YOGA-REISE

5 Wochen Indien – meine Packliste

Meine zweite Indien-Reise und damit der erste Besuch am Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute (RIMYI) in Pune steht an. Das Institut der Familie Iyengar ist ein Pilgerort für Iyengar Yogalehrer aus der ganzen Welt. Ich habe mich vor zwei Jahren dafür angemeldet, man bleibt üblicherweise einen ganzen Monat.

Pune ist eine Millionenstadt im Westen Indiens. Im August herrscht Regenzeit, was ich als Asthmatikerin eher angenehm finde. Ich fliege mit Moni, einer befreundeten Yogalehrerin, ab  München über Abu Dhabi nach Pune. Wir haben von einer dort ansässigen Schottin eine Privatwohnung in der Nähe des Instituts gemietet. Es gibt WLAN und eine Waschmaschine. Und wir konnten eine einheimische Köchin engagieren, die uns mit indischem Essen verwöhnt. Darauf freue ich mich besonders.

Hier kommen meine Reisevorbereitungen und die Packliste. Vielleicht profitiert noch jemand davon. Ich werde jedenfalls bei einer nächsten Reise sicher froh darüber sein, dass ich nachschlagen kann. Denn nach Pune fliegt man als Iyengar Yogi meist nicht nur einmal…

Termine vor Reiseantritt:

  • Zahnarzt
  • Lungenarzt wegen Asthma
  • Hausarzt wegen Impfungen (Typhus, Hepatitis, Auffrischung Tetanus + Diphterie)
  • Frisör
  • Pediküre

Papiere / Unterlagen:

  • Flugticket
  • Visum
  • Geldbeutel, Bargeld, Kreditkarte, Blocker-Card
  • Reisepass
  • Impfausweis
  • Allergiepass
  • Krankenversichertenkarte
  • Auslandskrankenversicherung
  • Reiseführer (war überflüssig, Bobby Clennells „Pune Guide“ reicht für Iyengar Yogis völlig)
  • Adresse, Kontakt, Wegbeschreibung Unterkunft
  • Notizbuch,3 Stifte
  • Buch

Reiseapotheke:

  • Pille (nehme ausnahmsweise durch, habe schlechte Erfahrung mit öffentlichen indischen Toiletten)
  • Schmerzmittel
  • Grapefruitkernextrakt ab 1 Woche vorher, soll Magen-Darm-Geschichten vorbeugen helfen
  • Magen-Darm-Mittel
  • Malaria-Tabletten, just in case
  • Mittel zur Heilung von Mückenstichen
  • Fettcreme wegen Hautallergien
  • Asthma-Präventions- und Notfall-Spray
  • Pflaster
  • Desinfektionsmittel (nicht benutzt)

 

Hygiene:

  • Reinigungstücher zum Abschminken, Gesichtspads, -wasser, -waschcreme
  • Reise-Nasenspülkännchen + Salz (kaum benutzt, umständlich wegen des Wassers)
  • Zahnbürste, Zahnpasta, Zahnseide, Zungenschaber
  • Ohrenstäbchen
  • Ladyshaver
  • Bimsstein
  • Handcreme, Fußcreme, kleine Bodylotion (überflüssig durch hohe Luftfeuchtigkeit)
  • Deo, Parfüm in Probefläschchen (Parfüm überflüssig)
  • Haarwäsche, Haarspray, Haargel, Kamm
  • Lippenpflege
  • Nagelschere, 2 Nagelfeilen, Nagel-Polierer, Nagelhaut-Entferner (Creme)
  • Pinzette
  • Mückenschutz
  • Sonnencreme (war im August überflüssig durch Regenzeit)
  • Reise-Waschmittel (nicht benutzt)
  • Taschentücher

Kosmetik:

  • Puder
  • Abdeckstift
  • Rouge
  • Wimpernzange
  • Wimperntusche
  • Eyeliner
  • Augenbrauenstift
  • Spitzer

 

Kleidung:

  • 5 kurze Yogahosen (obwohl man sonst in Indien eigentlich kein Knie zeigt, wollen die Iyengars sehen, ob die Kniescheiben auch hochgezogen sind, daher sind am Institut – wie überall auf der Welt – kurze Hosen beim Iyengar Yoga üblich)
  • 2 Yoga-Leggings
  • 13 T-Shirts für Yoga und Alltag (Schultern sollten bedeckt sein)
  • 3 Longshirts
  • 7 Hosen, lang (wegen Mücken und Anstand) + leicht (wegen Wetter)
  • 5 Tanktops, lang (nicht benutzt)
  • 5 Tanktops, kurz (nur zum Ausgehen, nicht zum Üben)
  • 4 dünne Strickjacken, um die Tanktop-Schultern zu bedecken
  • 3 leichte Pullis
  • 1 großes, leichtes Tuch
  • 1 kurzer Schlafanzug
  • 1 Schlafbrille (falls ich nachts eine Mücke höre – um zu verhindern, dass sie mich aufs Augenlid sticht + entstellt…)
  • 1 Bikini (überflüssig)
  • 10 Unterhosen, 5 Yoga-BHs
  • 5 Paar Socken (2 Paar reichen)
  • Gummistiefel, Crocs, Sandalen (Sandalen nicht benutzt wegen Dreck, nur Gummischuhe getragen)
  • 3 Haarbänder
  • 1 Kette, 3 Armbänder, 2 Ringe, 1 Fußkettchen, 1 Paar Ohrringe (immer 2 Fußkettchen tragen oder keins)
  • 2 Brillen, 1 Sonnenbrille, Brillenputztücher (Sonnenbrille überflüssig)
  • Bauchtasche (nicht benutzt)
  • Schirm
  • Platz im Koffer lassen für Shopping (insbesondere kurze Yogahosen, T-Shirts, Tücher, Bücher vom RIMYI,…)

 

Technische Ausrüstung:

  • Handy, Ladekabel, kurzer Kabeladapter, Kopfhörer
  • Tablet, Tastatur, Ladekabel, Hülle
  • Trackinguhr, Ladekabel
  • 2 Steckdosenadapter (haben in der Wohnung nicht gepasst und waren zudem überflüssig)

 

Hab ich was vergessen?

Eure Nici

 

 

WAS YOGA KANN

Fußarbeit – für eine stabile Basis

Einer unserer Freunde ekelt sich vor Füßen. Ich glaube, er kommt vor allem deshalb nie zum Yoga, weil ihm allein der Gedanke an all die fremden, nackten Füße ein Graus ist. Seine Abscheu ist so stark ausgeprägt, dass ich immer an ihn denken muss, wenn das Thema Füße irgendwo aufkommt. Es würde ihm sicher nicht gefallen, wenn er wüsste, dass ich ausgerechnet Füße automatisch mit ihm assoziiere. Das find ich schon wieder lustig.

Viele andere haben einen Fußkomplex, halten die Füße für ihr schlimmstes Körperteil. Zu groß, zu breit, zu platt, krumme Zehen,… Dabei gibt es an gepflegten Füßen gar nichts auszusetzen. Sie werden nur leider recht stiefmütterlich von uns behandelt. Wir stopfen sie in Socken und Schuhe, verstecken damit auch die vielen kleinen Schönheitsfehler – und machen alles nur noch schlimmer.

Unser Fuß ist ein komplexes Gebilde aus 26 Knochen und dient sowohl der Fortbewegung als auch der Gewichtsstütze, ist also eine bewegliche und auch tragende Struktureinheit. Er hat sich über Millionen von Jahren entwickelt, den Großteil davon barfuß und auf unebenem Gelände. Unsere Fußmuskulatur ist daher heute – in Schuhen und auf dem glatten, geraden Untergrund – völlig unterfordert. Die tiefere Muskulatur, die die Fußgewölbe trägt, verkümmert regelrecht. Fehlstellungen, die schmerzen und für die wir uns oft schämen, sind vorprogrammiert.

Ich weiß, wovon ich rede: Ich war eine von rund zehn Millionen Deutschen mit Hallux valgus, dem Schiefstand der großen Zehe. Das Problem betrifft vor allem Frauen. Ich bin inzwischen an beiden Füßen operiert. Die OP ist nicht ohne, denn dabei wird der erste Mittelfußknochen durchgesägt und neu zusammengesetzt. Wenn ich eher mit Yoga, speziell Iyengar Yoga, begonnen hätte, wäre mir das vielleicht erspart geblieben.

Bei einem „normalen“ Fuß beträgt der Winkel zwischen den Längsachsen des ersten und zweiten Mittelfußknochens maximal acht Grad. Beim Hallux valgus ist dieser Winkel deutlich größer geworden. Wie kommt das? Die Ursache ist meist ein abgesunkenes Quergewölbe, also ein Spreizfuß. Wird der verbreiterte Vorfuß dann in enges, vielleicht sogar spitz zulaufendes Schuhwerk gesteckt, dann werden die äußeren Zehen zur Mitte gedrängt. Der vordere Teil des Fußes nimmt mit der Zeit die typische dreieckige Form an.

Die Sehnen, die sich normalerweise mittig über das Grundgelenk vom großem Zeh spannen, laufen bei einer Schiefstellung der großen Zehe seitlich am Gelenk vorbei und drohen dadurch zu verkürzen. Sie ziehen den Zeh noch schiefer, verstärken also die Deformation. Das kann mit der Zeit ganz schön weh tun: Das Mittelfußköpfchen, das an der Innenseite des Fußes immer stärker heraustritt, drückt und reibt am Schuh; das Großzehengrundgelenk und der darüber liegende Schleimbeutel kämpfen gegen chronische Reizzustände.

Kurz zusammengefasst: Eine schwache Fußmuskulatur kann zur Abflachung des Fußgewölbes führen, was möglicherweise eine Fehlstellung auslöst, die sich durch den veränderten Sehnenverlauf noch verschlimmert.

Die Füße sind unsere Basis. Fehlstellungen wirken sich auf das Gleichgewicht aus. Ohne solide Erdung kann ich nicht gut auf einem Bein stehen. Je älter wir werden, desto deutlicher werden wir das spüren. Außerdem können Fußprobleme auch die darüber liegenden Gelenke negativ beeinflussen: die Knie, die Hüfte, die Wirbelsäule,…

Yoga für die Füße

Nach meinen gelungenen Fuß-Operationen hätten sich meine Füße trotzdem wieder verschieben können. Ich bin überzeugt davon, dass vor allem die Yogapraxis das verhindert hat. Beim Iyengar Yoga wird viel Wert auf die Fußarbeit gelegt. In jeder Haltung.

Die Stehhaltungen rücken unsere Füße wieder in unser Bewusstsein, stärken die Fußmuskulatur, halten die Gewölbestruktur aufrecht und die Zehen beweglich. Deshalb gibt es beim Iyengar Yoga auch so viele Ansagen für die Füße: „Spreizt die Zehen“, „Presst die vier Fußpunkte: Innenferse, Außenferse, Großzehballen, Kleinzehballen“, „Hebt die Fußgewölbe“, „Hebt die Innenknöchel und saugt die Außenknöchel nach innen“, … Bei richtiger Ausrichtung passiert in den Asanas Folgendes:

  • Tadasana (Berghaltung): Die Zehenbeuger und -strecker werden aktiviert, um die Haltung zu stabilisieren
  • Asymmetrische Stehhaltungen (Dreieck, Krieger II,…):
    • Vorderes Bein: Das Knie dreht aus zur Kleinzehseite, der Großzehballen wird geerdet. Dadurch wird das Fußgewölbe belebt.
    • Hinteres Bein: Die Außenkante der Ferse presst in den Boden, der Vorderfuß dreht ein. Auch das hebt aktiv das Fußgewölbe. Probiert es aus.
  • Balancehaltungen wie Vrksasana (Baum): Fußmuskulatur, Fußgelenk und Unterschenkelmuskeln werden für die Stabilität in der Haltung beansprucht.
  • Stehende Vorbeugen wie Uttanasana: Um das Becken über die Fersen zu bringen, verlagern wir das Gewicht auf den Vorfuß und pressen den großen Zeh in den Boden. Dadurch wird der Großzehenbeuger aktiviert. Füße und Fußgelenke sind lebendig, denn sie halten das Gleichgewicht.

 

Die Füße sollten aber auch dann in den Haltungen mitarbeiten, wenn wir nicht darauf stehen:

  • Vajrasana (Fersensitz), Virasana (Heldensitz zwischen den Fersen), Supta Virasana (im Heldensitz auf dem Rücken liegen): kräftigt die Fußgewölbe und dehnt verkürzte Sehnen am Großzeh – besonders, wenn wir in den jeweiligen Haltungen vorsichtig die Knie anheben
  • Sitzhaltungen und Umkehrhaltungen: Egal, ob wir die Füße nach vorn oder nach oben strecken, die Fußarbeit sollte immer die gleiche sein: Innenferse und Großzehballen gehören weggedehnt. Wenn das schwierig ist, zeugt das von einer schwachen Fußmuskulatur, zu der auch die Wadenbeinmuskeln im Unterschenkel gehören. Die Schwäche wird sichtbar, wenn in den Haltungen die Fußaußenkante weiter vom Becken weg ist als die Fußinnenkante. Wenn also die Innenseite der Beine kürzer ist als die Außenseite. Diese seitlichen Unterschenkelmuskeln, die den Fußaußenrand Richtung Hüfte ziehen, sind phasische Muskeln, die zur Abschwächung neigen. Wir müssen sie also durch aktive Fußarbeit kräftigen, um die Verbindung zum Fußgewölbe zu stärken.

 

Füße sind für mich zwangsläufig ein großes Thema geworden. Und seit ich mich damit auseinander setze, fällt mir auch auf, wie schief viele Leute unterwegs sind. Ihr müsst nur mal auf die Füße der Menschen sehen, die in einer Einkaufspassage oder im Supermarkt vor Euch laufen. Wie viele haben innen oder außen abgelaufene Absätze, sinken  im Innen- oder Außenknöchel ein? Viele, oder?

Versteckt Eure Füße nicht nur, kümmert Euch lieber mehr darum. Lauft immer mal barfuß, pflegt die Füße, massiert, dehnt und kräftigt sie. Ich finde, es lohnt sich.

Eure Nici

 

 

 

 

 

 

 

 

 

UNSERE LEHRER

Zu Gast: Mandi & Mushky

Die „Base“ liegt am Boden und streckt die Beine nach oben. Der „Flyer“ liegt rück- oder bäuchlings auf den Füßen der Base für diverse Rückbeugen oder Umkehrhaltungen und ein oder zwei „Spotter“ passen auf, dass der Flyer nicht abstürzt. AcroYoga ist eine wackelige Angelegenheit und braucht Vertrauen. Und Mandi (eigentlich Manfred) Suppan vermittelt dieses Vertrauen wie kein anderer.

Ich lag vor ziemlich genau einem Jahr zum ersten Mal auf Mandis Füßen, auf der Yomondis Yoga Convention. Das hat mich so begeistert, dass ich Mandi und seine Freundin Mushky direkt im Anschluss ins YogaKraftwerk eingeladen habe. Inzwischen waren sie schon zum zweiten Mal hier.

Die eigene Übungspraxis

Mandi hat viele Jahre als Lüftungs- und Klimatechniker gearbeitet. Nebenbei hat er sich selber Yoga beigebracht. „Ich hab mich zuerst mit Meditation beschäftigt und bin so zum Yoga gekommen,“ erzählt der Österreicher. „Aber da, wo ich herkomme, gab es damals so etwas nicht.“ Und so hat er sich ein Ashtanga-Buch besorgt und allein mit der Praxis begonnen. Nach zwölf Jahren in seinem Beruf ist er nach Indien aufgebrochen – und nicht wieder in seinen alten Job zurückgekehrt. In Indien hat er seine Yogalehrer gefunden – und die New Yorkerin Mushky kennengelernt. Seither fliegen sie zusammen. Beim vielen Reisen und beim AcroYoga. Ihre gemeinsame „Basis“ ist ca. 70 km von Salzburg entfernt. Seit wenigen Tagen hat auch Mushky ihren festen Wohnsitz dort.

Mandi sitzt jeden Morgen um 6 Uhr auf der Matte. Seine tägliche Yoga-Praxis sieht folgendermaßen aus:

  • 20 min Meditation (Transzendentale Meditation mit einem selbst gewählten Mantra)
  • 15 min Pranayama (früher vor allem Kapalabhati und Anuloma Viloma, heute eher eine Art Hyperventilation – also die Konzentration auf eine starke Einatmung – mit Atempausen)
  • 30 min Dehnung + Kräftigung

 

Mandis Empfehlungen zur Yoga-Literatur:

  • Die meisten Iyengar-Yoga-Bücher, allen voran „Licht auf Yoga“
  • Die Bücher über Ashtanga Yoga und Yoga-Philosophie von Gregor Maehle
  • Für Yogalehrer: „Yoga unterrichten“, „Yoga-Workouts gestalten“ und „Yoga-Haltungen korrigieren“ von Mark Stephens

 

Mushky übt neben AcroYoga in erster Linie Yin Yoga. Und so legen sie auch Wert auf eine Ausgewogenheit von Yin und Yang in der Praxis. Bei aller Power kommt der regenerative Part nicht zu kurz.

Fliegen lernen

Mandi & Mushky lassen ihre Workshop-Teilnehmer ihre Grenzen austesten, ohne dabei leichtsinnig zu werden. Mit seinem charmanten österreichischen Akzent vertreibt der 35-Jährige jede Angst und weckt die Lust, immer wieder neue Figuren auszuprobieren. Er zeigt mit Mushky die Haltungen vor, schult die Achtsamkeit untereinander, lobt, korrigiert, greift ein und based vor allem die Männer, die natürlich auch fliegen und nicht nur die Frauen hochwuppen wollen. Fliegengewicht Mushky gibt auf Englisch Tipps aus der Flyerwarte und spotted, wo immer sie gerade gebraucht wird.

Es sind ein paar Pärchen unter den Teilnehmern, manche kennen sich untereinander aus den Kursen, manche sind allein gekommen. Berührungsängste gibt es nicht – oder sie verfliegen schnell, während die Leute in Kleingruppen abwechselnd aufeinander herumturnen. Die Stimmung ist hochkonzentriert, aber es wird auch viel gelacht. Meist, wenn der Aufbau zu kippen droht. Wenn jedoch die Haltung endlich klappt und der Flyer souverän über der Base schwebt, zieht ein großes Strahlen über die zuvor angespannten Gesichter. Als ob die Sonne aufgeht.

Die Effekte von AcroYoga

„Diese Form der Bewegung hat die stärkste stimmungsaufhellende Wirkung, die ich kenne“, schreibt Tim Ferriss in „Tools der Titanen“ treffend über AcroYoga. „In einer Kultur, in der Berührungen tabu sind, hat man auf diese Weise die Möglichkeit, mit einer anderen Person eine sinnliche, aber nicht-sexuelle Verbindung einzugehen, während man gleichzeitig unglaublich stark und beweglich wird. Außerdem lache ich in allen Trainingseinheiten mindestens die Hälfte der Zeit. Das ist ein wunderbarer Ausgleich zu dem ganzen ‚ernsten Training‘, das ich sonst immer mache.“ AcroYoga ist auch sein Tipp bei Problemen mit dem unteren Rücken: Der Flyer kann sich von der Base richtig verwöhnen lassen beim Therapeutischen Fliegen, indem er während des Fliegens massiert oder in passive Dehnungshaltungen gezogen wird.

Bei aller Achtsamkeit kann man trotzdem mal von der Base fallen. In ihren Workshops ist nie etwas passiert. Bei der eigenen Praxis schon eher, denn da gehen Mandi & Mushky gern weiter und probieren auch immer wieder gewagtere Haltungen aus. „Aber wir üben ja meistens am Strand“, winkt die Globetrotterin Mushky ab. Ja dann…

Ich freu mich schon auf ihren nächsten Besuch.

Eure Nici

 

 

 

UNSERE SCHÜLER

Tinas Challenge: Uttanasana (2. Teil)

Seit einem halben Jahr arbeitet Tina an ihrer Beweglichkeit. Insbesondere in Uttanasana, der Vorbeuge im Stehen. Einmal im Monat treffen wir uns extra für die Challenge im YogaKraftwerk für eine Bestandsaufnahme der Fortschritte und Probleme, für Tipps und Tricks. Jedes Quartal gibt es davon eine Zusammenfassung hier im Blog.

Im Januar kam Tina in der Vorbeuge noch nicht mit den Fingern zum Boden. Das ist zwar kein Problem, macht aber die Asana-Praxis manchmal etwas mühsam. Viele glauben deshalb, sie seien zu steif für Yoga. Das ist Quatsch, denn die Übungen tragen ja dazu bei, flexibler zu werden. Man muss dem Körper aber auch die Zeit geben sich zu entwickeln, Verspannungen zu lösen, geschmeidiger zu werden. Wer Jahre oder sogar Jahrzehnte seine Beweglichkeit vernachlässigt hat, stattdessen im Laufe der Zeit diverse private, berufliche, vielleicht auch gesundheitliche Probleme überstehen musste, kann nicht erwarten, dass ein paar Yogastunden alles wieder richten. Das geht gar nicht. Tina weiß das. Trotzdem ist ihr größter Gegner ihre Ungeduld. Dabei hat sich schon einiges getan: Inzwischen bekommt sie nicht nur ihre Fingerspitzen zum Boden, sondern fast schon die ganze Hand. Doch der Reihe nach…

Der April

Nach den kleinen Erfolgserlebnissen im ersten Quartal, die das Üben deutlich leichter gemacht haben, begann das zweite Quartal mit Frust. Und ich bin Schuld. Ich hatte eine Woche lang in den Iyengar Yogastunden Drehhaltungen in den Fokus gerückt. Drehhaltungen sind wichtig: Sie mobilisieren die Wirbelsäule und gleichen sie aus, halten die Bandscheiben „saftig“ und massieren und aktivieren die Bauchorgane. Drehungen helfen auch, körperliche und emotionale Anspannungen zu lösen und so zur Ruhe zu kommen. Aber sie sind anstrengend. „Macht Euch darauf gefasst, in viele mürrische Gesichter zu blicken, wenn Ihr Drehhaltungen unterrichtet“, hat Sigrun Ramsperger, eine meiner klugen Ausbilderinnen, mal gesagt. Ich werde jedes Mal daran erinnert, wenn ich sie zum Schwerpunkt mache. Die Drehhaltungen haben Tina jedenfalls etwas runtergezogen, denn sie haben ihr ihre Limits aufgezeigt. Drehungen brauchen mobile Schultern und das ist bei Tina aufgrund ihrer Verspannungen eingeschränkt.

Aber sie übt weiter. Mal nach Video, mal im Studio, täglich wenigstens die Vorbeuge und den Herabschauenden Hund. Am Wochenende oft eine ganze Stunde zu Hause. „Manchmal übe ich auch vor dem Fernseher“, gibt sie etwas verschämt zu. Was solls? Das ist dann vielleicht kein Yoga, sondern eher Gymnastik, wenn der Kopf nicht bei der Sache ist, aber es verbessert trotzdem die Beweglichkeit.

Der Sonnengruß gehört inzwischen zu Tinas Standard-Programm, denn er macht ihren Körper weicher und zugänglicher für die anderen Haltungen. Ich gebe ihr ein paar weitere kurze, dynamische Aufwärmsequenzen mit auf den Weg – und eine Vorlage für ein Yoga-Tagebuch, wie ich es selbst während meiner Ausbildung führen musste und das mir damals sehr geholfen hat, meine Praxis zu beobachten und einzuschätzen.

Der Mai

Tina hat immer noch das Gefühl, dass ihre Fortschritte stagnieren. Und damit auch die Motivation. Ihre kleine Tochter Leni wird inzwischen auch agiler und braucht mehr Aufmerksamkeit. Dadurch hat Tina weniger Gelegenheit zum Üben. Das Tagebuch lässt sie liegen. Wahrscheinlich möchte sie es nicht auch noch schriftlich vorgehalten kriegen, wenn sie nachlässt. Am Wochenende geht Tinas Mann Nico mit Leni raus zum Spielen und Spazieren, damit Tina am Ball bleiben kann. Dann übt sie nach Video und ihre Challenge-Grundhaltungen (Vorbeuge, Hund, Vorbeuge in der Grätsche, Vorbeuge im Sitzen,…). Vorm Schlafengehen dehnt sie noch ein bisschen.

Alles normal. Alles gut. Ich habe auch nicht immer Zeit für meine eigene Praxis. Manchmal haben einfach andere Dinge Prioriät. Und manchmal hab ich einfach keinen Bock auf Yoga. Dann brauch ich einen neuen Anlauf. Plane es besser in meinen Tagesablauf ein, suche mir neue Zeitfenster, lass mich von anderen Lehrern inspirieren und lege fest, welche Sequenzen ich in den nächsten 7 Tagen üben werde. Das hilft eigentlich immer. Dann hab ich wieder Lust und finde schließlich auch die Zeit dafür.

Tina, die inzwischen mit den Fingern ihre Zehen erreicht, hat immerhin festgestellt, dass es ihr hilft, sich daran in die Länge und schließlich tiefer in die Vorwärtsbeuge zu ziehen. Wir ergänzen ihre Grundhaltungen also um diverse Variationen: in der Vorbeuge die Hände unter die Füße schieben oder die Fersen greifen, verschiedene Armhaltungen in der gegrätschten Vorbeuge, verschiedene Beinhaltungen in der sitzenden Vorbeuge,…

Der Juni

„Ich habe gute Nachrichten“, begrüßt mich Tina bei unserem Termin. „Mein Rücken ist deutlich besser. Die Beweglichkeit in der Brustwirbelsäule, die Mobilität der Schultern – alles besser.“ Das regelmäßige Strecken in den Vorwärtsbeugen, das Langziehen des Rückens, kombiniert mit Drehhaltungen und der Kräftigung durch armgestützte Haltungen tun ihr offenbar gut. Den Sonnengruß macht sie richtig gern und ausgerechnet Chaturanga, das Brett, das jede Frau hasst, ist inzwischen ihre Lieblingshaltung!

Tina freut sich auch darüber, dass sie aufgrund der besseren Beweglichkeit für ihre Praxis zu Hause gar keine Hilfsmittel mehr braucht. „Ich habe nur noch meine Matte da liegen, sonst nichts.“ Keinen Gurt, der die Arme verlängert, um an die Füße zu kommen. Keine Klötze unter den Händen, weil der Boden zu weit weg ist. Nichts. Tina strahlt. „Das ist einfach ein schöneres Üben.“

Tina hat dieses Mal fleißig ihr Yoga-Tagebuch geführt. An 19 von 30 Tagen im Juni hat sie mindestens 20 Minuten Yoga geübt, oft deutlich mehr. Meist ging es ihr nach der Praxis besser als vorher. Einmal ist sie bei der Stehenden Vorwärtsbeuge in der Grätsche auf den Kopf gefallen. Seither ist sie dabei etwas vorsichtiger…

Die Beweglichkeit hängt natürlich immer noch von der Tagesform und vorallem der Tageszeit ab. Und davon wiederum die jeweilige Motivation. Es geht ihr auch immer noch zu langsam voran. „Ich bin ein bisschen bequem, muss ich zugeben: Ich übe meistens nur das, was gut geht…“ Sagt die Frau, die gern Chaturanga übt…

Sie sagt aber auch, dass es ihr noch an der richtigen Einstellung zum Yoga fehlt. Dass sie Yoga noch viel zu sehr als Sportprogramm und Training sieht. Da fühle ich mich wieder gefordert. Die Asana-Praxis ist ein wichtiger, aber eben nur ein Teil des Yogaweges. Das möchte ich auch vermitteln.

Eure Nici

ASANA-PRAXIS

Sequenz zum Weltyogatag 2018

Am 21. Juni war Weltyogatag. Geeta Iyengar, die Tochter von BKS Iyengar, hat für diesen Anlass eine Sequenz vorgeschlagen, die ich hiermit als Anregung für die eigene Praxis wiedergeben möchte. Ich habe sie am Weltyogatag mit meinen Schülern nicht geübt, weil sie mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war. Aber das holen wir nächste Woche nach.

  • Einstimmung im Sitzen
  • Tadasana / aufrecht stehen wie ein Berg
    • Namaskarasana / Hände in Gebetshaltung vor die Brust
    • Urdhva Hastasana / Arme nach oben strecken
  • Uttanasana / Vorbeuge
  • Adho Mukha Svanasana / Herabschauender Hund
  • Urdhva Mukha Svanasana / Heraufschauender Hund
  • Uttanasana / Vorbeuge
  • Tadasana / Berghaltung
  • Trikonasana / Dreieck
  • Parsvakonasana / Seitlicher Winkel
  • Virabhadrasana I / Krieger I
  • Parivrtta Trikonasana / Gedrehtes Dreieck
  • Parsvottanasana / Vorbeuge über vorderes gestrecktes Bein
  • Prasarita Padottanasana / Gegrätschte Vorbeuge
  • Dandasana / aufrecht sitzen wie ein Stock
  • Janu Sirsasana / Vorbeuge im Sitzen über gestrecktes Bein, anderes Bein abgewinkelt
  • Adho Mukha Upavistha Konasana / Vorbeuge in der sitzenden Grätsche
  • Virasana mit Parvatasana-Armen / im Heldensitz Finger verschränken + Handflächen nach oben strecken
  • Swastikasana mit Parvatasana-Armen / im Schneidersitz Finger verschränken + Handflächen nach oben
  • Parsva Dandasana / aufrecht sitzen + Oberkörper zur Seite drehen
  • Bharadvajasana I / Drehhaltung im Sitzen mit gebeugten Beinen: Füße liegen auf einer Seite neben Po, Drehung zur anderen Seite
  • Marichyasana III / Drehhaltung im Sitzen: 1 Bein gestreckt, anderer Fuß aufgestellt, Drehung Richtung gebeugtes Bein
  • Urdhva Mukha Svanasana / Heraufschauender Hund
  • Dhanurasana / Bogen: Rückbeuge aus der Bauchlage, Fußgelenke greifen
  • Ustrasana / Kamel: im Kniestand Hände zu den Fersen
  • Adho Mukha Svanasana / Herabschauender Hund
  • Sirsasana / Kopfstand
  • Sarvangasana / Schulterstand
  • Halasana / Pflug
  • Chatuspadasana / Schulterbrücke, Fußgelenke greifen
  • Setu Bandha Sarvangasana / Schulterbrücke, Rücken oder Kreuzbein stützen, Beine gestreckt
  • Savasana / Endentspannung

 

Eure Nici

WAS YOGA KANN

Die Relevanz der Körperhaltung

Stell Dich hin. Schließ die Füße. Hebe und spreize die Zehen und leg sie lang wieder ab. Verteile das Gewicht ganz gleichmäßig auf Deinen Füßen. Sauge Deine Kniescheiben ans Gelenk. Bring die Oberschenkel zurück. Länge das Steißbein nach unten. Zieh die Schultern nach hinten unten. Strecke die Arme bis in die Fingerspitzen.

Das ist Tadasana. Die Berghaltung. Eine der wichtigsten Haltungen überhaupt: Fest und aufrecht stehen wie ein Berg. Es ist eine Ausgangsstellung, um gut ausgerichtet in alle Stehpositionen zu kommen. Und es ist die Körperhaltung, die uns geistig und körperlich gesund hält. Besonders in Zeiten, in denen uns das Smartphone ständig in einen Rundrücken mit vorgeschobenem Kopf zieht.

Die schlechte Nachricht ist: Eine schlechte Körperhaltung wird mit zunehmendem Alter schlimmer, weil sich Knochen und Muskeln im Laufe der Jahre der Haltung anpassen. Die gute Nachricht ist: Das liegt in unseren Händen. Wir können meistens Einfluss darauf nehmen, es gar nicht erst soweit kommen lassen oder die negative Entwicklung zumindest aufhalten.

Die Muskeln

Wir unterscheiden zwischen tonischer und phasischer Muskulatur mit unterschiedlichen Funktionen. Lasst uns mal ausprobieren, wie uns die Muskeln in eine schlechte Haltung ziehen können, indem wir diese – kurz – Schritt für Schritt einnehmen:

Zunächst die tonischen Muskeln. Sie halten uns aufrecht. Sie sind kräftig, neigen aber zur Verkürzung:

  • Eine verkürzte Nacken- und Schultermuskulatur zieht die Schultern nach oben und führt zu Nackenverspannungen und Kopfschmerzen.
  • Verkürzte Brustmuskeln ziehen die Schultern zudem nach vorn und runden den Rücken.
  • Verkürzte Rückenstrecker im Lendenwirbelbereich und ein verkürzter Iliopsoas (Lenden-Darmbeinmuskel) kippen das Becken vor in ein sogenanntes Hohlkreuz.

Die phasischen Muskeln sind unsere Bewegungsmuskeln. Sie neigen dazu schwächer zu werden, wenn wir sie vernachlässigen:

  • Der große Gesäßmuskel ermöglicht unter anderem die Streckung im Hüftgelenk und damit den aufrechten Gang. Er trägt außerdem wesentlich dazu bei, dass wir aus dem Sitzen aufstehen können. Bei Tieren, die sich auf vier Beinen durchs Leben bewegen, ist der große Gesäßmuskel nicht so wichtig und auch nicht so ausgeprägt. Aber wir Zweibeiner brauchen ihn schon. Probiert mal aufzustehen, ohne den Po anzuspannen. Was also, wenn die Gesäßmuskeln nicht mehr richtig arbeiten?
  • Die Rückenmuskulatur im Brustwirbelbereich: Wenn sie abschwächt, bekommen wir einen Rundrücken. Insbesondere in Kombination mit verkürzten Brustmuskeln.
  • Auch die Bauchmuskulatur neigt dazu abzuschwächen. Zusammen mit dem eingefallenen Brustkorb kann so die Spannung in der Bauchdecke nicht mehr gehalten werden – der Bauch hängt.

Um dem entgegenzuwirken, sollten wir also die tonischen Muskeln regelmäßig dehnen und die phasischen Muskeln kräftigen.

Die Knochen

Knochen verstärken sich, wenn sie arg beansprucht werden. Eine Schutzfunktion, damit sie nicht kaputt gehen. Aber bei einem Rundrücken hat das eine verheerende Wirkung auf die Wirbelsäule.

Unser Kopf wiegt zwischen vier und sechs Kilo. Wenn wir aufrecht stehen, müssen unsere Wirbelsäule und die Halsmuskeln den Kopf eigentlich nur balancieren. Probiert es wieder aus: Wird der Kopf vorgeschoben, müssen die Halsmuskeln das ganze Gewicht tragen. Die vorderen Halsmuskeln (phasisch) werden mit der Zeit schwach und überdehnt. Die hinteren Halsmuskeln (tonisch) verspannen sich und verkürzen. Das führt zu einer Fehlbelastung der Halswirbelsäule. Um das auszugleichen und den Kopf auf Dauer überhaupt halten zu können, werden die Brustwirbel immer dicker. Der Rundrücken wird so noch runder… Ein Teufelskreis.

Die Psyche

Kummer, Angst und Leistungsdruck verstärken das Problem. Denn bei Stress oder einer Bedrohung ziehen wir automatisch die Schultern hoch und den Kopf in den Nacken und verkrampfen den Rücken. Eine Schutzfunktion, um unseren sensiblen Hals und die Organe im Bauch- und Brustbereich vor feindlichen Angriffen zu bewahren. Dabei ziehen sich die Brust- und Nackenmuskeln tonisch zusammen. Verspannungen und Rückenschmerzen sind vorprogrammiert.

Die größten Risikofaktoren bei der Entstehung von Rückenschmerzen sind Überbelastung und mangelnde Anerkennung am Arbeitsplatz. Stress und ein damit verbundener ungesunder Lebensstil sollen bei bis zu 80 Prozent aller Krankheiten ursächlich oder zumindest beteiligt sein.

Die Psyche wirkt sich also auf die Körperhaltung aus – und umgekehrt. Denn ein eingesunkener Brustkorb zieht uns nachweislich auch mental runter. Wenn wir müde werden oder gestresst sind, verfallen wir in eine Schonhaltung. Die macht uns nur noch müder, motivationslos, dumpf, vielleicht sogar depressiv. Aber das funkioniert zum Glück auch andersherum: Wenn wir uns in solchen Situationen aufrappeln und aufrichten, die Schultern nach hinten unten ziehen und den Brustkorb heben, hellt sich auch unsere Stimmung auf. Wir tanken neue Energie und bekommen wieder einen klaren Kopf. Je aufrechter wir von Haus aus sind, desto leichter wird uns das fallen.

Die Atmung

Ein eingesunkener Brustkorb bewirkt eine flache Atmung. Wirklich tief atmen wir normalerweise nur während einer physischen Anstrengung, weil die Muskeln dann Sauerstoff brauchen. Bei geistiger Arbeit im Sitzen wird von den Muskeln nicht so viel Sauerstoff gebraucht und der Atem fließt flacher. Aber dadurch ermüdet auch das Gehirn.

Mit der richtigen Körperhaltung können wir auch wieder besser atmen. Eine bewusste, tiefe Atmung beruhigt das Nervensystem, wir fühlen uns weniger gestresst und bekommen dann wahrscheinlich auch unsere Aufgabe besser gebacken.

Yoga ist die Antwort

Durch eine regelmäßige Asanapraxis können wir verkürzte (tonische) Muskeln dehnen und phasiche Muskeln auf eine intelligente Weise stärken, ohne dabei die Flexibilität wieder zu verlieren:

  • Stehhaltungen richten uns auf und kräftigen den ganzen Körper
  • Vorwärtsbeugen dehnen die Beinrückseiten und die Strecker im unteren Rücken
  • Rückbeugen dehnen die vordere und kräftigen die rückwärtige Brustmuskulatur und öffnen den Brustkorb,…

Yoga setzt zudem körpereigene Substanzen im Gehirn frei, die stimmungsaufhellend wirken. Der Spiegel von Stresshormonen wie Cortisol im Blut wird nachweislich gesenkt. Pranayama schafft auch im Alltag eine bewusstere Atmung. Meditation beruhigt und erhöht die Konzentration. Außerdem diszipliniert Yoga und zieht oft einen gesünderen Lebensstil nach sich.

Es muss nicht jeder Yoga üben. Aber schränkt Euch nicht selbst in Eurer Freiheit ein. Richtet Euch auf und bleibt gesund.

Eure Nici

UNSERE LEHRER

Zu Gast: Dhanya Daniela Meggers

Dhanya saß an einem Mittwochmorgen vor sieben Jahren beim Frauenarzt im Wartezimmer und blätterte in einer der Illustrierten, die dort herumlagen. Dabei stieß sie auf ein kleines Bild, auf dem vier oder fünf Frauen über Kopf in bunten Tüchern hingen. Sie war sofort angefixt. „Ich liebe Umkehrhaltungen! Kopfstand, Handstand, Unterarmstand – mach ich alles gern. Und ich wollte schon immer mal kopfüber hängen.“ Hängen kann man sonst nur in den Seilen beim Iyengar Yoga, aber dieser Yogastil war Dhanya zu streng. Die Tücher dagegen wirkten spielerisch. Das Foto vermittelte Leichtigkeit und Schwerelosigkeit. Genau, was sie wollte. Weil sie in dem Moment zum Arzt gerufen wurde, riss sie heimlich das Bild aus der Zeitschrift, wie sie heute etwas verschämt einräumt.

Dhanya und das Tuch – Liebe auf den ersten Blick

So fing alles an. Inzwischen hat Dhanya ein Ausbildungsinstitut und reist das ganze Jahr durch Deutschland, in die Schweiz und nach Sri Lanka, um selbst Aerial Yogalehrer aus- und fortzubilden. Einmal im Jahr kommt sie dafür auch ins YogaKraftwerk.

Auf nach Amerika

2011 gab es noch keine Aerial Ausbildung in Deutschland, das hat Dhanya gleich nach dem Arztbesuch recherchiert. Aerial Yoga ist in den USA entwickelt worden, und zum damaligen Zeitpunkt konnte man auch nur in Amerika eine entsprechende Ausbildung absolvieren. Dhanya bestürmte deshalb ihren Mann: „Ich muss nach New York!“ Seine Begeisterung war etwas verhaltener und er bestand darauf, dass sie wenigstens eine Stunde im Tuch ausprobiert haben sollte, bevor sie nach Ameria fliegt. Und so fuhr Dhanya am Montag drauf von Hamburg nach Berlin zu einem Fitnessstudio, das Aerial Yoga schon im Programm hatte. Nach den 60 Minuten im Tuch war klar: Es geht nach New York.

Nachdem alles Organisatorische für die Reise geregelt war, bekam sie doch etwas Angst vor der eigenen Courage: „Ich allein in New York mit meinem Schulenglisch….“ Noch dazu ein Aerial-Anfänger zwischen lauter Amerikanerinnen, die regelmäßig durchs Tuch turnen…

Die Ausbildung wurde tatsächlich tränenreich, aber aus anderen Gründen. „Ich war total geflashed, was man mit dem Tuch alles machen kann. Und ich habe auch viel geweint. Vor Rührung, weil es einfach so unglaublich schön war.“

Yoga ist kein Sport

Trotzdem hat ihr etwas gefehlt. Der yogische Gedanke. Die Aerial Ausbildung war reine Körperarbeit. Keine Atemübungen, keine Meditation, keine Mantren. Es war Sport, kein Yoga. Das wollte Dhanya ändern.

Morgenmeditation beim Aerial Yoga Teacher Training auf der Terrasse vom YogaKraftwerk

Das Teacher Training im Tuch ist eine ergänzende Ausbildung. Es setzt eine Yogalehrer-Ausbildung voraus. Als Dhanya in New York den Umgang mit dem Tuch lernte, war sie schon seit fast zehn Jahren Yogalehrerin. Die gelernte Schneiderin hatte 2002 in Südindien eine Sivananda Ausbildung absolviert und bald darauf die ersten Kurse gegeben. „Ich habe zunächst bei einer Freundin im Wohnzimmer unterrichtet. Für 3 Mark pro Teilnehmer! – Die Freundin konnte umsonst mitmachen“, ergänzt sie lachend. Wenig später hat sie sich auf Anraten ihres Mannes einen Raum gemietet und ihre Schülerzahlen wuchsen. Yoga nahm einen immer größeren Platz in ihrem Leben ein. Auch heute unterrichtet sie noch klassisches Sivananda Yoga. Dabei werden fünf Prinzipien vermittelt, um geistig und körperlich gesünder zu werden: Neben den Körperübungen zählen zum Sivananda Yoga die richtige Atmung, die richtige (vegetarische) Ernährung, die richtige Entspannung sowie positives Denken und die Meditation. Diese Prinzipien sind bei Dhanya in Fleisch und Blut übergegangen. Sie lebt Yoga. Auch bei der Arbeit mit dem Tuch.

Wochen des Zweifels

Mit 40 hat sich Dhanya eine sechswöchige Panchakarma-Reinigungskur im Ashram der berühmten Amma in Indien gegönnt.* Dhanya hat die Kur nicht wegen körperlicher Beschwerden in Angriff genommen. „Es ging mir eher um ein geistiges Reinigen. Darum, Altes loszulassen.“ Und weil Dhanya keine halben Sachen macht, hat sie sich vor Ort dafür auch von ihren langen Haaren getrennt und sich eine Glatze scheren lassen. „Das war ein irres Gefühl. Der Kopf wurde ganz heiß.“ Dhanya machte in dieser Zeit echte Entgiftungsprozesse durch und stellte im Zuge dessen ihr ganzes Leben in Frage. „Ich hatte zum ersten Mal nichts zu tun und Langeweile. Viel Zeit zum Nachdenken. Da kommt einiges hoch. Ich fand plötzlich alles Scheiße. Mein Leben war Scheiße. Yoga war Scheiße… Ich war zwischenzeitlich ganz schön deprimiert.“ Aber in der letzten Woche standen Stirngüsse auf dem Plan. Und einer davon war ein ganz besonderes Erlebnis und hat Dhanya mit ihrem Leben völlig ausgesöhnt: Eine Stunde lang tropfte Öl zwischen die Augenbrauen und sie wurde dabei immer entspannter. Dhanya konnte endlich loslassen.

„Nach der Kur holte mich mein Mann dort ab. Ich war inzwischen in einem ganz anderen Film und fand mich total schön mit meiner Glatze. Mein Mann meinte nüchtern, ich sähe aus wie nach einer Chemotherapie… Ich hatte mich verändert. Wir haben eine ganze Woche gebraucht, um wieder zueinander zu finden.“

Dhanya im Wunderland

Aerial Yoga und die Gründung ihres eigenen DANA® Aerial Yoga Ausbildungsinstituts erfüllen Dhanya heute voll und ganz. Sie arbeitet mehr denn je, ist die Hälfte des Jahres auf Reisen, entwickelt neue Fortbildungsseminare, arbeitet an ihrem zweiten Aerial Yoga Buch, schneidert Meditationskissen und Yogakleidung. Ihr Mann Mathias hält ihr den Rücken frei. Die beiden haben einen gemeinsamen Traum, den sie sich nun erfüllen werden. Sie haben ein Grundstück in Bellin, Mecklenburg Vorpommern, gekauft. „Mitten im Niemandsland“, um mehr im Einklang mit der Natur zu leben.

Aerial Yoga im Belliner Niemandsland

Dort soll ein Yogazentrum entstehen, ein kleiner Ashram. Mathias ist gerade dabei, seinen Beruf aufzugeben, um in den nächsten vier, fünf Jahren zu bauen. Bereits heute finden dort im Sommer Aerial und Sivananda Seminare statt. Später soll es ganzjährig betrieben werden. „Ich fühle mich dort wie Alice im Wunderland“, meint Dhanya. „Es ist alles so unwirklich schön.“

Eure Nici

*Amma ist ein Thema für sich, hier nur die Kurzform: Amma reist durch die Welt, um Menschen fest in den Arm zu nehmen. Ich habe sie in München mal selbst erlebt und mich von ihr umarmen lassen. Sie hat eine faszinierende Ausstrahlung. Erwachsene Männer liegen laut schluchzend in ihren Armen…

LEBENSGESCHICHTEN

Licht und Liebe

Die Beschreibung von Utes Lebensentwurf ist ausdrücklich keine Empfehlung zur Nachahmung. Es ist ein Porträt über eine interessante Frau, die unkonventionelle Wege geht, um ihren Körper zur Ruhe zu bringen und schmerz- und beschwerdefrei zu werden. Ein langer Prozess, der schon vor Jahrzehnten begonnen und sich seither in vielen Aus- und Fortbildungen und behutsamen Experimenten entwickelt hat. Es geht Ute dabei um die eigene Gesundheit. Sie will nicht bekehren, drängt niemandem ihren Lebensentwurf auf. Sie erzählt mir ihre Geschichte, weil ich sie danach frage. Sie ist dabei auffallend zurückhaltend. Zum einen will sie zu nichts animieren, das gefährlich werden könnte. Zum anderen ist ihr bewusst, dass sie manch einer als esoterische Spinnerin abtun wird. Denn: Ute macht schon zum wiederholten Male eine Lichtnahrungskur.

Ute ist eine der Teilnehmerinnen der Aerial Yogalehrer Ausbildung von Dhanya Daniela Meggers, die zur Zeit im YogaKraftwerk stattfindet. Ich nahm am ersten Tag an der Vorstellungsrunde teil, in der alle erzählten, wie sie zum Yoga gekommen sind. Dabei ist mir die große, ruhige Frau besonders aufgefallen. „Es begann mit einem Traum. Ich habe geträumt, dass ich Yogalehrerin werden soll.“ Ute saß ganz ausgewogen im Lotussitz und erzählte davon, wie Yoga dazu beigetragen hat, die körperlichen Probleme zu reduzieren.

Yoga für mehr Körperspannung

Ute ist hyperflexibel. Erst durch Yoga erlernte sie eine Grundspannung, mit der sie ihren Körper zusammenhält. „Wer überbeweglich ist, kommt zwar in jede Haltung leicht hinein, aber ohne Körperspannung reißt es einen dann einfach auseinander. Durch die Yogapraxis kann ich jetzt mit meinem Körper ganz anders umgehen. Das zu erfahren war wichtig und auch sehr erleichternd für mich.“

Das bessere Körpergefühl bewirkt auch, dass Ute weniger stürzt. Sie hat schon viele Unfälle in ihrem Leben gehabt und sich dabei teils heftige Verletzungen zugezogen. Sie ist gefallen, hat sich verbrannt, die Kniescheibe gebrochen,… „Ich bin ein Ersatzteillager“, sagt sie nüchtern. Eine Schraube im Finger, eine Kreuzbandplastik im Kniegelenk,… Sie wurde 2007 von dem Sturmtief Kyrill mit ihrem Fahrrad hochgehoben und durch die Luft gewirbelt. Das gab ihrem Knie den Rest und setzte Ute für Monate außer Gefecht. Ich sehe die Narben, und trotzdem hat Ute ihre Beine in den Lotus verschlungen. Sie bekam ihr Knie in den Griff. Und nicht nur das.

Fasten gegen Krebs

Die Psychologin hatte als Kind schon Rheuma und musste heftige Medikamente dagegen nehmen. Das wollte sie als Erwachsene nicht mehr. Selbst bei der großen Knie-OP bestand sie auf einer Spinalanästhesie und schaute bei der Operation zu. „Ich konnte auf den Geräten sehen, wie mein Blutdruck hoch und runter geht, und habe ihn mit meiner Atmung selbst reguliert“, sagt sie schmunzelnd. Das beeindruckte sogar den skeptischen Anästhesisten.

Borreliose, wandernde Gelenkentzündungen, Unterleibskrebs – Ute blieb wenig erspart. Aber sie fand einen entscheidenden Weg für sich, ihren Körper zu besänftigen: über die Ernährung. Dem Krebs ist sie mit der Schattentherapie von Rüdiger Dahlke und der zugehörigen dreiwöchigen Fastenkur entgegengetreten. Sie hat heute keinen Krebs mehr. Das ist kein Plädoyer für alternative Heilmethoden, aber für sie hat es funktioniert.

Die allmähliche Umstellung der Ernährung begann mit einem Schlüsselerlebnis, wie die heute 52-Jährige erzählt: 1993 ist vor ihrem Haus ein Kälbertransport umgekippt und die armen Viecher lagen wild durch- und übereinander gequetscht im Laster herum und kämpften um ihr Leben. Ute informierte sich daraufhin über die Bedingungen bei der Viehzucht und entschied, Vegetarierin zu werden. Dabei stieß sie auf viel Unverständnis und regelrechte Anfeindung. Zum Teil von Leuten, die heute selbst vegetarisch leben. Erst als sie – nach ihrem Traum – die Yogalehrer Ausbildung bei Yoga Vidya begann, traf sie endlich auf Gleichgesinnte. Ein Osteopath sagte ihr später, die vegetarische Ernährung sei die beste Entscheidung gegen die rheumatischen Schmerzen gewesen. Später ist sie noch einen Schritt weiter gegangen und hat auf vegane Ernährung umgestellt. Ihre körperlichen Probleme wurde immer weniger.

Ein umstrittenes Experiment

„2007 bin ich schließlich auf die Lichtnahrung gestoßen. Ich wollte es ausprobieren, um mein Knie zu heilen.“ Lichtnahrung ist eine äußerst umstrittene esoterische Fastenmethode nach Ellen Greve, einer Australierin, die sich Jasmuheen nannte. Die Kur dauert 21 Tage. In den ersten sieben Tagen wird dabei weder gegessen noch getrunken. Ab dem achten Tag werden langsam wieder Wasser und Säfte zugeführt. Mehr nicht. Nach den drei Wochen kann man entscheiden, ob man wieder zu normaler Nahrung übergeht oder dabei bleibt. Es heißt allgemein, dass der Mensch drei bis vier Tage ohne Trinken und bis zu 60 Tage ohne feste Nahrung überleben kann. Bei dem Versuch, sich ausschließlich von Prana (feinstofflicher Energie, unter anderem Licht) zu ernähren, sind schon Menschen gestorben.

Das Buch von Jasmuheen allein hätte Ute noch nicht überzeugt, aber sie las auch den Erfahrungsbericht des Chemikers Michael Werner über Lichtnahrung. „Der Ton des nüchternen Naturwissenschaftlers hat mich schon eher dazu bewogen, es auszuprobieren.“ Ute zog sich für drei Wochen allein an die Ostsee zurück. „Mir war klar, dass ich sofort wieder was trinken würde, wenn ich mich dabei zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr wohlfühlen würde.“ Aber es ging ihr gut. „Erst habe ich etwas Gewicht verloren. Das hat sich dann eingependelt und schließlich habe ich mich richtig fit gefühlt.“ So fit, dass sie eigentlich auch nach den drei Wochen dabei bleiben wollte. Aber dann holte sie der Alltag wieder ein. „Als ich wieder anfing zu arbeiten, hat es für mich nicht mehr funktioniert und ich habe wieder gegessen. So ist es bei der Kur geblieben, die mir sehr gut getan hat. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass man Aussagen wie ‚Nach drei Tagen ohne Trinken stirbt man‘ auch hinterfragen kann.“ Aber das ist ihre Erfahrung. Ute hat ihren Körper jahrzehntelang erforscht und ich habe bei ihr das Gefühl, dass sie weiß, was sie tut. Sie experimentiert für ihr Wohlbefinden, aber sie ist nicht leichtsinnig.

Die Grenzen des Lichtes

Kurz vor der Aerial Yogalehrer Ausbildung hat sie wieder eine Lichtnahrungskur begonnen und die ersten Tage hier auch tatsächlich nur Wasser getrunken. Wenn die anderen in der Mittagspause auf der Terrasse aßen, hat sie sich auf ihrer Matte in der Sonne ausgebreitet. „Guten Appetit!“, rief ihr Dhanya dann amüsiert zu. Am fünften Tag der Ausbildung hat Wasser nicht mehr gereicht. Es geht an die körperliche Substanz, den ganzen Tag durchs Tuch zu fliegen. Dabei oft kopfüber und in Rückbeugen. (Ich weiß, wie das ist. Ich war damals bei meiner Ausbildung die ganze Zeit wie unter Drogen.) Deshalb hat sich Ute in der Mittagspause Erdbeeren und drei Spargelstangen gekauft. Immerhin.

Ute (rechts) nimmt am diesjährigen Aerial Yoga Teacher Training von Dhanya Daniela Meggers teil

Was sagt ihre Familie dazu? „Wir waren schon immer etwas anders“, meint sie lächelnd. Ihr Mann Andreas, lange Zeit Mitglied der recht bekannten Folk-Band „Das blaue Einhorn“, schnappte sich beispielsweise nach 25 Jahren Ehe seine Bouzuki und ist ohne Geld und Handy auf Wanderschaft gegangen. Er ist aus dem Gartentor marschiert, „rechts zur Elbe und dann nach Süden“. Auf 1600 km hat er Osteuropa zu Fuß durchquert und kam nach einem halben Jahr wieder zurück. Eine Grenzerfahrung, die er in dem Buch „Hans im Glück oder die Erlaufung des Südens“ festgehalten hat. Nach seiner Rückkehr ging Ute weg: für ein ganzes Jahr nach Bad Meinberg zu Yoga Vidya. Ihre Auszeiten führten zunächst dazu, dass sich bei den beiden Harmoniemenschen auch ein paar Reibungspunkte herauskristallisierten, was sie später nur noch enger zusammen gebracht hat. „Wir hatten schon immer eine glückliche Ehe, aber nach diesen Reisen haben wir uns noch mal ganz neu kennengelernt. Wir haben mehr Verständnis für die Eigenheiten des anderen entwickelt.“

Weitere Facetten

Ute und Andreas haben eine sehr enge Verbindung zu ihren zwei Kinder und inzwischen sechs Enkeln. „Von ihnen hab ich ganz viel gelernt“, sagt Ute. „Kinder können einem so viel vermitteln, wenn man aufmerksam ist: Dass Leben auch Spaß machen darf. Dass man nicht immer nur funktionieren muss. Dass man sich nur richtig freuen kann, wenn man diese Freude auch mit anderen teilen kann. Miteinander statt gegeneinander.“ Ihre „Leidensgeschichte“ hat sie zwar sehr geprägt, ist aber nur eine Facette der Frau, die seit mehr als zwei Jahren Sommer wie Winter barfuß läuft. Um mehr zu spüren, bewusster zu gehen, sich zu erden. Ihre Intention ist die Gemeinschaft. Ute und ihr Mann geben Gemeinschaftsbildungsseminare nach Scott Peck. Dabei geht es darum, Gruppen zusammenzuführen und zu unterstützen, die in einer Gemeinschaft zusammenleben wollen. Damit das funktioniert, müssen sie miteinander kommunizieren können.

Das Ehepaar will demnächst selbst mit mehreren Generationen unter einem Dach leben. Dabei wird nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Musik eine große Rolle spielen. Denn Ute und Andreas machen heute oft gemeinsam Musik, treten zusammen mit ihren „Liebesliedern“ auf. Gern auf sogenannten Wohnzimmerkonzerten. „Gleich nach der Aerial Ausbildung stehen die nächsten beiden an“, sagt Ute und ihre Augen leuchten dabei. Sie wirkt kerngesund – und voller Lebensfreude.

Eure Nici

 

MEINE FAMILIE

HeimatLiebe

Meine Oma Christa hatte den Spitznamen „Der General“ in unserer Familie, weil sie so dominant war und meinen Opa Klaus herumkommandiert hat. Es herrschte tagsüber oft ein rauer Ton zwischen den beiden. Aber wenn ich sie abends in ihrer Hälfte unseres Hauses besucht habe, saßen sie immer Hand in Hand nebeneinander in ihren Sesseln und haben zusammen gelesen oder ferngesehen. Das stand für mich stets sinnbildlich für ihre enge Beziehung.

Sie haben die gemeinsamen Abende in ihrem schönen, großen Haus, das sie sich selbst erbaut hatten, genossen. Die Zeit zu zweit – mit ihren Kindern und Enkeln direkt nebenan. Mir hat es damals ein bisschen die Luft abgeschnürt, dass die ganze Familie unter einem Dach gelebt hat, aber für meine Großeltern war es genau richtig. Und rückblickend war es auch eine sehr schöne Zeit.

Mit Omi und Opi auf unserem Hof

Bilderbuch-Großeltern

Meine Großeltern waren immer stolz auf uns. Vor allem auch über die Entwicklung von meinem Bruder Björn, der aufgrund seiner Behinderung besondere Förderung brauchte. Meine Oma hat mit ihm so oft Lesen geübt, dass er heute noch davon erzählt, wie ihm damals der Kopf geraucht hat, weil sie nicht locker ließ. Sie haben ihm viel über Landwirtschaft, Pflanzen und Tiere beigebracht. Mich hatte das Landleben nicht so interessiert, aber Björn weiß das alles immer noch. Mein Opa war Schäfer. Er wollte 120 Jahre alt werden und aus Björn auch einen Schäfer machen, um ihm damit eine berufliche Zukunft zu sichern. Das war noch vor der Wende.

Mein Opa konnte zweistimmig pfeifen und erzählte gern Witze. Meine Oma war sehr gesellig und spielte gern Karten. Wenn ich mit ihnen in den Urlaub gefahren bin, haben wir die ganze Fahrt über im Auto gesungen. Er war ein Frühaufsteher, sie der totale Nachtmensch. Er liebte die Ruhe, sie blieb auf jeder Party bis zum Schluss – auch als sie kaum noch konnte. Er hat beim Schafehüten ab und an Liebespaare im Auto aufgeschreckt, wenn er spaßeshalber an die Scheibe geklopft und ihnen mit dem Finger gedroht hat. Sie hat sich darüber kaputt lachen können. Mein Opa war unglaublich neugierig. Meine Oma bewundernswert weltoffen. Sie hatten am 21. Dezember geheiratet – dem kürzesten Tag mit der längsten Nacht des Jahres.

Ihren Hochzeitstag kannten wir alle auswendig

Sie haben als Teenager im Krieg ihre Eltern verloren* und später beide die Lungentuberkulose überlebt. Sie mussten schon früh erwachsen werden und sind deshalb in ihrem späteren Leben voll aufgegangen. Es war sicher nicht sorgenfrei, aber es kam mir so vor.

Die Welt der Bücher

Mit „Heimat“ verbinde ich daher in erster Linie die Erinnerung an meine Großeltern, mit denen ich viel Zeit verbracht habe. Mein lustiger, aber auch sensibler und ungemein liebevoller Opa, der einen ganz fest in den Arm nehmen konnte, und meine toughe kleine Oma, die sich so viel Wissen selbst angeeignet hat und mit der mich unsere Liebe zu Büchern sehr verbunden hat. Ich wusste schon als Kind, dass ich mal all ihre Bücher erben werde, weil ich ihren „Schatz“ als einzige richtig zu schätzen wusste, und so ist es später auch gekommen. Ich habe heute so viele Bücher, dass ich weiß, dass ich sie gar nicht alle lesen kann, selbst wenn ich bis an mein Lebensende nichts anderes machen würde als lesen. Das ist ein seltsames Gefühl.

Damals und heute: Lesen im Kinderzimmer

In meinem alten Kinderzimmer befindet sich neben meinen eigenen Regalen der riesige Wohnzimmerschrank meiner Großeltern, in dem die Bücher teilweise in drei Reihen hintereinander Rücken an Rücken stehen. Ich könnte Stunden damit zubringen, die Bücher durchzugehen, neu zu sortieren, darin zu stöbern,… Manchmal finde ich darin kleine Zeitungsausschnitte oder Notizen von meiner Oma. Sie hat gern Biografien und geschichtliche Bücher gelesen, Sachbücher über die Königshäuser und „Der Laden“ von Erwin Strittmacher, weil dieser Roman sie an ihre eigene Kindheit in einer Bäckerfamilie erinnert hat. Sie hat sich nach der Wende einen Computer zugelegt, weil sie all ihre geliebten Bücher in einer Datei auflisten und nach Autor, Titel, Erscheinungsdatum, Genre, etc. sortieren wollte. Ich sollte ihr dabei helfen und hätte es auch gern getan. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen.

Zu weit weg

Ich bin mit 20 von zu Hause weggezogen und war seither viel zu selten zu Besuch. Ich habe deswegen keine Schuldgefühle, aber es tut mir leid. Das einzige Mal, dass ich meine Oma wirklich tief enttäuscht habe, war, als ich ihr irgendwann während meines Studiums gesagt habe, dass ich danach nicht nach Hause zurückziehen würde. Damals hat sie bitterlich geweint.

Als mein Opa vor elf Jahren sehr krank wurde, wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie weit ich eigentlich von zu Hause weg bin, wenn was passiert. Ich konnte ihn nicht so oft im Krankenhaus besuchen, wie ich wollte, weil ich in München gearbeitet habe. 400 km entfernt.

Es war uns innerhalb der Familie schon früher klar, dass keiner der beiden den anderen lang überleben würde. Dazu haben sich meine Großeltern gegenseitig viel zu sehr gebraucht. Meine Oma war der Kopf der beiden und mein Opa der Halt. Sie haben sich auch deshalb oft bei den Händen gefasst, weil meine Oma aus gesundheitlichen Gründen ziemlich wacklig auf den Beinen war. Aber nicht nur das. Als mein Opa im Krankenhaus lag, hat meine Oma bei all den kleinen täglichen Ritualen gesagt: „Wir werden nie wieder zusammen frühstücken.“, „Er wird nie wieder neben mir in der Küche Zeitung lesen, während ich koche.“,… Mein Opa war die Liebe ihres Lebens, auch wenn sie ihn oft geschimpft hat. Zwei Monate nach seinem Tod ist sie ihm gefolgt. Sie wollte nicht ohne ihn zurückbleiben.

Das Leben danach

Das ist bis heute der größte Verlust, den ich erlebt habe, und ich weiß, dass ich mich glücklich schätzen kann. Glücklich, dass ich mit liebevollen Großeltern aufwachsen konnte. Glücklich, dass meine Eltern noch recht jung und gesund sind. Meine Großeltern haben leider nicht mehr erlebt, dass ich meinen Beruf gewechselt und das Yogastudio eröffnet habe. Mein Opa war ein Gesundheitsfanatiker, der hätte das super gefunden. Und ich glaube, sie wissen es doch. Ich habe seit ihrem Tod oft das Gefühl, dass sie bei mir sind und noch irgendwie auf mich aufpassen. Besonders intensiv war dieses Gefühl mal in Indien, als wir im Morgengrauen jeder für sich nach draußen zum halbstündigen Meditieren geschickt wurden. Da waren sie direkt bei mir. In meiner Vorstellung sind sie wieder zusammen. Zufrieden lächelnd und Händchen haltend.

Meine Mama hat auf ihren Grabstein zwei Hände eingravieren lassen, die sich festhalten. Es haut mich immer wieder um, dass diese beiden Hände tatsächlich genau so aussehen wie die Hände von meinen Großeltern. Ich vermisse sie sehr.

 

*Ich habe während meines Studiums schon einmal über meine Großeltern geschrieben. Damals habe ich meine Oma zu ihren Kriegserinnerungen interviewt. Diesen Artikel habe ich bei der Idee für diesen Beitrag wieder hervorgekramt. Es hat mich sehr berührt, was meine Großeltern in jungen Jahren erleben mussten. Und weil ich finde, dass solche Erfahrungen nicht vergessen werden sollten, stelle ich meinen alten Artikel aus dem Jahre 1995 einfach auch in diesen Blog:

Meine Oma, die Zeitzeugin

Eure Nici

MEINE FAMILIE

Meine Oma, die Zeitzeugin

Ich habe meine Oma Christa Beyer 1995 im Rahmen eines Journalistik-Seminars meiner Uni interviewt. Damals war es einfach eine Studienarbeit. Heute bin ich froh darüber. So konnte ich ihre Erinnerungen auf diese Weise festhalten. Damit sie nicht verloren gehen, veröffentliche ich den damaligen Beitrag in diesem Blog. Was das mit Yoga zu tun hat? Ahimsa ist das Sanskrit-Wort für „keine Gewalt“. Mein Verhalten der Umwelt gegenüber ist der erste Teil des achtstufigen Yogapfades. Für uns sollte heute Gewaltlosigkeit in Worten und Taten gar kein Problem mehr sein – und trotzdem schaffen wir es nicht immer. Wie sieht es da erst in Kriegszeiten aus? Und das ist noch gar nicht so lange her. Meine Oma hat es noch erlebt:

Sie kann die jungen, schmucken Soldaten ganz deutlich vor sich sehen. Ihre Uniformen glänzen, sie sind frisch und stecken voller Tatendrang. Das kleine Mädchen Christa steht wie alle anderen am Straßenrand und winkt ihnen zu. Sie ist gerade acht Jahre alt. Viele Menschen werfen den Männern Blumen auf den Weg zum Abschied. Es ist 1939, und die deutschen Truppen marschieren in die Tschechoslowakei ein. Ebenso deutlich sieht sie heute ein zweites Bild: die Rückkehr der Soldaten im Frühjahr 1945. Müde und zerlumpt, mit Fußlappen und zum Teil verletzt, schleppen sie sich zurück zu ihren Familien.

Christa Beyer hat ihre Häkelarbeit zur Seite gelegt. Sie braucht die Hände, um ihre Worte zu unterstreichen. Als der Zweite Weltkrieg begann, war sie ein Kind, und eine Jugendliche, als er endlich wieder aufhörte. Das war vor 50 Jahren. Sie wacht längst nicht mehr auf, weil sie von Fliegerbomben geträumt hat, doch die Erinnerungen an diese Zeit sind kein bisschen verblasst. Vom Balkon ihres Hauses aus kann man riesige Wiesen und Felder bis zu einem Bahndamm am Horizont überblicken. Die Sonne scheint, und es grünt und blüht ringsum. Der kleine Ort Trebnitz in Sachsen-Anhalt liegt nur wenige Kilometer von dem Leuna-Werk entfernt. Während des Krieges war das große Industriegelände Ziel der britischen und später auch amerikanischen Kampfflugzeuge. Die 64-Jährige weist mit einer ausschweifenden Handbewegung auf die Felder. „Dort wurden überall Nebelfässer aufgestellt und angezündet, damit die Bomber das Leuna-Werk nicht finden und zerstören konnten. Deshalb fielen so viele Bomben, die ihr Ziel verfehlten, auf die umliegenden Dörfer.“

1944 gehörte Fliegeralarm fast zur Tagesordnung. Wenn die Familie zu Bett ging, legten sie ihre Kleidung so hin, dass sie ganz schnell hineinschlüpfen konnten, falls es wieder Alarm geben würde. Der Bunker, in den sie flüchteten, befand sich etwa einen Kilometer entfernt in Richtung Leuna. Einmal fiel eine Bombe in den Vorraum, und die stabile Eisen- und Betonkonstruktion schwankte beängstigend. Aber sie hielt aus. Ausländer durften nicht in den Bunker. Sie legten sich bei Alarm in die Gräben der Felder und konnten nur hoffen.

„Wir hatten auch einen Gefangenen in unserer Familie aufgenommen. Ein Pole namens Bolek. Eine treue Seele. Es war verboten, die Gefangenen mit am Tisch essen zu lassen. Doch wenn der Gendarm kam, dann bellte unser Hund ganz laut, und mein Vater sagte nur: „Bolek, Polizei.“ Daraufhin nahm Bolek seinen Teller und setzte sich auf den Kohlenkasten.“ Ihre blau-grauen Augen blitzen belustigt. Bolek war streng katholisch erzogen gewesen. „Manchmal, wenn wir in unserer Verzweiflung laut ‚Gott verdammich!‘ geflucht haben, ist er richtig ausgerastet: ‚Ist denn nicht alles schon schlimm genug?!‘“

Am 6. Dezember 1944 wurde die Familie schließlich total ausgebombt. Nach so langer Zeit kann die kleine Frau heute recht nüchtern davon erzählen. „Wir waren gerade im Bunker, als die Bombe schräg in unser Haus fiel“, berichtet sie sachlich und zeigt kaum eine Regung. „Der Hund war bei uns, aber die Pferde wurden im Stall zugeschüttet. Sie waren nicht verletzt, konnten jedoch nicht heraus. Wir mussten sie durch das Fenster füttern.“

Viele Häuser waren zerstört, und überall standen warnende Schilder: „Plünderer werden zum Tode verurteilt“. Später gab es noch einen nächtlichen Großangriff, bei dem Leuna mit Luftminen bombardiert wurde. Die Familie konnte sich gerade noch in einen Keller retten, von dessen Fenster aus sie das Leuna-Werk sehen konnten. „Durch den großen Luftdruck flogen die Fenster heraus und der Putz herunter, und mir war, als könnte ich durch den Keller schwimmen.“ Aufgeregt wirbelt sie nun mit den Armen. „Auf dem Bauernhof rannten sämtliche Tiere aufgescheucht umher: Kühe, Schweine, Hühner. Alles durcheinander. Zum Glück fiel keine Bombe ins Dorf.“ Der Angriff kam zu überraschend, und die Nebelfässer konnten nicht so schnell aufgefüllt werden.

Ihr Vater, Kurt Deubel, war Bäcker und musste zu Kriegszeiten drei Ortschaften versorgen. Er wurde deshalb nicht zum Kriegsdienst eingezogen, sondern war bei der Heimatflak. Ihr Blick verdunkelt sich, sie zieht die Augenbrauen zusammen und starrt nachdenklich auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Es passierte am 14. Januar 1945 gegen Mitternacht. Der Vater hatte den Rest der Familie noch in den Bunker geschickt. Und sie hatte die ganze Zeit über schon so ein ungutes Gefühl. Gleich nach dem Angriff rannten Christa und ihr Bruder Johannes zur Flak. Fünf Männer waren gefallen. Einer war ihr Vater. Die Bäckerei musste erst einmal liegenbleiben.

Am 11. April war der letzte große Angriff. Noch ein Datum, das sie ohne jedes Zögern in ihre Geschichte einfließen lässt. Sie braucht nicht darüber nachzudenken. Diese Daten haben sich fest in ihr Gedächtnis eingeprägt. „Die Amerikaner kamen. Aber sie haben uns nichts getan. Wollten nur ein paar Eier“, winkt sie ab. „Doch dann der große Schock: Unser Teil wird russische Besatzungszone!“

Auch in den umliegenden Städten wie Bad Dürrenberg wurden im Krieg Gefangene gehalten. Russen, Polen, Ukrainer. Sie mussten im Lager leben, und es ging ihnen viel schlechter als denen, die in den Dörfern bei Bauern untergebracht waren. Zu Kriegsende kamen sie dann ins Dorf, um zu plündern und Rache zu üben. Die Großbauern, die wie Kriegsverbrecher behandelt und vertrieben wurden, befanden sich in besonders großer Gefahr. Einer von ihnen wurde von dem wütenden Mob fast in der Saale ertränkt. „Aber unsere Gefangenen haben uns verteidigt. Gott, was da los war! Die gingen mit Hacken aufeinander los!“ Die polnischen Gefangenen haben Fahrräder bekommen und sind in Richtung Osten geradelt. Manche Familien im Dorf stehen noch immer in Kontakt mit ihnen, und sie besuchen sich gegenseitig. Von Bolek haben sie nie wieder etwas gehört.

Der Krieg fiel genau in ihre Schulzeit. Acht Jahre lang hätten die Kinder damals eigentlich in die Volksschule gehen müssen. Doch wenn Christa Beyer heute die Zeit grob zusammenrechnet, die sie tatsächlich in der Schule waren, kommt sie höchstens auf sechs Jahre. Selbst die Lehrer waren zum Kriegsdienst eingezogen, und so gab es nur einen einzigen Dorflehrer, der in mehreren Orten sämtliche Altersklassen unterrichtet hatte. „Viel habe ich von der Schule nicht gehabt. Das meiste lernte ich später in der Berufs- und Meisterschule.“

Der Krieg war gerade vorüber, und die Spur, die er hinterlassen hatte, noch ganz frisch. Es herrschte eine große Hungersnot. „Dabei hatten wir es ja noch gut, wir konnten wenigstens Rübensaft kochen.“ Fast alle Scheunen waren abgebrannt, und das Stroh musste auf den Feldern gelagert werden. Die Tiere hatten sie teilweise in anderen Dörfern untergebracht, wo nicht so viele Ställe zerstört waren. Das verursachte die nächste Auseinandersetzung, weil die Bauern, denen die Pferde und Kühe in Obhut gegeben wurden, die Tiere nicht wieder herausrücken wollten.

Alle haben für sich gewirtschaftet, keiner hatte Geräte. Von dem Getreide mussten die Bauern einen Teil abgeben. Die russische Kommandantur drohte mit Erschießung, wenn sich einer weigerte. Deshalb musste die damals 14-Jährige mit ihrer Familie manchmal die ganze Nacht hindurch Getreide dreschen. „Die Russen waren wie die Dummen“, meint sie noch immer empört und tippt sich energisch mit einem Zeigefinger an die Stirn. „Vor allem waren das Leute, die überhaupt keine Ahnung von der Landwirtschaft hatten, die uns so herumkommandierten. Das Getreide wurde gesammelt und wahrscheinlich gleich nach Russland abtransportiert. Erst später wurden sie umgänglicher.“

Die Familien mussten ihre Waffen abgeben und wurden zu Einsätzen auf die Felder befohlen, um die vielen Bombentrichter zuzuschütten. Es wurde ihnen verboten, ihre Tiere zu schlachten. Dazu brauchte man erst einen Schlachtschein. Obwohl das Vieh gezählt war, schlachteten sie manchmal vor Hunger heimlich mitten in der Nacht. In halbkaputten Geschäften konnte man Kochtöpfe kaufen, die aus alten Stahlhelmen hergestellt worden waren. Der Diebstahl nahm stark zu. Erst konnten sie sich Maschinen ausleihen, um ihre Felder zu bestellen. Dann wurde die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) gegründet. Durch unbezahlbar hohe Steuern wurden die Menschen genötigt, die Eigenwirtschaft aufzugeben und stattdessen der LPG beizutreten. „Uns ging es langsam wieder besser. Mit 21 Jahren habe ich meinen Klaus geheiratet. Unsere Eltern waren tot, und wir haben uns allein durchgewurschtelt. Als selbstständige Bauern ohne Maschinen hätten wir sicherlich schlechter gelebt als mit der LPG.“

Die Soldaten waren aus dem Krieg heimgekehrt, und trotz harter Arbeit und wenig Essen begannen die Menschen wieder zu feiern. „Es fand sich immer mal einer, der Zerrwanst oder Klavier spielen konnte, und so haben wir uns das Tanzen selbst beigebracht.“ Sie unternahmen Ausflüge zusammen, meist in einem uralten Bus, den sie den Berg hochschieben mussten, weil er es aus eigener Kraft nicht mehr schaffte. „Das waren unsere schönsten Fahrten.“ Christa Beyer strahlt über das ganze Gesicht und rutscht unruhig auf ihrem Stuhl herum, weil sie noch so viel davon erzählen könnte. „Der Krieg war vorüber, und wir waren glücklich über Kleinigkeiten. Manchmal hatten wir auch eine Blaskapelle angeheuert. Richtig spielen konnten sie nicht, aber dafür laut und lange.“ Die Mädchen schneiderten sich ihre Kleider selbst und zogen sich mit abgebrannten Streichhölzern den Lidstrich und die Augenbrauen nach. Sie fasst es kurz und knapp zusammen: „Wir haben aus Scheiße Bonbon gemacht.“ Und nachts sind sie Arm und Arm in die Dörfer zurückgegangen und haben Wanderlieder gesungen, froh, wieder zusammen zu sein.

Ja, das waren Zeiten. „Der Zusammenhalt auf den Dörfern war enorm, als wir praktisch nichts hatten. Und heute, wo sie alles kriegen, schlagen sich die Leute die Köpfe ein.“