UNSERE LEHRER

Zu Gast: Karo Wagner

„Was sind depressive Stimmungen? Wer kennt’s?“, fragt Karo herausfordernd in die Runde der 20 Teilnehmer ihres Workshops im YogaKraftwerk. Es meldet sich erstmal niemand, statt dessen sehen sich alle etwas unsicher um. Karo lässt nicht locker: „Na los. Hosen runter. Wir sind unter uns.“ Und schließlich gehen doch die Finger nach oben. Immer mehr. Etwa die Hälfte der Anwesenden meldet sich. Jetzt kommen auch die ersten Antworten auf Karos Eingangsfrage. In einer depressiven Phase empfinden sie „Leere“, „Antriebslosigkeit“, fühlen sich „kraftlos“.

Die zaghafte Reaktion entspricht Karos Erfahrung. Depression ist ein Tabu-Thema. Doch sie selbst ist damit immer sehr offen umgegangen. Und so haben sich ihr gegenüber auch viele andere geöffnet, die immer mal wieder in ein dunkles Loch fallen.

Karo Wagner ist Yogalehrerin für Vinyasa und regenerativen Yoga und leitet die Vinyasa Yoga Akademie, die in Deutschland und in der Schweiz Aus- und Weiterbildungen anbietet. Sie hat inzwischen zwei Bücher veröffentlicht, hat einen Blog, einen YouTube-Kanal. Sie ist eine Power-Frau, die oft 70, 80 Stunden in der Woche gearbeitet hat. „Doch wenn man so extrem im Yang lebt, dass das Yin, das Nichtstun, gar keinen Raum mehr hat, dann geht vielleicht irgendwann von heute auf morgen gar nichts mehr.“

Karo bekam eine schwere Depression mit Burn Out-Tendenzen, die sie viele Jahre begleitet hat und immer noch prägt. „Ich empfinde in diesen Phasen eine tiefe Traurigkeit. Ein ganz schweres Körpergefühl. Es ist eine schwere, dunkle Energie, die selbst die einfachsten Dinge fast unmöglich macht: zum Briefkasten laufen, etwas aus dem Kühlschrank holen, mit dem Hund Gassi gehen…“

„Yoga gegen dunkle Tage“ ist auch ein schweres Thema, das in einem krassen Gegensatz zu unseren anderen Workshops steht, in denen meist viel gelacht und geschwitzt wird. Aber die große Resonanz, die persönliche Betroffenheit einiger Teilnehmer und das Wissen um manche Betroffene im Bekanntenkreis zeigt, wie wichtig das Thema ist. Karos Offenheit, ihre sehr persönliche Geschichte und die Eindringlichkeit, mit der sie anderen mit der eigenen Erfahrung helfen möchte, ist zudem sehr berührend.

Karo Wagner im YogaKraftwerk

„Ich habe zuerst versucht, das Problem selbst zu lösen. Ich bin ja eine Yogini. Und aus dieser Arroganz heraus dachte ich, ich schaffe das alleine.“ Das hat sie nicht. Aber die Jammer- und Opferrolle war auch keine Option. Also hat sie sich Hilfe geholt. Das empfiehlt sie auch allen anderen, die darunter leiden. Hier sind ein paar ihrer wichtigsten Tipps:

  • Nimm das Problem an. Akzeptiere es einfach. Dann wirst du lösungsorientiert.
  • Such dir den für dich richtigen Therapeuten. Eine reine Gesprächstherapie taugt vielleicht nicht für jeden.

Sie selbst hat eine Transformations-Therapie nach Robert Betz gemacht. „Es gibt einen Grund, warum die Seele so tieftraurig ist. Bei mir war es ein vorgeburtliches Trauma. Mein Zwillingsbruder kam tot zur Welt. Und das kam irgendwann in meinem Erwachsenenleben wieder hoch. Gefühle lassen sich nicht wegdrücken. Sie kommen dann nur umso stärker wieder. Sie wollen beachtet werden, dann lassen sie auch wieder nach.“

  • Fokussiere dich auf Heilung. Denn die Energie folgt der Aufmerksamkeit. Konzentriere dich also auf das, was du dir wünschst.
  • Mach dir eine Liste mit all deinen Kraftquellen. Was tut dir gut? Spaziergänge, Massagen, gutes Essen,… Sieh regelmäßig auf die Liste und gönn dir etwas davon.
  • Komm in Bewegung: Yoga, joggen, wandern,…
  • Schreib Tagebuch. Gedanken kreisen, sie kommen immer wieder hoch. Durch das Schreiben kannst du sie besser loslassen.
  • Kultiviere Dankbarkeit. Sei dankbar für das, was du hast. Für alles, das schön ist in deinem Leben.
  • Du bist nicht depressiv. Du fühlst höchstens eine depressive Stimmung. Gefühle kommen und gehen.
  • Finde ein Tool, mit dessen Hilfe du dich vollkommen entspannen kannst: Yin Yoga, Hz Healing Music,…
  • Iss gesund. Integriere stimmungsaufhellende Nahrungsmittel wie Walnüsse oder Avocados in deinen Speiseplan.
  • Meditiere.

Karo schwört auf die geführten Meditationen von Joe Dispenza. „Früher habe ich nur die Stille gesucht, heute meditiere ich auf die Freude. Das hält für Stunden an.“

  • Nutze Affirmationen.

Auf dem Weg zum YogaKraftwerk ist Karo in einen Stau geraten und es war fraglich, ob sie es überhaupt pünktlich zum Workshop schafft. „In so einer Situation lasse ich einfach Worte in mir schwingen. Wie ‚Gelassenheit. Ich bin gelassen. Gelassenheit ist in mir und um mich herum….'“ Sie kam punktgenau im Studio an.

  • Yoga. Immer wieder Yoga. Auch um die Faszien zu dehnen, die sich bei Stress zusammenziehen und den Körper schwer machen.

Und so lassen wir uns im zweiten Teil von Karo in einer Yogapraxis anleiten, die erst alles Schwere abschüttelt, dann das Herz öffnet und die Gedanken zur Ruhe kommen lässt.

Herzöffner schenken neue Kraft und Energie

Als ich am nächsten Morgen viel zu früh aufstehen muss, ruf ich mir die Affirmationen in Erinnerung und lasse die Worte in mir schwingen: Ich bin wach. Wachsein. Klarheit. Ich fühle mich wach und klar… Es hat geholfen.

Eure Nici

UNSERE SCHÜLER

Tinas Challenge – Uttanasana (die Bilanz)

Ist eine Yoga-Challenge ein Widerspruch in sich? Trage ich zur Versportlichung des Yoga bei, wenn ich eine Challenge unterstütze? Ist das dann noch Yoga?

„Yogas citta vritti nirodhah“ – das Zur-Ruhe-Bringen der Bewegungen in unserem Geist ist das Ziel des Yoga. So heißt es in den Yoga-Sutras des Patanjali. Yoga soll also den Affen im Kopf besänftigen. Tina hatte ein anderes Ziel.

Uttanasana, die stehende Vorbeuge

Sie hat sich Anfang 2018 vorgenommen, mit den Händen zu den Füßen zu kommen. Tina wollte endlich die stehende Vorwärtsbeuge – Uttanasana – packen, und ich habe sie das ganze letzte Jahr dabei begleitet (siehe auch http://nicitannert.de/tinas-challenge-uttanasana/ und http://nicitannert.de/tinas-challenge-uttanasana-2-teil/). Flexibler werden zu wollen ist natürlich ein vordergründig körperliches Anliegen. Aber warum üben wir denn überhaupt so viele Asanas, wenn es doch eigentlich um den Geist geht?

Weil es noch viel schwerer ist, den Geist zur Ruhe zu bringen, wenn es im Körper spannt und zwickt. Weil Verspannungen, Steifheit oder Schmerzen uns irritieren, beschränken und ablenken. Weil wir es sonst gar nicht lang genug in einem statischen Meditationssitz aushalten, um den Blick wirklich nach innen zu richten. Das weiß Tina aus Erfahrung. Sie hat es probiert.

Die Asana-Praxis kommt auf dem Achtstufigen Yogapfad (Ashtanga Pada) lange vor der Meditation. Sie „reinigt den Körper, führt zu guter Gesundheit, Ruhe und Festigkeit“, steht in der Hatha Yoga Pradipika, einer der bekanntesten klassischen Yogaschriften aus dem 14. Jahrhundert. Von einer persönlichen Challenge ist darin nicht die Rede. Aber warum sollte man sich bei der Yogapraxis keine Ziele setzen können, solange man achtsam übt? Sich einer Herausforderung zu stellen, kann den inneren Schweinehund besiegen und für Disziplin und Regelmäßigkeit sorgen. Das wiederum lässt die Übungspraxis zu einer Gewohnheit werden, die man vielleicht bald nicht mehr missen möchte und die einen letztendlich stark, gesund und beweglich hält. Bis ins hohe Alter, wenn man in der Regel mehr Zeit hat, um nach innen zu schauen, als in jüngeren Jahren.

Tina hat sich jedenfalls ein Jahr lang fast täglich an der Vorwärtsbeuge in all ihren Variationen sowie vielen vorbereitenden Asanas geübt. „Es war eine lange Reise, mit allen Höhen und Tiefen. Auch in Bezug auf die Motivation“, resümiert sie heute. „Ich hatte immer mal wieder Formkrisen, Frust oder einfach keinen Bock auf das Dehnungsziehen beim Üben.“ Hinzu kam die Herausforderung, mit einem immer munterer werdenden Kleinkind an der Seite Zeit zum Üben zu finden und auch dann zu praktizieren, wenn man eigentlich gerade ganz andere Sorgen hat. Aber Tina ist am Ball geblieben. Und es hat sich gelohnt.

Paschimottanasana, die „Dehnung der Westseite“ im Sitzen
Prasarita Padottanasana – auch in der Grätsche kommt Tina jetzt besser runter

„Mein Körpergefühl und Körperbewusstsein haben sich EXTREM verbessert.“ Tina hat zwei unterschiedliche Körperhälften. Wie wir alle. Wer ist schon symmetrisch? „Bei mir steht das rechte Schulterblatt etwas höher. Das beeinflusst natürlich meine Haltung und bringt auch ein paar Probleme mit sich. Aber ich habe jetzt ein besseres Gefühl für diese Unterschiedlichkeit der Seiten und kann nun mit meiner Osteopathin daran arbeiten. Mein Verständnis für die Ausrichung in den Yogahaltungen ist größer geworden und ich habe einen Bezug zu meiner steifen Brustwirbelsäule gefunden.“ Dadurch fallen ihr heute Asanas wie Parivrtta Trikonasana, das Gedrehte Dreieck, deutlich leichter als noch vor ein paar Monaten.

Die Zeit, die sie in Dehnungshaltungen investiert hat, zahlt sich für Tina aus. „Die Flexibilität, die ich mir erarbeitet habe, hält auch eine Weile an. Selbst wenn ich nicht jeden Tag übe. Bei den Haltungen, die mehr Kraft erfordern – wie Chaturanga – ist das anders. Die Kraft ist schneller wieder weg, wenn man nichts mehr macht.“

Tina hat auch zu Hause fleißig geübt

Die neue Beweglichkeit macht die Übungspraxis für Tina schöner. Sie kann nun geschmeidig durch Vinyasas fließen und braucht für ihre normale Yogasession keine Hilfsmittel mehr. Mit der Kraft und dem neuen Körpergefühl kommt auch die Lust auf Asanas, die sie früher konsequent gemieden hat, wie den Kopfstand. Sie hat mehr Durchhaltevermögen und wirkt gelöster in den Yogastunden. „Ich bleibe auf jeden Fall dran. Das will ich nicht wieder verlieren“, betont sie.

Die meisten finden den Weg ins Yogastudio über den Körper. Sie kommen, wenn sich die ersten körperlichen Probleme einstellen, und erhoffen sich durch den Yoga Linderung. Oder sie kommen, weil es grad im Trend liegt oder weil sie die Yogaposen in den Sozialen Medien cool finden. Viele – wie auch Tina – möchten früher oder später mehr über den Yoga erfahren und beginnen sich dann auch für die Historie und die Philosophie dahinter zu interessieren. Anderen reicht der körperliche Aspekt. – So what? Wenn Yoga „nur“ dazu beiträgt, dass sich so viele Menschen wie möglich mit ihrem Körper und ihrer Gesundheit bewusst auseinandersetzen, dann ist doch schon ganz viel gewonnen.

Yoga ist kein Wettbewerb, aber eine persönliche Challenge allemal.

Mehr Kraft – mehr Mut

Eure Nici



UNSERE LEHRER

Zu Gast: Jelena Lieberberg

„Angst ist gut. Angst schützt uns vor Leichtsinn. Bekämpft nicht die Angst, sondern baut Kraft auf. Wenn Ihr stärker werdet, verschwindet die Angst von ganz alleine.“ Die Angst vor Umkehrhaltungen zum Beispiel. Jelena ist ein Meister darin. Sie ist ständig über Kopf. Auf dem Kopf, auf den Unterarmen, auf den Händen. Zur Zeit arbeitet die ehemalige VIVA-Moderatorin und Sängerin am einarmigen Handstand. Frei.

Jelena kam mit 12 Jahren erstmals mit Yoga in Berührung. Damals hat sie ein serbokroatisches Yogabuch ihrer Mutter in die Finger gekriegt, in dem eine Frau in Strumpfhosen abgebildet war. „Das fand ich witzig“, meint Jelena heute. „Ich habe das Buch gerade erst wiedergefunden. Die Haltungen darin sind zum Teil furchtbar. Der Handstand ist total krumm. Aber die Seiten sind voller Sticker von mir. Ich habe das Buch offenbar viel benutzt.“

Wie so viele andere Frauen auch, hat sich Jelena während der Schwangerschaft mit ihrer ersten Tochter vor 15 Jahren wieder an Yoga erinnert und nach der Geburt die Yogapraxis intensiviert. Nach dem zweiten Kind hat sie sich zur Yogalehrerin ausbilden lassen und begonnen zu unterrichten. Heute gibt sie hauptsächlich Privatstunden und rockt Menschenmassen auf Yogaevents wie der YogaWorld oder Wanderlust. Sie hat die Marke Kiss Ass Yoga gegründet, arbeitet als Kolumnistin für das YogaJournal und hat zwei Yogabücher geschrieben. Und vor allem praktiziert sie viel selbst. Sie entwickelt sich immer weiter.

Genau das macht ihren Unterricht aus. Jelena weiß genau, wovon sie spricht. Das sollte auch so sein, ist jedoch längst nicht selbstverständlich. Sie hat ihre Lehrer, ist selbst immer auch Schülerin. Es steht schon wieder eine fünftägige Weiterbildung in London an, bei der täglich 6 Stunden am Handstand gefeilt wird. Sie macht das für sich. Aber das Wissen und die Erfahrung fließen natürlich auch in ihren Unterricht ein.

Die Masterclass „Twist & Shout“ mit Jelena Lieberberg im YogaKraftwerk

Ihre tägliche eigene Praxis sieht so aus: „Wenn die Kinder aus dem Haus sind und ich mit dem Hund draußen war, übe ich mit den Faszienrollen und wärme mich an einer Klimmstange in unserem Türrahmen auf. Dann geh ich zum Bouldern oder Kampfsport oder praktiziere Ashtanga.“

Schon als Kind hat sich Jelena in den Handstand an die Tür geworfen, seit 5 Jahren arbeitet sie ernsthaft daran. Um sich zur täglichen Praxis zu disziplinieren, nimmt sie nun schon das zweite Jahr an einer Handstand-Challenge (#365daysofhandstands) teil. Ihre Entwicklung kann man täglich auf Instagram verfolgen. Mehr als 68.000 Follower machen das. Ihre Posts sind lehrreich und oft selbstironisch. Man schaut ihr einfach gerne zu.

Starke Arme, starker Rumpf – Vorbereitungsübungen für den Handstand

Aber wir wollen ja selber stärker werden. Was sind die Empfehlungen der Expertin? „Die Hände und Handgelenke aufwärmen, Vorbeugen üben und Spagat. Liegestütze, Chaturanga, Handstand an der Wand, mit dem Bauch zur Wand in den Handstand laufen,…“ Das alles hat sie mit uns bei ihren Gastlehrer-Workshops gemacht. Es war toll. Spielerisch, schweißtreibend und sehr bereichernd. Jelena will wiederkommen. Ich freue mich jetzt schon darauf!

Eure Nici

ASANA-PRAXIS

Nach der Indienreise – neue Impulse

Die intensive 5-wöchige Übungszeit am Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute in Pune, Indien, hat Spuren hinterlassen. Ich habe mich nicht nur weitergebildet, sondern auch weiterentwickelt. Das wirkt sich sowohl auf meine eigene Yogapraxis wie auch auf meinen Unterricht aus – und hat den einen oder anderen meiner Schüler sicher überrascht…

Das Chanten

Wer bislang nur deshalb in meine Yogastunden gekommen ist, weil ich keine Mantren (nicht mal das OM) singe, hat leider Pech gehabt. Jetzt chante ich am Anfang jeder Iyengar Yogastunde das Loblied an Patanjali und das Guru-Mantra.

Warum erst jetzt?

Manchmal muss man erst hineinwachsen. Ich kann die Verse seit langem in- und auswendig. Wir haben sie bei der Ausbildung regelmäßig gesungen, wir chanten sie bei jeder Fortbildung oder Convention. Es ist wunderschön, wenn viele Menschen gemeinsam ein Mantra singen. Es ist etwas anderes, alleine vorzusingen. Das hab ich bislang einfach nicht geschafft. Ich fand es nicht authentisch und wollte nicht nur singen, weil es alle so machen. Das war nicht ich. Da es trotzdem am Beginn einer Yogasession ein Einstiegsritual gebraucht hat, um den Alltag hinter sich lassen und den Schalter im Kopf auf Yoga umstellen zu können, hab ich bislang die Konzentration auf den Atem lenken lassen.

Doch in Indien haben wir diese Verse vor jeder Yogastunde gesungen, also meist zweimal am Tag. Und je öfter wir gesungen haben, desto mehr wollte ich das beibehalten. Es sind Verse, mit denen ich mich identifizieren kann. Sie haben etwas Erhebendes, aber ohne Götterverherrlichung, mit der ich mich schwertue. Deshalb singe ich jetzt die Invocation und ich würde mich freuen, wenn meine Schüler mit der Zeit einstimmen. Aber das ist allein ihre Entscheidung.

Was singen wir denn da genau?

Patanjali war ein indischer Gelehrter, der vor ca. 2000 Jahren gelebt haben soll und als Verfasser des Yogasutra gilt. In diesem Werk wird in 195 Sanskrit-Versen alles Wissen über den Yoga aus den alten vedischen Schriften zu einem Leitfaden zusammengefasst, der heute noch die Grundlage unserer Praxis ist. Das Loblied beschreibt recht sachlich Patanjali und seine Leistung: Er gilt als Inkarnation der Schlange Adishesha, weshalb er mit einem Schlangenschwanz als Unterkörper dargestellt wird und sich 1000 Kobra-Köpfe über seinem menschlichen Haupt auffächern. Er soll dreimal geboren worden sein und jedes Mal eine große Leistung für die Menschheit hinterlassen haben: Er gab uns den Yoga, um den Geist zu reinigen und das Bewusstsein zu klären. Er gab uns den Ayurveda, um durch diese Heilkunst die Unreinheiten des Körpers zu beseitigen, die uns krank machen. Und er gab uns die Grammatik, damit wir uns mit klaren, reinen und eindeutigen Worten ausdrücken können.

Das sind die Zeilen, die Patanjali gewidmet sind:

Yogena Cittasya Padena Vacam

Malam Sarirasya Ca Vaidyakena

Yopakarottam Pravaram Muninam

Patanjalim Pranjalir Anato’smi

Abahu Purusakaram

Sankha Carkrasi Dharinam

Sahasra Sirasam Svetam

Pranamami Patanjalim

Das Guru-Mantra widerum ist nach meinem pragmatischen Verständnis eine Ode an das lebenslange Lernen. Ein Guru ist ein (spiritueller) Lehrer. „Gu“ bedeutet „Dunkelheit/Finsternis“, „ru“ heißt „Licht“. Ein Guru ist also jemand, der Licht ins Dunkel bringt, aufklärt oder Unwissenheit beseitigt. Das Mantra besagt, unser Entstehen ist Guru, das Leben selbst ist Guru, aber auch Schicksalsschläge, Krankheiten und Tod – also die Zerstörung, aus der wieder etwas Neues entstehen kann – sind Guru. Wir selbst sind Guru, alles um uns herum ist Guru.

Wenn wir meinen, schon alles zu wissen, können wir uns nicht weiterentwickeln. Arroganz und Ignoranz, unser Ego, halten uns in der Dunkelheit. Aber wenn wir bereit sind, uns für neues Wissen zu öffnen, dann erdet uns das und erhellt gleichzeitig unseren Horizont. Yoga braucht Hingabe, Disziplin und ein gewisses Maß an Demut. Und so wurde die Wissenschaft und Weisheit, die Philosophie und die Bewegungslehre des Yoga jahrtausendelang von Lehrer zu Schüler weitergegeben. Für mich ist das Guru-Mantra damit auch eine Ode an alle Lehrer, die den Yoga im Laufe der Zeit zu uns gebracht haben. Das ist der Text:

Guru Brahmā Gurur Vishnur

Guru Devo Maheshvarah

Guru Sākshāt Param Brahma

Tasmai Śrī Gurave Namah

Mantren gehören auch im Ayurveda zum Reinigungs- und Heilungsprozess.

Menstruationspraxis

Yoga während der Menstruation tut gut, aber in dieser Zeit sollte frau anders üben. Das weiß ich, hab es auch immer mal wieder erwähnt und sogar Workshops dazu gehalten, in den laufenden Klassen aber eher ignoriert. Nach dem Aufenthalt bei den Iyengars in Pune, die das Thema sehr ernst nehmen, hab ich das jetzt geändert. Auch, weil ich mich immer mehr in den Ayurveda vertiefe.

Warum erst jetzt?

Ich unterrichte neben Iyengar Yoga auch Aerial Yoga. Bei den Yogahaltungen im und mit dem Tuch spielen Umkehrungen eine große Rolle – und die sind bei der Periode ungeeignet. Ich wollte nicht mit zweierlei Maß messen und in den Iyengar Yogakursen auf etwas bestehen, was ich beim Aerial Yoga völlig außen vor lasse. Deshalb hab ich die besondere Menstruationspraxis kaum betont. Aber es war für mich bis jetzt ein stilles Dilemma. Nun drehe ich den Spieß um: Sowohl beim Iyengar Yoga als auch beim Aerial Yoga gibt es in meinem Unterricht alternative Haltungen während der Periode. Denn auch für das Tuch gibt es sehr schöne und entspannende Übungen, die Ihr stattdessen einnehmen könnt.

Wie sollte ich während der Menstruation Yoga üben?

Es gibt Asanas, die den Energiefluss während der Periode positiv beeinflussen, und welche, die den Energiefluss irritieren können. Frauen sollten in dieser sensiblen Zeit ruhiger üben und auf Umkehrhaltungen, intensive Drehungen und Bauchhaltungen verzichten. Alles, was den Bauch quetscht und die Bauchmuskeln verhärtet, ist ungeeignet. Die Bauchorgane brauchen Raum, der untere Rücken sollte entspannen können und der Brustkorb geöffnet werden, um frische Energie zu tanken. Es gibt beim Iyengar Yoga ganze Menstruationssequenzen, die frau parallel zur Unterrichtsstunde üben kann. Oder sie übt ganz normal im Unterricht mit und ich bringe sie bei unpassenden Asanas jeweils in eine alternative Haltung.

Beim Ashtanga Yoga wird die Menstruationszeit übrigens sehr viel cooler als „Lady’s Holidays“ bezeichnet. So nenne ich das jetzt auch. Während Lady’s Holidays gönnen wir uns etwas Ruhe. Das ist doch schön.

Freies Üben

Was mir am Yoga-Institut in Pune mit am besten gefallen hat, war die Zeit, die uns für die eigene Yogapraxis eingeräumt wurde. In der großen Yogahalle, oft gemeinsam mit unseren Lehrern, aber ohne Anleitung. So haben wir täglich mehrere Stunden für uns selbst geübt. Das war jedes Mal eine sehr inspirierende und konzentrierte Atmosphäre, die ich gern auch für mein eigenes Studio herstellen möchte. Deshalb steht ab sofort von Montag bis Donnerstag „Freies Üben“ im YogaKraftwerk-Wochenplan. In dieser Zeit übe ich selbst. Für 5€/Besuch kann mir dabei jeder Gesellschaft leisten und dabei alle Hilfsmittel und Gerätschaften nutzen, die er braucht. Einzige Voraussetzung: Wer beim Freien Üben mitmachen will, sollte auch regelmäßig in unsere Kurse kommen. Da lernt Ihr, mit den Hilfsmitteln umzugehen.

Warum erst jetzt?

Schon bei der Eröffnung des YogaKraftwerks hab ich mir vorgestellt, früher oder später vielleicht mit anderen Yogalehrern aus der Umgebung gemeinsam zu üben. Damals bin ich noch nicht auf die Idee gekommen, das selbstständige Üben für alle zu öffnen. Das ist jetzt über 3 Jahre her. Manche meiner Schüler kommen schon seit der Eröffnung regelmäßig in die Kurse, einige mehrmals die Woche. Es haben sich richtige Yoga-Enthusiasten entwickelt: offen, wissbegierig, diszipliniert. Sie haben eine eigene Home Practice begonnen und die ersten Hürden (Was soll ich denn alleine üben?…) überwunden. Das Freie Üben in Indien hat mich inspiriert und ich glaube, jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, damit im YogaKraftwerk anzufangen. Heute hatte ich bereits Gesellschaft bei meiner Asana-Praxis – und es war toll.

Was machen wir da genau?

Ich für mich habe festgestellt, dass ich besser, konzentrierter, intensiver und kreativer übe, wenn ich nicht alleine bin. Beim selbstständigen Üben kann man Asanas oder ganze Ausschnitte aus dem Unterricht wiederholen und somit besser verinnerlichen. Man kann an seinen „Defiziten“ arbeiten: steife Hüften, Beinstreckung, Nackenverspannungen, Armbalancen,…  Also einen Schwerpunkt setzen und Haltungen üben, die dazu passen. Oder man übt eine fertige Sequenz, je nach Bedürfnis. Ich habe hier genug Beispielsequenzen vorrätig und auch viel Yogaliteratur mit empfohlenen und erprobten Abfolgen, die ich Euch gern für diese Zeit zur Verfügung stelle. Ashtanga Yogis können ihre erste Serie praktizieren. Manche üben vielleicht regenerativ, andere Sonnengrüße. Das ist ja das Schöne daran: jeder macht etwas anderes, aber alle üben. Ähnlich wie die Mysore-Praxis beim Ashtanga Yoga. Jeder ist auf sich konzentriert, aber man kann sich auch mal gegenseitig in eine Haltung helfen. Wir sind alles Übende. Was haltet Ihr davon?

Namaste!

Eure Nici

 

 

 

YOGA-REISE

5 Wochen Indien – unser Alltag

Wir wissen inzwischen, wie wir die indischen Händler zum Lachen bringen können: Wir brauchen nur nach Postkarten von Pune zu fragen – immerhin eine der größten Städte Indiens. 4 Wochen lang haben wir vergeblich versucht, welche aufzutreiben. Die Reaktion der Verkäufer war immer die gleiche: erst waren sie erstaunt über die Frage, dann skeptisch, weil sie dachten, wir wollen sie verscheißern, und dann haben sie sich herzlich amüsiert. Postkarten von Pune! Wer will denn sowas? In 2 Geschäften gab es immerhin Postkarten von Mumbai, das ist 150 km entfernt. Aber wir wollten ja keine Wahrzeichen einer Stadt verschicken, die wir gar nicht besucht haben. Inzwischen haben wir aufgegeben und kaufen lieber Sachen, die hier leichter zu haben sind: T-Shirts, Pluderhosen, Röcke, Tücher, Schmuck. Alles sehr günstig. Ein Traum. Wenn man sich gern ins Getümmel stürzt.

In Indien ist die durchschnittliche Bevölkerungsdichte mit 407 Einwohnern/Quadratkilometer fast doppelt so hoch wie in Deutschland. Allein in Pune leben 3 Millionen Menschen – und sie sind alle draußen. Das Leben spielt sich auf der Straße ab. Es wimmelt nur so von Frauen in wunderschönen bunten Saris und wild gemusterten Kurtas über knalligen Leggings, die einkaufen oder die Straße fegen. Und Männern, die Obst- und Gemüsekarren durch die Gegend ziehen oder ihr Handwerk direkt auf dem Fußweg betreiben. Jeden Tag steigen wir an einer Straßenecke über einen Schuster, der dort im halben Lotossitz auf dem Boden hockt und die Schuhe flickt. Wenn es regnet, stellt er eine Plane über sich auf. Er ist die Ruhe selbst.

In den Einkaufsstraßen ist noch viel mehr los. Menschenmassen drängen durch die engen Gassen, die vielen kleinen Straßenstände und Geschäfte links und rechts quellen regelrecht über vor Stoffen, Kleidern und Geschirr. Wunderschöne oder auch kitschige traditionelle Gewänder neben westlichem Ramsch. Wenn wir einen bestimmten Wunsch haben und das Gesuchte nicht finden, bringen uns die Verkäufer durch das Straßenlabyrinth ein paar Ecken weiter in das Geschäft ihres Onkels, Vaters, Bruders oder schicken einen Laufburschen los, der die Ware irgendwoher zaubert. Es ist ein Fest für die Sinne: die faszinierenden Farben und Muster, die weichen oder rauen Stoffe, die Marktschreier und der nahe Verkehrslärm, Abgase und Räucherstäbchen, Müll und duftende Ringelblumenblüten, scharfe und süße Leckereien.

Ich habe in meinem Koffer genug Platz für die Einkäufe, denn ich bin davon ausgegangen, dass es in der privaten Wohnung, die wir angemietet haben, eine Waschmaschine gibt. Deshalb hab ich mich beim Kofferpacken vor der Reise sehr zurückgehalten. Wir haben tatsächlich eine Waschmaschine in der Wohnung, aber sie ist kaputt. Der Mechaniker war schon 4 mal hier, kriegt sie aber nicht zum Laufen. Wir waschen also die kleinen Sachen mit der Hand und bringen die größeren ins Hotel um die Ecke, wo sie für wenig Geld in 2 Tagen gereinigt und gebügelt werden. Auch okay.

In den fast 5 Wochen in Indien haben wir einen Tagesrhythmus entwickelt, der sich am Stundenplan vom Yoga Institut orientiert. Manchmal raffen wir uns auf, um sehr früh dort zu sein und die Klasse von Iyengars Sohn Prashant von 7 bis 9 Uhr zu besuchen. Unser Weg zum Institut führt durch einen hübschen Park, der schon am Morgen voller Leben ist. Es gibt einen Bereich mit Sportgeräten, der gern benutzt wird. Manch einer meditiert auf einer der Bänke. Andere machen Gymnastik. Es gibt Jogger und Walker wie bei uns. Aber die Menschen, die hier unterwegs sind, sind viel bunter gemischt: Hier findet sich jede Alters- und Gewichtsklasse zusammen, um sich gemeinsam oder zumindest unter anderen Leuten an der frischen Luft zu bewegen. Die wenigsten haben dafür richtige Sport- oder Funktionskleidung an. Und es wirkt auch nicht so angestrengt.

Prashant ist der Philosoph unter den Iyengars. Sein Unterricht ist geprägt davon, uns Schüler jeweils 10 bis 15 Minuten in einer Haltung verweilen zu lassen, während er über ein bestimmtes Thema sinniert. Dann wechseln wir die Haltung und er gibt weiter weise Worte von sich. Das ist eine sehr interessante Erfahrung und ich hätte seine Stunden gerne öfter besucht, wenn sie nicht schon so früh am Morgen wären. Um ehrlich zu sein, trudeln wir meist erst gegen 10 Uhr zum freien Üben am Institut ein.

Nach der Asanapraxis gehen wir einen Kaffee trinken und werten die Stunde aus. Wir haben inzwischen eines der Straßencafés zu unserem Lieblingslokal erkoren. Der indische Kaffee in dieser Region ist süß und mit Milch und besteht zu 60% aus Zichorie. Ich möchte ihn gar nicht mehr anders trinken.

Danach gehen wir in unsere Wohnung, denn dort erwartet uns unser Mittagessen. Wir haben auf Empfehlung unserer Vermieterin deren Putzfrau Latika als Köchin angeheuert. Das war eine gute Entscheidung, weil wir dadurch wahrscheinlich sehr viel regelmäßiger und gesünder essen, als wenn wir uns allein verpflegen müssten. Die hiesige Küche entspricht im Wesentlichen der ayurvedischen. Von montags bis freitags kocht Latika Suppe, Reis, Gemüse und Fladenbrot. Suppe und Gemüse variieren dabei täglich. Es ist super lecker und reicht meist auch noch abends. Wir zahlen Latika dafür jeweils 2000 Rupien für den gesamten Monat. Das sind nicht mal 25 Euro. Plus die Einkäufe der Lebensmittel, was noch weniger ist. Am Wochenende gehen wir essen und freuen uns dann auch über die Abwechslung, denn es gibt noch viele andere tolle indische Gerichte.

Der Nachmittag ist eher ruhig, wenn wir nicht gerade irgendetwas besorgen müssen. Wir notieren uns die Übungsstunden, lesen, schlafen – oder bloggen…

Ab 16 Uhr geht der Betrieb am Yoga Institut weiter. Besonders in den ersten 2 bis 3 Wochen habe ich mir um diese Zeit meist eine Anfängerstunde angesehen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie hier Yoganeulinge unterrichtet werden. In diesen Stunden sitzen die Ausländer höchstens wie ich im Hintergrund und beobachten. Die Teilnehmer sind ausschließlich Inder. Der Unterricht wird trotzdem größtenteils auf Englisch gehalten. Ab und zu schwingt ein bisschen Marathi mit rein, meist wenn es emotionaler wird. Spätestens hier wird klar, warum die Lehrer am Institut so streng sind. Sie müssen einen harten Ton anschlagen, um ihre Schüler zu disziplinieren. Fast die Hälfte kommt chronisch zu spät. Manchmal bis zu 30 Minuten bei einer einstündigen Anfängerklasse. Die Inder sind halt etwas gelassener.

Noch etwas anderes ist auffällig: Die indischen Yogaschüler – auch die absoluten Anfänger – sind alle von Haus aus viel beweglicher als wir Europäer. In einer Beginner’s Class bringen alle Teilnehmer in der Vorwärtsbeuge bei gestreckten Beinen mindestens die Fingerspitzen zum Boden. Sie haben meines Erachtens weniger Rückenprobleme und sind auch deutlich agiler in den Hüften. Vielleicht weil sie nicht so viel auf Stühlen herumsitzen wie wir. Vieles passiert im Hocken (u.a. den Boden wischen, der Toilettengang – funktioniert auch viel besser: stellt Euch doch mal einen Hocker vors Klo für die Füße, Ihr werdet ihn bald nicht mehr missen wollen). Zu Hause sitzen die Menschen oft auf dem Boden. Selbst wenn sie irgendwo erhöht sitzen, haben sie die Beine meist im Schneidersitz angezogen. Steife Hüften sind hier eine absolute Ausnahme und auch dann weit von dem entfernt, was wir unter steif verstehen.

Am Abend sind die Kurse für die Fortgeschrittenen, die meist sehr voll sind und von einheimischen und ausländischen Schülern gleichermaßen besucht werden. Der Unterricht ist abwechslungsreich und herausfordernd, wir sind oft klatschnass geschwitzt. Freitags findet eine reine Pranayama-Klasse für Fortgeschrittene statt, die von Gurujis Enkelin Abhijata unterrichtet wird. Danach ist der Kopf wie in Watte gepackt.

Wenn wir wieder zu unserer Wohnung laufen, ist es dunkel. Ich hatte hier nicht ein einziges Mal das Gefühl, in Gefahr zu sein – auch nicht, wenn ich allein unterwegs war. Das mag allerdings auch an der Gegend liegen. Die Gefahr besteht eher darin, auszurutschen und in den Dreck oder einen Scheißhaufen zu fallen. Wenn es regnet, läuft es sich auf dem Gehweg wie auf Glatteis. Der Staub, der die Gehwegplatten bedeckt, und die Erde, die neben dem Bordstein regelmäßig von wilden Schweinen durchwühlt wird, verkleben zu einer schmierigen Schicht. Auch wenn wir trotz Monsunzeit richtig heftigen Regen nur selten erlebt haben. Während unserer Wochen hier fühlte sich der Regen eher an, als käme er aus einer Sprayflasche. Pune gilt als vergleichsweise saubere Stadt. Das versteht aber nur, wer auch mal außerhalb von Pune unterwegs war. Das feuchtwarme Klima ist gut für Haut, Haare und Nägel, wie wir am eigenen Leib erfahren konnten, sorgt aber auch überall für Rost, Schimmel und aufgequollenes Holz, von dem die Farbe blättert. Dadurch wirkt immer alles ein bisschen fertig.

5 Wochen Indien sind erstmal genug. Ich freue mich jetzt wieder auf zu Hause, auf Familie und Freunde, auf die Sauberkeit dort, die Ruhe, mein YogaKraftwerk, meine Schüler. Darauf, das alles weitergeben zu können, was ich hier gelernt und vertieft habe.

Und ich werde einiges vermissen: den Kaffee, das Essen, die motorisierten Rikschas, die Gelassenheit im wilden Straßenverkehr, die Freundlichkeit der Inder, das pulsierende bunte Treiben auf den Straßen – und natürlich das Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute, wegen dem es mich hierher verschlagen hat. Sicher nicht zum letzten Mal.

Eure Nici

YOGA-REISE

5 Wochen Indien – Guruji

Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr am Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute (RIMYI) in Pune. BKS Iyengar wäre am 14. Dezember 100 Jahre alt geworden. Die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten laufen schon seit Monaten. Es wird ein Film zusammengeschnitten, für den Yogalehrer aus der ganzen Welt ihre Erinnerungen an Guruji teilen. Schon jetzt wird aller paar Wochen ein Theaterstück aufgeführt, das seinen Lebensweg darstellt, produziert von seinem Sohn Prashant… Im Dezember werde ich längst nicht mehr in Pune sein, aber ich habe vor ein paar Tagen miterleben können, wie Iyengars 4. Todestag begangen wurde. Und das hat mich sehr berührt:

An diesem Tag fallen die Abendkurse am RIMYI aus. Stattdessen haben wir uns alle hübsch gemacht und in der großen Yogahalle versammelt, um BKS Iyengar zu gedenken. Es werden 5 Personen auf das Podest gebeten, die aus dem Nähkästchen plaudern und von ihrer Zeit mit Guruji erzählen sollen – und damit jeweils ein Jahrzehnt mit ihm repräsentieren.

Die älteste von ihnen, Navaz Kamdin, lernte Iyengar in den 60er Jahren kennen, weil ihr Vater Rückenprobleme hatte und ihm Yoga empfohlen wurde. Iyengars Yoga. Er nahm seine Töchter mit. Navaz’ Augen strahlen, wenn sie an die Zeit zurückdenkt, als die Klassen noch ganz klein waren. Das Verhältnis zur Familie Iyengar war eng und herzlich. Das Institut mit den tollen Übungsräumen gab es damals noch nicht. Ebensowenig wie die vielen Hilfsmittel, die heute ganz selbstverständlich die Asanapraxis unterstützen. „Wir hatten ein paar Decken, mehr nicht“, berichtet Navaz. Sie schwärmt von Iyengars Präsenz, seiner Ausstrahlung und seinem großen Talent als Lehrer. Alle, die ihm noch persönlich begegnet sind, stimmen ihr leidenschaftlich zu.

„Er hat zum Beispiel eine Yogaklasse unterrichtet und gleichzeitig im Hintergrund die körperlichen Beschwerden einer älteren Frau gelindert“, erinnert sich Birjoo Mehta, der die 70er Jahre repräsentiert. „Guruji hat uns angeleitet, gleichzeitig demonstriert und uns alle mit schnellen, präzisen Griffen in die jeweilige Haltung gebracht. Es war eine intensive und konzentrierte Praxis, bei der wir nur immer mal durch das laute Stöhnen der Frau im Hintergrund abgelenkt wurden. Er war ein begnadeter Lehrer.“ Schüler mit gesundheitlichen Problemen lagen ihm immer besonders am Herzen. Er hat noch mit über 90 seine berühmte Medical Class selbst unterrichtet. Denn er wusste ganz genau, was Yoga kann. Er hat es am eigenen Leib erlebt:

Bellur Krishnamachar Sundararaja Iyengar wurde 1918 im südindischen Bellur mitten in eine Grippe-Epidemie hineingeboren. Er war ein sehr kränkliches Kind unter vielen Geschwistern, erlitt unter anderem Malaria, Typhus und Tuberkulose. Seine Familie gehört den Brahmanen an, der höchsten Kaste, die der Gelehrten und Priester. Aber die Iyengars waren verarmt. Der Vater starb früh.

Mit 16 Jahren kam BKS Iyengar in die Obhut seines Schwagers Krishnamacharya, der später als „Vater des modernen Yoga“ in die Geschichte einging. Krishnamacharya unterrichtete zu dieser Zeit in Mysore am Palast des Maharadscha. Er war ein sehr kluger, aber auch strenger Lehrer. Iyengar hat unter seinen Fittichen einiges erleiden müssen, aber es ging ihm durch die Asanapraxis gesundheitlich bald sehr viel besser. Es gibt Videos von 1938, die Iyengar und Krishnamacharya beim Üben zeigen. Nach der harten Lehrzeit bei seinem Schwager, ging Iyengar auf dessen Anraten als Yogalehrer nach Pune.

Krishnamacharya mag den Samen gesetzt haben, aber Iyengars immenses Wissen über Ausrichtung und Wirkung der Asanas stammt in erster Linie aus seinem intensiven Selbststudium. Sein Körper war sein Labor. In jahrzehntelanger täglicher stundenlanger Übungspraxis hat er experimentiert, in sich hinein gespürt, korrigiert, beobachtet.

„Er hat jeden Tag selbst geübt“, erzählt Zubin Zarthoshtimanesh, der auf der Feier am Todestag aus den 80er Jahren berichten soll und Iyengar oft auf Conventions in aller Welt begleitet hat. „Auch wenn es abends spät wurde, ist er um 4.30 Uhr aufgestanden, hat seinen Kaffee getrunken und dann selbst praktiziert, bevor er die anderen unterrichtet hat. Er hat sich selbst nie als Guru oder Lehrer gesehen, sondern immer als Übenden.“ Iyengars Vorbild war ansteckend für seine Schüler und Assistenten. „Wir sind auf den Conventions auch so früh aufgestanden, um zu üben, weil wir ihm in nichts nachstehen wollten“, ergänzt Birjoo, der selbst oft genug dabei war. „Es ging immer mit Pranayama (den Atemtechniken) los. Einmal habe ich sehr lange Pranayama geübt, im Liegen in Savasana. Etwa eineinhalb Stunden…“ Birjoo grinst verschämt. Er ist offenbar dabei eingeschlafen. „Als ich dann endlich fertig war und aufgestanden bin, hat mich Guruji zu sich gerufen. Er wollte etwas demonstrieren und ich sollte dafür ad hoc in Pincha Mayurasana (den Unterarmstand) kommen. Ich gehöre nicht gerade zu den Flexibelsten, aber Guruji hat plötzlich meine Füße genommen und sie mir auf den Kopf gestellt. Das war das erste und das letzte Mal, dass ich in Vrschikasana (den Skorpion) gekommen bin. Er hat uns Sachen machen lassen, die wir selbst nie für möglich gehalten hätten. Und er wusste immer genau, wie er uns dabei greifen muss, damit wir uns nicht verletzen.“ Wieder nickt der ganze Saal oder wackelt mit dem Kopf, die zustimmende Geste der Inder.

 

Er hat in vielen Schülern das Selbstvertrauen aufgebaut und gestärkt. Er hat Mut in der Yogapraxis vermittelt, der einen auch aufrechter durchs Leben gehen lässt. Raya Uma Datta, der jüngste der 5 Repräsentanten, erinnert sich lachend, wie Guruji die Klasse in 2 Reihen aufgeteilt und im freien Kopfstand gegenüberstellt hat, so dass die Schüler mit dem Gesicht zueinander aufgebaut waren. „Dann ist er mit einem verschmitzten Grinsen durch die Reihen stolziert und hat plötzlich nach links und rechts ausgeholt und uns alle nach hinten umgestoßen, so dass wir völlig überraschend umgekippt und in Dwi Pada Viparita Dandasana gelandet sind. Es hat einen mächtigen Knall gegeben, als wir mit den Füßen aufschlugen, aber es hat sich niemand verletzt. Er wusste genau, was er tat. Er wollte uns die Angst nehmen, im Kopfstand umzufallen.“ Alle lachen im Saal, knuffen sich gegenseitig in die Rippen und tuscheln: „Typisch Iyengar…“, „Weißt Du noch, das hat er mit uns auch gemacht…“ Iyengar wusste, dass wir uns meist selbst ausbremsen, weil wir uns zu wenig zutrauen.

Er fand zielsicher immer den richtigen Muskel oder Knochen, der bewegt werden musste, um besser und tiefer in eine Haltung zu kommen. Seine Hilfestellungen waren nie missverständlich. Ihm wurde – im Gegensatz zu einigen anderen Yogagrößen – nie nachgesagt, dass er eine Schülerin unsittlich berührt haben soll. Es gibt keine Skandale im Leben von BKS Iyengar, obwohl er sicher die Gelegenheit gehabt hätte. Guruji soll mal gesagt haben, er sei froh über seine buschigen Augenbrauen, die hielten die Frauen auf Abstand. Er wurde mit Mitte 20 mit der 16-jährigen Ramamani verheiratet. Es war eine arrangierte, aber dennoch glückliche Ehe, aus der 6 Kinder hervorgingen. 1973 starb Ramamani mit nur 46 Jahren. Das Yoga-Institut, das 2 Jahre später eröffnet wurde, ist nach ihr benannt.

Manchmal stehen den Erzählenden und auch Iyengars Tochter Geeta, die neben dem Podest sitzt, die Tränen in den Augen bei der Erinnerung. Auch mir schnürt sich immer mal die Kehle zusammen, wenn ich höre, mit wieviel Liebe sie von Guruji erzählen. Er hat sein Leben dem Yoga gewidmet, ihn erforscht und weiterentwickelt und sehr zu seiner weltweiten Verbreitung beigetragen. Iyengar Yoga wird heute in mehr als 70 Ländern von etwa 2 Millionen Menschen praktiziert. Iyengars Sohn Prashant ermahnt uns, dass auch wir den Yoga ernsthaft studieren sollen, um Iyengar Yoga wahrhaftig zu üben. Anderenfalls seien wir nur Iyengar Yoga Followers.

Niemand maßt sich an, sich mit Guruji zu vergleichen. Wir würden ja doch daran scheitern, wie Rayas Geschichte zeigt: Der 39-jährige kam als Kind ins RIMYI und ist heute selbst ein großartiger Lehrer am Institut. „Ihr wisst, dass ich manchmal ein bisschen zur Arroganz neige“, meint er kokett. „Und so habe ich mir eines Tages vorgenommen, mal genauso intensiv zu üben wie Guruji. Genauso lang in jeder Haltung drin zu bleiben wie er.“ Iyengar übte an diesem Tag zuerst Dwi Pada Viparita Dandasana, mit dem Kopf am Boden und den Ellbogen in der Wand. Raya übte das Gleiche über dem Stuhl.

Auch intensiv, aber gestützt. Iyengar blieb 5 Minuten, 10 Minuten, 15 Minuten, 20 Minuten,… ohne sich zu rühren. Raya wollte mithalten. Irgendwann spürte er seine Arme nicht mehr. Schließlich kam Iyengar doch aus der Haltung. Raya triumphierte, weil er eine Minute länger ausgeharrt hatte. Aber nur kurz. Denn während Raya sich anschließend kaum noch bewegen konnte, sah der wesentlich ältere Iyengar erfrischt und rosig aus, wie das blühende Leben. Raya wirkte total verzweifelt – und Iyengar ging lachend an ihm vorbei aus dem Übungssaal. – Raya war zunächst enttäuscht, auch noch ausgelacht zu werden. Doch als er Iyengar später zufällig in der Bibliothek antraf, schenkte ihm dieser sein Buch „The Art of Yoga“. Mit einer Widmung. Raya wiederholt diese Widmung mehrfach und legt uns nahe, sie uns aufzuschreiben und immer wieder zu lesen, als ob sie auch uns persönlich gelten würde:

„Yoga is a difficult art to master, but not impossible. With love – BKS Iyengar“

„Schreibt es auf! ‚With love‘! Merkt es Euch!“, insistiert Raya. Und das hab ich auch gemacht.

Eure Nici

YOGA-REISE

5 Wochen Indien – das freie Üben

Samstags steht die große Übungshalle im Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute in Pune erst ab 16 Uhr für die eigene Yogapraxis zur Verfügung. Nach der langen Mittagspause ist es um diese Zeit noch recht ruhig im Gebäude und auf dem Gelände drumherum. Neben dem normalen Straßenlärm sind nur der Regen und ein Windspiel zu hören, das uns oft beim Üben begleitet.

Die ersten Yogalehrer, die für diesen Monat aus der ganzen Welt zusammengekommen sind, um mit und bei den Iyengars zu praktizieren und von ihnen zu lernen, tröpfeln in die Halle. Noch ist viel Platz. Sie streifen sich die langen Hosen oder Röcke ab. Die kurze Yogahose darunter kommt zum Vorschein. Wenn die überflüssige Kleidung und die Taschen auf den dafür vorgesehenen Gittern über uns verstaut sind, schnappen sie sich eine Matte und ein paar Hilfsmittel, suchen sich einen Platz in der Mitte der Halle oder bei den Wänden mit den Seilen und beginnen.

Es ist ein stilles Üben. Ich mag diese konzentrierte Stimmung, die den Raum erfüllt, sehr. Es ist ein ganz anderes Üben als zu Hause, wo ich meist ein Auge aufs Telefon habe oder wo der Paketbote plötzlich in der Tür stehen kann. Hier geht es nur um das gemeinsame eigene Praktizieren. Normalerweise bin ich mittendrin, heute sitze ich im Hintergrund in Upavistha Konasana auf dem Boden, gegen Holzbänke gelehnt, die als Hilfsmittel dienen, und mit einem Hocker vor mir zwischen den Beinen, auf dem das Tablet steht. Beobachte und beschreibe.

Der Raum liegt in einem angenehmen Halbdunkel. Manche beginnen ihre Praxis mit ein paar Minuten in Stille, die Augen zu, die Hände vor der Brust geschlossen. Ein Ritual, um die Konzentration auf das Üben zu richten und alles andere für diese Zeit außen vor zu lassen. Andere legen sich direkt in eine regenerative Haltung, routiniert unterstützt von diversen Decken und Bolstern. Es sieht total entspannt aus, aber ich weiß, dass auch sie ihre Zeit hier nutzen, um an ihren Defiziten zu arbeiten. Wer also für viele Minuten in Supta Baddha Konasana oder Supta Virasana ruht, möchte sehr wahrscheinlich seine Hüftöffnung verbessern bzw. die Dehnung der Oberschenkel-Vorderseiten und der Leisten. Wieder andere starten direkt mit einer intensiven, dynamischen Praxis.

Der Raum wird immer voller und jeder macht etwas anderes. Vor mir lehnt eine Polin mit dem Hintern an der Wand in einer kopfgestützten Vorbeuge. Daneben streckt ihre neue Freundin Arme und Beine im Herabschauenden Hund. Ein paar Meter entfernt liegt eine Chinesin in einer intensiven Rückbeuge über einem Stuhl. Schon seit mindestens 5 Minuten. Und neben ihr presst sich ein sehr tätowierter Yogi in ein hohes Rad. Ich glaub, das übt er gern. Ich seh ihn jedenfalls oft in anstrengenden Rückbeugen. Eine Inderin übt Drehhaltungen. Mein Lehrer und Ausbilder Michael Forbes aus München ist auch da. Er liegt gerade mit Beinen und Po auf dem Podest, während die Unterarme und die Schädelkrone in der Kopfstandhaltung am Boden ruhen. Eine ältere Frau hängt kopfüber in einem der Seile, die frei von der Decke baumeln. An der Wand übt eine Slowenin Handstand. Sie übt das Hochkommen, nicht das Obenbleiben. Mal mit dem rechten Bein, mal mit dem linken Bein. Hoch, runter, hoch, runter, rechts, links, links, rechts,…

Gesprochen wird kaum – höchstens leise, um sich gegenseitig in eine schwierigere Haltung zu helfen oder mit Hilfsmitteln zu beschweren, wenn es allein nicht möglich ist. Zu hören ist nur das Verschieben von Stühlen oder Hockern auf dem harten Boden. Oder das hemmungslose Stöhnen, wenn sich jemand in eine intensive Haltung drückt. Besonders laut ist dabei Abhijata Iyengar, Gurujis Enkelin, die oft mit uns in der freien Praxis für sich übt. Manchmal erinnern die Geräusche eher an Kreißsaal oder Swingerclub – genau wie die vielen verdrehten, gebogenen, durcheinander liegenden Leiber. Aber nur kurz…

16.45 Uhr. Für die Nachzügler ist es inzwischen schwer, einen Platz mit genug Raum für die Haltungen zu finden, die sie sich vorgenommen haben. Zum Teil liegt Matte an Matte. Es kann durchaus passieren, dass sich beim Üben plötzlich ein fremder Fuß von oben oder von der Seite vor die Nase schiebt. Überall liegen Decken, Bolster, Matten und Gurte.

Wenn ich zu Hause übe, habe ich oft fertige Sequenzen (aus „Licht auf Yoga“, meine Prüfungssequenzen, Inspirationen von anderen Lehrern, meine Übungsabfolge für den Unterricht der folgenden Woche,…) neben mir liegen. Hier übe ich anders. Ich überlege mir vor jeder Praxiseinheit 2 bis 3 Haltungen, die ich verbessern möchte und die ganz gut zusammenpassen, und arbeite dann mit vielen vorbereitenden Haltungen darauf hin. Spontan. Der Ablauf ergibt sich ganz organisch. Ich muss gar nicht darüber nachdenken, was ich als nächstes mache. Das ist eine tolle Erfahrung.

Es ist spannend, die anderen bei ihrer Asana-Praxis zu beobachten. Manche üben immer das Gleiche, um ihre „Problemzonen“, ihre Steifheit in bestimmten Bereichen, zu bearbeiten. Oder um eines ihrer Zimperlein selbst zu kurieren. Andere üben sehr fortgeschritten für den nächsthöheren Level. Viele wiederholen in der Zeit, die für die eigene Praxis zur Verfügung steht, interessante Abfolgen aus dem vorangegangenen Yogaunterricht. Zu recht. Ich habe bei diesen hochqualifizierten Lehrern hier am Institut schon einige Klassen mitmachen dürfen, die sich mir regelrecht ins Gedächtnis gebrannt haben, weil sie so besonders und intensiv waren. Und auch scheiße-anstrengend.

So unterschiedlich beim freien Üben auch praktiziert wird, die letzte halbe Stunde ist bei fast allen gleich oder zumindest sehr ähnlich: Genau wie im Unterricht wird gegen Ende der Praxis meist ein langer Kopfstand – mit oder ohne diversen Beinvariationen – und anschließend ein langer Schulterstand – ebenfalls mit oder ohne Variationen in der Haltung, mit 2 bis 3 Decken oder einem Bolster unter den Schultern, über dem Stuhl oder frei im Raum – geübt. Und fast alle ruhen am Ende noch ein paar Minuten in Savasana.

Ich habe heute nur zugeschaut, aber ich weiß, wie es den anderen jetzt geht: Nach 2 Stunden eigener Praxis fühle ich mich anders als nach dem Besuch einer angeleiteten Yogastunde. Oft mit einer größeren inneren Ruhe, die noch eine ganze Weile anhält. Das ist schön.

Eure Nici

YOGA-REISE

5 Wochen Indien – der Ayurveda-Arzt

Meinen Heuschnupfen hab ich dank regelmäßiger Nasenspülung im Griff. Und seit ich Pranayama, die Atemtechniken, übe, hatte ich keinen schweren Asthmaanfall mehr. Das Einzige, das mir immer wieder Probleme bereitet, ist meine Haut. Sie reagiert auf Druck – egal ob durch Stress oder physisch. Wenn ich mich selbst zu sehr unter Druck setze oder bei der Yogapraxis ein Körperteil sehr lange auf ein anderes drückt (z.B. in Padmasana, dem Lotussitz, die Füße auf die Oberschenkel), dann wird meine Haut anschließend stellenweise rot und geschwollen und juckt auch noch fürchterlich. Eine Form von Urtikaria, der Nesselsucht. Ich sehe nach einer intensiven Übungsstunde oft aus wie ein geprügelter Hund. Über Stunden. Manchmal könnte ich mir die Haut vom Leib kratzen – bis der Schmerz größer ist als der Juckreiz.

Vor ein paar Jahren habe ich in einer solchen Phase angefangen, mich mit dem Ayurveda zu beschäftigen. Ich habe herausgefunden, welcher Typ ich bin, und meine Ernährung entsprechend umgestellt, um alles zu reduzieren oder zu meiden, das die Hautirritationen noch befeuert, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe etwa 2 Jahre lang weder Kaffee noch Alkohol getrunken, scharfe und rote Lebensmittel gemieden, dafür mehr grünes, bitteres, besänftigenderes Essen zu mir genommen. Und das hat geholfen. Besser als jedes Medikament. Es erfordert aber viel Disziplin, und da es mir wieder gut ging, haben sich mit der Zeit auch wieder alte Essgewohnheiten eingeschlichen. Ich habe bis jetzt noch nicht die Disziplin von damals aufbringen können. Aber ich weiß immerhin, dass mir der uralte Erfahrungsschatz des Ayurveda helfen kann. Der Wissenschaft des Lebens / der Gesundheit, wie die Übersetzung heißt. Genau wie der Yoga hat der Ayurveda seine Wurzeln in Indien.

Ich war schon ein paar Mal in Deutschland bei dem einen oder anderen (deutschen) Ayurveda-Arzt. Die Besuche fand ich immer sehr spannend und inspirierend. Indien ist die perfekte Gelegenheit, einen einheimischen Arzt vor Ort aufzusuchen. Meine Mitbewohnerin Moni hat auch schon eine Empfehlung: Dr. Neelesh Taware. Er hat seine Praxis in der Happy Colony in Pune. Happy Colony – das klingt doch schon mal gut.

20 Minuten dauert die Fahrt mit der Rikscha. Auch wenn die Auto-, Motorrad- und Rikschafahrer unentwegt hupen und ohne jede Vorfahrtsregel und fast ohne Ampeln manchmal so eng neben-, vor- und hintereinander fahren, dass kein Blatt mehr dazwischenpasst, haben die meisten von ihnen total entspannte Gesichtszüge oder lächeln sogar. Es sieht in der Happy Colony genauso staubig und angerostet aus wie überall, aber auch hier gibt es ausgesprochen freundliche und hilfsbereite Menschen, die uns bei der Suche nach dem richtigen Haus helfen wollen und dafür alles stehen und liegen lassen. Sie bringen Farbe, Gelassenheit und Lebensfreude in die triste Umgebung.

Neeleshs kleine Praxis befindet sich am Ende von einem kleinen Hof. Ein alter Mann kehrt das Laub auf dem Hof von einem Eck ins andere. (In Indien wird eigentlich ständig gefegt, aber ich habe nicht den Eindruck, dass der Dreck dadurch weniger wird.) Vor dem Haus stehen ein paar Schuhe. Gleich hinter der Haustür befindet sich der winzige Warteraum mit einer Bank und dahinter die kleine Praxis mit dem Schreibtisch und einer Liege. Die Tür zur Praxis ist offen. Neelesh hat noch einen Patienten, deshalb warten wir draußen, um ein bisschen Diskretion zu wahren.

Neelesh spricht sehr gut Deutsch und Englisch. Er ist oft in Deutschland und hält dort Seminare. Seine Stimme und sein Gesicht wirken noch sehr jung, aber er ist schon völlig ergraut. Wir duzen uns. Moni hat einen Massagetermin bei ihm, danach bin ich dran mit der Anamnese.

Wir reden eigentlich bloß. Weil sein Computer seit dem letzten Update nicht mehr funktioniert, sind alle Notizen handschriftlich. Neelesh will ganz genau meinen typischen Tagesablauf wissen: Wann steh ich auf? Wann frühstücke ich? Was esse ich dann? Wie oft aufs Klo? Sieht der Stuhlgang aus wie eine sehr reife, braune Banane? – Äh… Zwischendurch fühlt er lange meinen Puls und betastet meinen Bauch. Man könnte meinen, Yogalehrer leben besonders gesund. Aber meine Doshas (die Bioenergien Vata, Pitta, Kapha) sind offenbar gestört. WEIL ich Yogalehrerin bin.

Das erste Problem sind die seltsamen Arbeitszeiten in unserer Branche: Morgens und vom Nachmittag bis in den späten Abend. Ich gebe normalerweise von 9 – 10.30 Uhr einen Kurs, danach übe ich selbst und gegen 12 Uhr „frühstücke“ ich. Dann erledige ich Büroarbeit, bereite Kurse vor, putze oder nehme Termine wahr. Zwischen 15 und 17 Uhr esse ich wieder was. Die Zeit ist abhängig vom Beginn der Abendkurse, denn mit vollem Bauch kann ich nicht unterrichten. Die Kurse gehen bis 21.45 Uhr. Buchhaltung, aufräumen,… – 1 Stunde später bin ich zu Hause. Und habe Heißhunger. Gehe dann vollgefressen oder viel zu spät ins Bett. Beides nicht gut.

Neelesh meint, die Zeit zwischen den Mahlzeiten am Abend ist viel zu lang. Nach der Ayurvedischen Lehre wandern dadurch die Enzyme, die eigentlich in den Verdauungsorganen arbeiten sollten, ins Blut und lösen Störungen aus. Außerdem schlafe ich mit 5 – 6 Stunden zu wenig. Jajaja, ich weiß…

Laut Neelesh regeneriert die Haut zwischen 1 und 3 Uhr morgens im Schlaf. Dazu braucht sie Nährstoffe aus dem Essen, das ich 4 bis 6 Stunden vorher zu mir genommen haben sollte. Und ich sollte zu diesem Zeitpunkt möglichst schon 3 Stunden schlafen. 8 Stunden Schlaf sollten mein Ziel sein. Das heißt idealerweise: 19 Uhr essen, 22 Uhr ins Bett. Dann erholt sich meine Haut und ich kann 6 Uhr morgens frisch und munter wieder aufstehen. Utopisch. Dazu brauche ich einen anderen Job. Neelesh weiß das und hilft mir mit ein paar Kompromissen: 1/2 Stunde früher ins Bett als gewöhnlich, 1/2 Stunde später aufstehen wären ein Anfang. Trockenobst zwischen den Abendkursen, um die lange Phase ohne Essen am Abend zu reduzieren und damit auch den nächtlichen Heißhungerattacken entgegenzuwirken. Reis, Gemüse oder Suppen vorbereiten, um nachts nicht so ungesund zu essen.

Besonders schlimm findet er, dass ich beim Essen meist lese oder weiterarbeite. Beim Essen soll man sich aufs Essen konzentrieren. Deshalb wird ja auch vor dem Essen gebetet. Ich soll beten? Und wenn ich an nichts glaube? „Beten ist doch meditieren“, belehrt er mich. „Meditiere oder übe ein bisschen Pranayama vor der EssensPAUSE.“ Okay…

Ich bekomme auch ein paar Tipps zu den Lebensmitteln selbst. Die Empfehlungen sind nicht allgemeingültig, sondern entsprechen meiner aktuellen Konstitution.

Das soll ich meiden oder reduzieren:

  • tierisches Eiweiß (wenn Käse, dann lieber Frischkäsesorten)
  • Beeren
  • Zitrusfrüchte (Zitronen und Grapefruit wirken übrigens im Körper basisch und sind daher erlaubt)
  • Nüsse (Waaaas??), besonders Erdnüsse
  • Bananen
  • Chilli
  • Salz (lieber Steinsalz verwenden)

 

Das wird mir neben den bereits erwähnten Lebensmitteln empfohlen:

  • morgens einen Teelöffel Panchatikta Ghrita (Kräuter-Ghee) und anschließend heißes Wasser
  • Müsli vorher einweichen oder kochen und Zimt, Kardamom und gerne auch Ingwer hinzufügen
  • 1 Teelöffel Kurkuma / Tag, das verbessert die Leberfunktion und damit auch das Hautbild
  • Brot immer mit Salat oder warmen Gemüse kombinieren
  • lieber Espresso mit Wasser statt Filterkaffee
  • so viel Tee aus Sariva-Pulver, wie ich mag
  • Äpfel, Birnen, Papayas, alle Melonensorten, Granatäpfel

 

Nach dem Essen soll ich mindestens 1/2 Stunde nichts trinken.

Neelesh hat noch mehr Tipps auf Lager:

  • Zur Nasenspülung:
    • 5 ml Mandelöl in das Salzwasser geben. Wirkt vorbeugend gegen Heuschnupfen.
  • Zum Pranayama:
    • Wechselatmung üben. Wirkt ausgleichend bei Problemen durch einen unregelmäßigen Arbeitsalltag.
  • Zur Asana-Praxis:
    • Umkehrhaltungen üben. – Okay. Mach ich eh gern.
    • Viel Bauch- und Drehhaltungen. Meine Konstitution braucht vor allem Haltungen, bei denen Druck auf den Bauch ausgeübt wird. Am besten Mayurasana (Hilfe, die Haltung hab ich bis jetzt möglichst vermieden…)iyengar.jpg

Meine Arbeit ist Neelesh zufolge aber noch in einer ganz anderen Hinsicht problematisch: Wir Yogalehrer reden meist, wenn wir eine Haltung vorzeigen. Wenn wir unseren Brustkorb in der Übung öffnen und weiten, wie es meist der Fall ist, und gleichzeitig ausatmen, weil wir sprechen, ist das für den Körper sehr irritierend. (Wer es genau wissen möchte: Aus ayurvedischer Sicht werden dadurch Prana- und Udana-Vayu gestört.) Ich habe mir beim Unterrichten schon häufiger einen Nerv eingeklemmt im Nacken- oder Schulterblatt-Bereich. Neelesh ist überzeugt davon, dass das Reden beim Vorzeigen die Ursache dafür ist.

Eine Alternative wäre, einen Schüler die Haltung demonstrieren zu lassen und an ihm zu erklären, statt selbst vorzuführen, schlägt Neelesh vor. Hm. Kann man immer mal machen, seh ich aber nicht als Dauerlösung. Ich weiß noch nicht, wie ich im Unterricht damit umgehen werde. Zumindest ist mir das Problem jetzt mal bewusst.

Wir reden über eine Stunde. Der Besuch kostet mich 35 Euro. Neelesh ist nicht dogmatisch, sondern versucht vor allem pragmatische Empfehlungen zu geben. „Wie sagt man in Deutsch? Mein Lehrer würde umdrehen Grab“, sagt er am Ende und strahlt mich an.

Jetzt ist es an mir, seine vielen Tipps auch umzusetzen.

Eine kurze und prägnante Einführung zum Thema Ayurveda erhaltet Ihr übrigens unter http://www.ayurvedatrends.com/. Dort findet Ihr auch ein E-Book, dass Ihr Euch kostenlos herunterladen könnt.

Eure Nici

YOGA-REISE

5 Wochen Indien – die Yogapraxis

Ich habe großen Respekt vor Geeta Iyengar, aber auch ein bisschen Angst. Angst davor, in ihren Yogastunden in irgendeiner Form negativ aufzufallen, denn ihre Schimpftiraden sind so legendär wie ihre Kompetenz. Und ich sollte sie bald live erleben…

Vom 1. bis 31. August bin ich am Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute (RIMYI) in Pune angemeldet, der Yogaschule der Familie Iyengar. BKS Iyengar selbst habe ich leider nicht mehr erleben dürfen, aber seine Kinder Geeta und Prashant führen das Institut in seiner Tradition weiter. Ich gehe täglich in einen Kurs, „observiere“ eine weitere Yogastunde meiner Wahl und übe 1 – 2 Stunden in den heiligen Hallen für mich selbst.

Das Institutsgebäude steht direkt gegenüber dem Wohnhaus der Iyengars. An meinem ersten Tag sitzt Geeta auf der Bank vorm Haus. Es ist meine erste Begegnung mit ihr. Die starke, dominante Frau wirkt ganz klein und zerbrechlich auf mich. Die älteste Tochter von Guruji, wie BKS Iyengar liebevoll von seinen Schülern genannt wird, ist inzwischen 73 Jahre alt und leidet an Zucker. Ihr wurden bereits ein paar Zehen amputiert. Als ich sie da sitzen sehe, bin ich mir nicht sicher, ob sie überhaupt noch unterrichten wird.

Geeta Iyengar als junge Frau in Virabhadrasana II

Um 9.30 Uhr beginnt an diesem 1. August die zweistündige Women’s Class, die in der Regel von Geeta gehalten wird. Sie hat nicht nur den Yoga, sondern auch den Ayurveda studiert und hat ihr Schaffen besonders dem „Yoga für die Frau“ gewidmet, so auch der Titel ihres umfassenden Buches. Sie legt großen Wert darauf, dass wir bei unserer Praxis Menstruation, Schwangerschaft, Rückbildung oder Wechseljahre berücksichtigen und diesen Perioden und Lebensphasen besondere Achtsamkeit schenken. Und so wurde einst die Women’s Class eingeführt, um diese Achtsamkeit zu schulen. Ich habe deshalb nur Frauen erwartet. Aber inzwischen wird die Klasse von Männern und Frauen gleichermaßen besucht, die Geetas Unterricht erleben wollen. Frauenthemen werden individuell berücksichtigt, stehen aber nicht mehr im Mittelpunkt.

Die große Yogahalle im ersten Stockwerk ist sehr beeindruckend. Es gibt eine halbrunde Freifläche um das Podest herum. Von der hohen gewölbeartigen Decke hängen Ventilatoren. An den Wänden befinden sich die ganzen Fotos von Guruji aus seinem Werk „Licht auf Yoga“. Die Wand mit den Iyengar-typischen Seilen ist gefliest wie ein Badezimmer. Geflieste Säulen mit Seilen rahmen die Halle, dahinter hängt die Decke tiefer. Hier befinden sich vor den großen Fenstern die Hilfsmittel aus Holz: große und kleine Backbender für Rückbeugen, das sogenannte Pune-Pferd, Bänke, Hocker,… Wenn es eng wird, werden die Gerätschaften kurzerhand durchs Fenster nach draußen gestellt, damit mehr Matten ausgebreitet werden können. Decken, Gurte, Klötze, Bolster werden in Regalen gestapelt, die Stühle hängen an der Wand ums Eck. Zum Umziehen geht man eigentlich in den Toilettenraum – geschickter ist es, gleich die Yogasachen drunter zu tragen, sich in der Halle nur auszuziehen und die Sachen auf den Gittern über unseren Köpfen zu verstauen. Der Boden ist glatt, hart und angenehm kühl. Die dünnen Matten stinken ein bisschen vom vielen Gebrauch. Wir dürfen beim Üben keine Klötze oder Stühle darauf stellen, damit sie nicht so schnell kaputtgehen.

Die Women’s Class an diesem Tag ist mit ca. 100 Leuten ziemlich voll und wird von Abhijata eingeleitet, Gurujis Enkelin und Geetas Nichte. Eine große, resolute Frau, die mit klarer, lauter Stimme und präzisen Ansagen schnell Ordnung in das Gewimmel von Leuten bringt. Sie trägt – wie wir alle in der Klasse – kurze Hosen und ein T-Shirt, was anderes ist bei dem feuchtwarmen Klima auch gar nicht denkbar. Da sich jeden Monatsanfang jede Menge Pune-Neulinge wie ich unter den Yogalehrern aus aller Welt befinden, gibt uns Abhi eine kurze Einführung zu den No-Gos: keine Straßenhunde füttern, als Frau vor allem nachts nicht allein herumlaufen, keine Pässe und Wertsachen mit ins Studio bringen, vorsichtig sein, wenn man Bettlern Geld gibt (wenn sie denken, es ist zu wenig, beklauen sie einen vielleicht), keine Fremden einlassen,…

Inzwischen wurden auf dem Podest ein paar Kissen und Decken hergerichtet – und Geeta von 2 – 3 Helfern herein- und zu diesem Platz geführt. Sie kann kaum laufen. Abhi heißt uns aufrecht zu sitzen und stimmt das Eröffnungsmantra an. Danach übernimmt Geeta. Sie sagt einfach die erste Haltung an: „Adho Mukha Virasana!“

Plötzlich wirkt Geeta gar nicht mehr klein und zerbrechlich. Sie sitzt aufrecht und hat uns alle im Auge. Der Schwerpunkt der Stunde liegt darin, in sitzenden, hüftöffnenden Vorwärtsbeugen den Po zu heben, damit uns eben das später in der Stunde in armgestützten Haltungen wie Tittibhasana leichter fällt. Und schon wettert Geeta los, weil eine der vielen Übenden sich zwar im Schneidersitz nach vorn beugt wie verlangt, aber die Anweisung auch noch den Hintern zu heben, einfach ignoriert. Geeta schimpft wie ein Rohrspatz, weil sie ihre Energie verschwendet sieht, wenn wir nicht richtig mitmachen. Weil wir nicht richtig zuhören oder zu schlecht Englisch sprechen, um sie zu verstehen. Geetas Englisch ist hervorragend, aber an den Akzent muss man sich erst gewöhnen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Straßenlärm durch die offenen Fenster dringt und Geeta manchmal die Luft ausgeht beim Sprechen und Schimpfen. Ich habe mich mit meiner Matte deshalb ziemlich weit nach vorn gewagt, um sie besser zu verstehen, aber es ist trotzdem schwer. Das bereue ich in der nächsten Haltung, denn bei Baddha Konasana krieg ich meinen Hintern – bei allem guten Willen – auch nicht hoch.

Ich glaube ja, dass das jemandem mit längeren Beinen und einem leichteren Po leichter fallen könnte als mir, aber unser Körperbau darf im Iyengar Yoga nicht als Ausrede herhalten. Ich gebe also einfach mein Bestes. Mit Schwung klappt es kurz. Puh.

Geeta ist genervt, wenn wir in ihren Augen trödeln, um in eine Haltung zu kommen („Quick!!“) oder wenn wir uns sofort auf Hilfsmittel stürzen wollen, wenn sie die nächste Asana ansagt. „Ihr denkt sofort an Eure Zimperlein und Unterstützung, wenn wir eine Haltung angehen. Dabei geht es mir im Moment vor allem darum, dass es schnell und pur passiert.“ Manchmal klingt es, als ob wir für sie eine einzige Enttäuschung sind: „Und Ihr wollt die besten Iyengar Yogalehrer der Welt sein…“

Trotzdem ist sie im zweiten Teil der Stunde milder gestimmt. Versucht uns auch zu vermitteln, warum sie manchmal sauer wird. Sie hat nicht mehr viel Zeit. Sie möchte uns etwas beibringen. Der Aufenthalt in Pune soll uns weiterbringen. Und das klappt nur, wenn wir uns darauf einlassen und aus unseren gewohnten Mustern ausbrechen. Dazu müssen wir ihr zuhören.

Nach der zweistündigen Klasse bin ich total verschwitzt, aber zufrieden. Unterricht bei Geeta ist ein echtes Erlebnis, ich hab einige Asanas mit einem ganz neuen Bewusstsein erfahren – und ich bin heil durchgekommen.

Fortsetzung folgt.

Eure Nici

YOGA-REISE

5 Wochen Indien – die Ankunft

Unsere Reise von München über Abu Dhabi nach Pune in Indien dauert etwa 12 Stunden. Hinzu kommt eine Zeitverschiebung von 3 1/2 Stunden. Es ist sehr früh am Morgen, als wir landen. Bei der Einreise werden Fotos von uns gemacht und Fingerabdrücke genommen. Wir wechseln ein paar hundert Euro in tausende von indischen Rupien und haben plötzlich die Taschen voller Geld.

Am Ausgang wartet schon unser Fahrer, den das Hotel geschickt hat, und nimmt uns die Koffer ab. Die Luft ist ganz angenehm. Kühler als zur Zeit in Deutschland, durch die Regenzeit klarer als in anderen Monaten, auch wenn gerade kein Regen fällt. Auf den Straßen herrscht reger (Links-)Verkehr: Mopeds, motorisierte Rikschas, Autos, Fußgänger, streunende Hunde,… – alles scheinbar wild durcheinander. Es wird permanent gehupt. Wir rumpeln durch organisch entstandene Schlaglöcher und über absichtlich angelegte Bremsschwellen, gefühlt Tür an Tür mit anderen Fahrzeugen. Es müsste eigentlich jeden Augenblick scheppern, aber die Fahrer manövrieren ihre Vehikel souverän durch das Chaos. Eine halbe Stunde später sind wir im Hotel.

Wir haben eine Wohnung gemietet, aber die ist die ersten 3 Tage noch belegt. Deshalb überbrücken wir die Zeit im Hotel um die Ecke. Es ist okay – abgesehen davon, dass unsere Kopfkissen offenbar schon lange nicht mehr gewaschen wurden. Wir ziehen sie ab und wickeln unsere großen Schals um die blanken Kissen. Klo und Dusche gehen leicht abschüssig ineinander über, denn es wird oft nass im Bad: Es gibt kein Klopapier, sondern einen Schlauch mit kaltem Wasser neben der Kloschüssel. Wenn man sich mal dran gewöhnt hat, fühlt es sich sogar sauberer und hygienischer an als mit Papier. Die Zähne putze ich mir vorsichtshalber mit Mineralwasser.

Trotz Regenzeit gibt es kaum Mücken. Wir schlafen bei offenem Fenster und lassen die ganze Nacht den Ventilator über unserem Bett kreisen. Das kühlt, schreckt die Mücken ab, und durch das konstante Rauschen wird außerdem der Straßenlärm gedämpft. Wir schlafen erstmal aus.

Wir haben die letzten Juli-Tage Zeit uns einzuleben. Am 1. August beginnen für uns die Yoga-Kurse und das freie Üben am Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute – dem Ort, an dem BKS Iyengar jahrzehntelang gelehrt und praktiziert hat, und wo seine Kinder und seine Enkelin heute noch unterrichten, seine Lehre weitergeben und weiterentwickeln. Das Institut ist nur ein paar Minuten zu Fuß von unserem Hotel entfernt. Wir lassen uns schon mal registrieren. Ein sehr förmlicher Prozess, für den Kopien vom Pass und vom Visum gebraucht werden, die Bestätigung, dass wir überhaupt kommen durften, ein Passbild und ein Dokument vom Hotel. Es kostet mich 590 €, einen Monat lang hier sein zu dürfen. Dafür kann ich von Montag bis Samstag je einen Kurs besuchen, in der großen Übungshalle jeweils 2 – 3 Stunden für mich selbst praktizieren und in so vielen Kursen wie ich möchte zuschauen. Observieren. Das dürfte erst mal reichen, um viel frischen Input mit nach Hause zu nehmen. Es ist schön, endlich an der Quelle des Iyengar Yoga zu sein. An diesem wichtigen und historischen Ort für jeden, der Iyengar Yoga übt und unterrichtet.

Bis es richtig losgeht, erkunden wir die Stadt per Rikscha. Wir spazieren durch den großen Park, der zum Osho Meditationsresort gehört. Wir genießen das tolle indische Essen. Wir gehen shoppen und stürzen uns dafür in ein Getümmel von Menschenmassen, Lärm, Staub, intensiven Gerüchen und grell-bunten Farben. Müll, Abgase, (erstaunlich wenige) Bettler, Kinderverkäufer, Hütchenspieler, aber auch sehr nette und hilfsbereite Menschen. Es ist faszinierend und stressig zugleich. Ich habe im Flieger den Bestseller „Shantaram“ von Gregory David Roberts angefangen, weil er in Bombay spielt – dem heutigen Mumbai, nicht weit von hier. Das Buch reißt mich bis jetzt noch nicht vom Hocker, aber es beschreibt die besondere Atmosphäre in einer indischen Großstadt ganz gut.

Ich bin erstmal angekommen.

Eure Nici