizei war fassungslos. Daraufhin mussten er und sein Fahrrad dekontaminiert werden. Das stand am nächsten Tag sogar in der Zeitung.

Trotzdem sind die Gewohnheiten wichtig. Sie schenken Björn Kraft und Ruhe. Sie sind sein Anker. Geben ihm Halt und Sicherheit. Die Routinen sind derart verinnerlicht, dass er keine ermüdenden Entscheidungen treffen muss. Der gewohnte Gang macht ihn zufrieden, geerdet. Ich glaube, er ist ein glücklicher Mensch.

Magie beginnt außerhalb der Komfortzone

Aber Entwicklung passiert außerhalb der Komfortzone. Wenn wir uns auf fremdes Terrain begeben, unseren Horizont erweitern, etwas Neues lernen müssen oder wollen. Durch einen Jobwechsel, neue Ziele, neue Aufgaben, die auch irgendwann in Fleisch und Blut übergehen. Nur so ist Björn zu dem geworden, der er heute ist: Ein selbstbewusster, starker Mann. Meistens jedenfalls. Wir würden ihn nicht alleine wohnen lassen, aber er kann durchaus ein paar Tage ganz selbstständig zurecht kommen. Wer hätte das früher gedacht? Ich bin unglaublich stolz auf ihn.

GASTBEITRAG

Das Kreuz mit dem Rücken

Von Anne Leiss, Feldenkrais®-Practitioner

Über 80% der Deutschen haben mindestens einmal im Leben Rückenschmerzen. Oftmals kommen diese und verschwinden wieder – wie ein Schnupfen. Jedoch ca. ein Drittel der Bevölkerung plagt sich mit chronischen oder wiederkehrenden Rückenproblemen und sogar jeder achte Deutsche hat täglich Beschwerden. In Bezug auf Anzahl der Tage und Fälle von Arbeitsunfähigkeit stehen Rückenschmerzen an erster Stelle und führen wie keine andere Erkrankung zu einer Frühberentung und zu hohen Kosten.

Doch trotz dieser großen Verbreitung ist es erstaunlich, dass sich bis Ende des letzten Jahrtausends nur 0,2% der medizinischen Studien mit diesem Thema beschäftigten (Egon Jonsson). Erst seit 2000 ändert sich die Landschaft wissenschaftlicher Untersuchungen in den Bereichen der Medizin und Psychologie.

Rückenschule – alte Schule

Wenn es um die Linderung und Vorbeugung von Rückenschmerzen ging, galt lange Zeit die Rückenschulbewegung als DIE Maßnahme. Ihr ist es zu verdanken, dass die Bedeutung von Rückenschmerzen ins öffentliche Bewusstsein getragen und viel diskutiert wird. Jedoch in jüngster Zeit ist sie vom Thron gestürzt. Insbesondere bei unspezifischen, chronischen Rückenschmerzen ist ihr Beitrag zur Lösung in die Kritik geraten.

Eine zu starke Beschäftigung mit einer stets rückengerechten Haltung kann sogar kontraproduktiv wirken. In einer im Dezember 2005 auf einem Fachkongress vorgestellten Studie der Bertelsmann Stiftung lautet das Fazit: „Traditionelle Rückenschulen helfen Patienten nur wenig dabei, Bewegungsangst abzubauen und eine positive Einstellung zum eigenen Rücken zu entwickeln. Anstatt zur Aktivität zu ermuntern, legen sie zu viel Wert auf die Schulung rückengerechten Verhaltens und können damit sogar Bewegungsangst fördern.“

Das Problem des alten Erklärungsmodells ist, dass es auf Störungen in Bandscheiben, Wirbelkörper, Wirbelgelenke, Sehnen, Muskeln ausgerichtet ist. Es vermittelt den irrigen Eindruck, dass bei genauer Diagnostik EIN Bereich im Rücken die Schmerzen verursacht. Mittlerweile belegen viele Studien, dass wiederkehrende Rückenschmerzen – viel seltener als angenommen – eine direkte Folge von Abnutzungserscheinungen an den  Bandscheiben, den Wirbeln und ihren Gelenken sind.

Muckis gegen Schmerzen?

Fitnessstudios setzen auf leistungsorientierte, muskelaufbauende Maßnahmen. Das ist grundsätzlich gut. Aber es ist ein fataler Irrtum zu glauben, dass Bewegungsschmerzen bei vermehrter Kraftanstrengung verschwinden. Muskulatur, die sich über lange Zeit in einem erhöhten Spannungszustand befindet (wie es bei chronischen Rückenschmerzen der Fall ist), kann nicht durch starke und lang gehaltene Kräftigungs- und Dehnungsübungen wieder in einen „gesünderen“ Zustand gebracht werden. Vielmehr kann übermäßiges Bewegen den Rücken destabilisieren und damit den Weg für ernsthafte Rückenprobleme ebnen. Hinzu kommt, dass die Betroffenen ihren Rücken fälschlicherweise als unveränderbar geschädigt erleben können.

Die Entwicklung von Rückenschmerzen ist weit mehr und wird durch eine spezifische Eigendynamik bestimmt, welche sich nur selten auf eine klar umrissene Ursache zurückführen lässt. Was einmal der Auslöser für die Schmerzen gewesen ist, spielt für die Chronifizierung eine untergeordnete Rolle. Verantwortlich ist eine Störung, die körperliche Strukturen genauso wie komplexe Prozesse der Schmerzbewertung betrifft. In vielen Studien wurde inzwischen nachgewiesen, dass eine Chronifizierung von Schmerzen mit einer „Ausbreitung der Schmerzen auf mehreren Ebenen einhergeht – der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene.“ (Ljutow, Nagel 2005).

Wie übe ich richtig?

Was kann Mann bzw. Frau nun tun, um wiederkehrenden Rückenschmerzen entgegenzuwirken und ihnen vorzubeugen? Was kann helfen?

Eine mögliche Antwort lautet: ein multidimensionaler Ansatz mit dynamischen Übungen, einer Verhaltenstherapie und einem individuellen Behandlungsprogramm. Konkret heißt das:

  • Übungen, die über einfache, angenehme und möglichst ganzheitliche Aktivitäten Bewegungsspielräume erweitern.
  • Verhaltenstherapeutische Ansätze mit den Zielen bspw. die Fixierung auf den Rücken abzubauen, den eigenen Mut wiederzufinden, Resignation gegenüber dem Schmerz abzubauen, für den beruflichen wie privaten Alltag Entlastung zu erlernen, Spaß an der regelmäßigen körperlichen Aktivität zu erfahren.
  • Multidisziplinäre Maßnahmen, die sich durch ein hohes Maß an Individualisierung auszeichnen und verschiedene Therapieansätze verbinden. So kann jede Behandlung z. B. eine medikamentöse oder andere Schmerztherapie durch körperliche Übungen begleitet werden und diese erfolgreich unterstützen. (VIVEKA Heft 38)

 

Diese Erkenntnisse unterstützen meine persönliche Empfehlung, nämlich die Kombination von Feldenkrais und Yoga.

Auf den ersten Blick gehen die Ziele der beiden Bewegungsmethoden kaum miteinander. Vereinfacht gesagt, geht es bei Yoga um das Erreichen einer bestimmten Haltung / Dehnungsposition, also um das Erreichen eines bestimmten Ziels. Dagegen bei Feldenkrais ist der Weg das Ziel.

Doch genau in dieser Kombi liegt der Reiz.

Was verbindet Yoga und Feldenkrais?

Beides, Feldenkrais und Yoga, helfen bei der Bewältigung von Rückenschmerzen durch einen besonderen Umgang mit dem Körper.  Beiden ist es fremd, einen einzelnen Körperbereich oder gar Muskel isoliert zum Gegenstand einer Übung zu machen. Mit jeder Übung wird der ganze Körper angesprochen. Durch konzentrierte Bewegungsabläufe, in enger Verbindung mit dem Atem, wird ein ganzheitliches Erleben erreicht.

Die Praxis lebt vom Vertrauen in die Möglichkeit, durch eigenes Zutun positive Veränderungen zu bewirken. Dieses Vertrauen in die eigene Kraft (im Yoga: Iraddha) ist eine wesentliche Komponente für einen Erfolg.

Regelmäßigkeit im Üben ist jeweils eine Voraussetzung für eine positive Wirkung auf Rückenprobleme. Unterstützung erfährt sie, wenn das Üben Spaß macht, wenn die Erfahrungen angenehm sind. Hierfür ist die Vielfalt der jeweiligen Übungen schier endlos und dazu prädestiniert, Übungen für das individuelle Problem zu finden, die dem eigenen Körper Bewegung und Aktivität ohne Schmerz erlauben.

Über die spezielle Wirkweise von Yoga, kann Euch Nici jede Menge berichten. Nun will ich mich meiner Leidenschaft, der Praxis der Feldenkrais-Methode widmen:

Das Besondere an der Feldenkrais-Praxis

Bei der Feldenkrais-Methode steht die Bewegungsqualität im Vordergrund. Hier geht es während einem sehr langsamen und sanften Ausführen von Bewegungen darum, herauszufinden, welche Muskeln aktiv sind. Meist sind es nämlich zu viele Muskeln, die arbeiten / sich anstrengen. Diese überflüssigen Anstrengungen werden gesucht, um sie abstellen zu können. Es geht um die Frage, was ist wirklich wichtig für diese Bewegung und was ist überflüssig?

Ziel ist es, Unmögliches möglich, Mögliches leicht und Leichtes elegant zu tun.

Die kleinen und langsamen Bewegungen erscheinen zunächst irritierend. Wir sind mit gymnastischen und anstrengenden Übungen groß geworden, und nun soll genau das Gegenteil Erfolg versprechen? Der Grund ist einfach erklärt: Die bewusste Wahrnehmung der kleinen, langsamen Bewegung nimmt über das Nervensystem mit der Schaltzentrale, unserem Gehirn, Kontakt auf. Hier ruht der Plan einer gewohnten (und möglicherweise unangemessenen) Bewegung, und hier entsteht der Plan für eine neue Bewegung.

Eine Feldenkrais-Stunde hat etwas von einer Entdeckungsreise: So wie Kolumbus die (neue) Welt entdeckte, lassen sich Bewegungen entdecken. Die aufmerksame Beobachtung der reduzierten (auf das Ausmaß und die Geschwindigkeit) Bewegungen zeigt uns auf, welches Echo sie wo in uns auslösen.

Die umfassende Bewusstheit ist die Grundlage, die eigenen Bewegungsmuster zu erkennen und gegebenenfalls zu verändern. Das Ausprobieren von verschiedensten Varianten, „das Differenzieren“ wie wir Feldenkrais-Lehrer sagen, lässt uns erfahren, dass wir mehr Möglichkeiten, mehr Alternativen, zur Verfügung haben.

Die bewusste Ausführung konfrontiert den Feldenkrais-Praktizierenden mit seiner persönlichen Strategie: Wie schnell gehe ich wie weit? Wann gebe ich auf? Wo übergehe ich einfach Hindernisse? Akzeptiere ich meine Asymmetrie oder fällt es mir schwer? Was tue ich, wenn ich (kurz) nicht weiter weiß?

Dr. Moshé Feldenkrais war überzeugt „sich selbst zu erkennen, ist das Wichtigste, was ein Mensch für sich tun kann“. Und der große Yogi Ramana Maharshi widmete sich zeit seines Lebens (fast zur parallelen Zeit) der Frage: „Wer bin ich?“

Probiert es! Lernt die Feldenkrais-Methode kennen, ich garantiere Euch eine Erleichterung und Verbesserung Eurer Yogapositionen durch das Lernen, dass die Bewegungsabläufe weniger Anstrengung bedürfen, als ihr denkt!

Mein nächster Feldenkrais-Kurs im YogaKraftwerk beginnt am Donnerstag, den 12. April:

https://www.yogakraftwerk.de/Studio/Aktuelles/Aktuelles.php?we_objectID=143

Eure Anne!