ASANA-PRAXIS

Sequenz zum Weltyogatag 2018

Am 21. Juni war Weltyogatag. Geeta Iyengar, die Tochter von BKS Iyengar, hat für diesen Anlass eine Sequenz vorgeschlagen, die ich hiermit als Anregung für die eigene Praxis wiedergeben möchte. Ich habe sie am Weltyogatag mit meinen Schülern nicht geübt, weil sie mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war. Aber das holen wir nächste Woche nach.

  • Einstimmung im Sitzen
  • Tadasana / aufrecht stehen wie ein Berg
    • Namaskarasana / Hände in Gebetshaltung vor die Brust
    • Urdhva Hastasana / Arme nach oben strecken
  • Uttanasana / Vorbeuge
  • Adho Mukha Svanasana / Herabschauender Hund
  • Urdhva Mukha Svanasana / Heraufschauender Hund
  • Uttanasana / Vorbeuge
  • Tadasana / Berghaltung
  • Trikonasana / Dreieck
  • Parsvakonasana / Seitlicher Winkel
  • Virabhadrasana I / Krieger I
  • Parivrtta Trikonasana / Gedrehtes Dreieck
  • Parsvottanasana / Vorbeuge über vorderes gestrecktes Bein
  • Prasarita Padottanasana / Gegrätschte Vorbeuge
  • Dandasana / aufrecht sitzen wie ein Stock
  • Janu Sirsasana / Vorbeuge im Sitzen über gestrecktes Bein, anderes Bein abgewinkelt
  • Adho Mukha Upavistha Konasana / Vorbeuge in der sitzenden Grätsche
  • Virasana mit Parvatasana-Armen / im Heldensitz Finger verschränken + Handflächen nach oben strecken
  • Swastikasana mit Parvatasana-Armen / im Schneidersitz Finger verschränken + Handflächen nach oben
  • Parsva Dandasana / aufrecht sitzen + Oberkörper zur Seite drehen
  • Bharadvajasana I / Drehhaltung im Sitzen mit gebeugten Beinen: Füße liegen auf einer Seite neben Po, Drehung zur anderen Seite
  • Marichyasana III / Drehhaltung im Sitzen: 1 Bein gestreckt, anderer Fuß aufgestellt, Drehung Richtung gebeugtes Bein
  • Urdhva Mukha Svanasana / Heraufschauender Hund
  • Dhanurasana / Bogen: Rückbeuge aus der Bauchlage, Fußgelenke greifen
  • Ustrasana / Kamel: im Kniestand Hände zu den Fersen
  • Adho Mukha Svanasana / Herabschauender Hund
  • Sirsasana / Kopfstand
  • Sarvangasana / Schulterstand
  • Halasana / Pflug
  • Chatuspadasana / Schulterbrücke, Fußgelenke greifen
  • Setu Bandha Sarvangasana / Schulterbrücke, Rücken oder Kreuzbein stützen, Beine gestreckt
  • Savasana / Endentspannung

 

Eure Nici

WAS YOGA KANN

Die Relevanz der Körperhaltung

Stell Dich hin. Schließ die Füße. Hebe und spreize die Zehen und leg sie lang wieder ab. Verteile das Gewicht ganz gleichmäßig auf Deinen Füßen. Sauge Deine Kniescheiben ans Gelenk. Bring die Oberschenkel zurück. Länge das Steißbein nach unten. Zieh die Schultern nach hinten unten. Strecke die Arme bis in die Fingerspitzen.

Das ist Tadasana. Die Berghaltung. Eine der wichtigsten Haltungen überhaupt: Fest und aufrecht stehen wie ein Berg. Es ist eine Ausgangsstellung, um gut ausgerichtet in alle Stehpositionen zu kommen. Und es ist die Körperhaltung, die uns geistig und körperlich gesund hält. Besonders in Zeiten, in denen uns das Smartphone ständig in einen Rundrücken mit vorgeschobenem Kopf zieht.

Die schlechte Nachricht ist: Eine schlechte Körperhaltung wird mit zunehmendem Alter schlimmer, weil sich Knochen und Muskeln im Laufe der Jahre der Haltung anpassen. Die gute Nachricht ist: Das liegt in unseren Händen. Wir können meistens Einfluss darauf nehmen, es gar nicht erst soweit kommen lassen oder die negative Entwicklung zumindest aufhalten.

Die Muskeln

Wir unterscheiden zwischen tonischer und phasischer Muskulatur mit unterschiedlichen Funktionen. Lasst uns mal ausprobieren, wie uns die Muskeln in eine schlechte Haltung ziehen können, indem wir diese – kurz – Schritt für Schritt einnehmen:

Zunächst die tonischen Muskeln. Sie halten uns aufrecht. Sie sind kräftig, neigen aber zur Verkürzung:

  • Eine verkürzte Nacken- und Schultermuskulatur zieht die Schultern nach oben und führt zu Nackenverspannungen und Kopfschmerzen.
  • Verkürzte Brustmuskeln ziehen die Schultern zudem nach vorn und runden den Rücken.
  • Verkürzte Rückenstrecker im Lendenwirbelbereich und ein verkürzter Iliopsoas (Lenden-Darmbeinmuskel) kippen das Becken vor in ein sogenanntes Hohlkreuz.

Die phasischen Muskeln sind unsere Bewegungsmuskeln. Sie neigen dazu schwächer zu werden, wenn wir sie vernachlässigen:

  • Der große Gesäßmuskel ermöglicht unter anderem die Streckung im Hüftgelenk und damit den aufrechten Gang. Er trägt außerdem wesentlich dazu bei, dass wir aus dem Sitzen aufstehen können. Bei Tieren, die sich auf vier Beinen durchs Leben bewegen, ist der große Gesäßmuskel nicht so wichtig und auch nicht so ausgeprägt. Aber wir Zweibeiner brauchen ihn schon. Probiert mal aufzustehen, ohne den Po anzuspannen. Was also, wenn die Gesäßmuskeln nicht mehr richtig arbeiten?
  • Die Rückenmuskulatur im Brustwirbelbereich: Wenn sie abschwächt, bekommen wir einen Rundrücken. Insbesondere in Kombination mit verkürzten Brustmuskeln.
  • Auch die Bauchmuskulatur neigt dazu abzuschwächen. Zusammen mit dem eingefallenen Brustkorb kann so die Spannung in der Bauchdecke nicht mehr gehalten werden – der Bauch hängt.

Um dem entgegenzuwirken, sollten wir also die tonischen Muskeln regelmäßig dehnen und die phasischen Muskeln kräftigen.

Die Knochen

Knochen verstärken sich, wenn sie arg beansprucht werden. Eine Schutzfunktion, damit sie nicht kaputt gehen. Aber bei einem Rundrücken hat das eine verheerende Wirkung auf die Wirbelsäule.

Unser Kopf wiegt zwischen vier und sechs Kilo. Wenn wir aufrecht stehen, müssen unsere Wirbelsäule und die Halsmuskeln den Kopf eigentlich nur balancieren. Probiert es wieder aus: Wird der Kopf vorgeschoben, müssen die Halsmuskeln das ganze Gewicht tragen. Die vorderen Halsmuskeln (phasisch) werden mit der Zeit schwach und überdehnt. Die hinteren Halsmuskeln (tonisch) verspannen sich und verkürzen. Das führt zu einer Fehlbelastung der Halswirbelsäule. Um das auszugleichen und den Kopf auf Dauer überhaupt halten zu können, werden die Brustwirbel immer dicker. Der Rundrücken wird so noch runder… Ein Teufelskreis.

Die Psyche

Kummer, Angst und Leistungsdruck verstärken das Problem. Denn bei Stress oder einer Bedrohung ziehen wir automatisch die Schultern hoch und den Kopf in den Nacken und verkrampfen den Rücken. Eine Schutzfunktion, um unseren sensiblen Hals und die Organe im Bauch- und Brustbereich vor feindlichen Angriffen zu bewahren. Dabei ziehen sich die Brust- und Nackenmuskeln tonisch zusammen. Verspannungen und Rückenschmerzen sind vorprogrammiert.

Die größten Risikofaktoren bei der Entstehung von Rückenschmerzen sind Überbelastung und mangelnde Anerkennung am Arbeitsplatz. Stress und ein damit verbundener ungesunder Lebensstil sollen bei bis zu 80 Prozent aller Krankheiten ursächlich oder zumindest beteiligt sein.

Die Psyche wirkt sich also auf die Körperhaltung aus – und umgekehrt. Denn ein eingesunkener Brustkorb zieht uns nachweislich auch mental runter. Wenn wir müde werden oder gestresst sind, verfallen wir in eine Schonhaltung. Die macht uns nur noch müder, motivationslos, dumpf, vielleicht sogar depressiv. Aber das funkioniert zum Glück auch andersherum: Wenn wir uns in solchen Situationen aufrappeln und aufrichten, die Schultern nach hinten unten ziehen und den Brustkorb heben, hellt sich auch unsere Stimmung auf. Wir tanken neue Energie und bekommen wieder einen klaren Kopf. Je aufrechter wir von Haus aus sind, desto leichter wird uns das fallen.

Die Atmung

Ein eingesunkener Brustkorb bewirkt eine flache Atmung. Wirklich tief atmen wir normalerweise nur während einer physischen Anstrengung, weil die Muskeln dann Sauerstoff brauchen. Bei geistiger Arbeit im Sitzen wird von den Muskeln nicht so viel Sauerstoff gebraucht und der Atem fließt flacher. Aber dadurch ermüdet auch das Gehirn.

Mit der richtigen Körperhaltung können wir auch wieder besser atmen. Eine bewusste, tiefe Atmung beruhigt das Nervensystem, wir fühlen uns weniger gestresst und bekommen dann wahrscheinlich auch unsere Aufgabe besser gebacken.

Yoga ist die Antwort

Durch eine regelmäßige Asanapraxis können wir verkürzte (tonische) Muskeln dehnen und phasiche Muskeln auf eine intelligente Weise stärken, ohne dabei die Flexibilität wieder zu verlieren:

  • Stehhaltungen richten uns auf und kräftigen den ganzen Körper
  • Vorwärtsbeugen dehnen die Beinrückseiten und die Strecker im unteren Rücken
  • Rückbeugen dehnen die vordere und kräftigen die rückwärtige Brustmuskulatur und öffnen den Brustkorb,…

Yoga setzt zudem körpereigene Substanzen im Gehirn frei, die stimmungsaufhellend wirken. Der Spiegel von Stresshormonen wie Cortisol im Blut wird nachweislich gesenkt. Pranayama schafft auch im Alltag eine bewusstere Atmung. Meditation beruhigt und erhöht die Konzentration. Außerdem diszipliniert Yoga und zieht oft einen gesünderen Lebensstil nach sich.

Es muss nicht jeder Yoga üben. Aber schränkt Euch nicht selbst in Eurer Freiheit ein. Richtet Euch auf und bleibt gesund.

Eure Nici

UNSERE LEHRER

Zu Gast: Dhanya Daniela Meggers

Dhanya saß an einem Mittwochmorgen vor sieben Jahren beim Frauenarzt im Wartezimmer und blätterte in einer der Illustrierten, die dort herumlagen. Dabei stieß sie auf ein kleines Bild, auf dem vier oder fünf Frauen über Kopf in bunten Tüchern hingen. Sie war sofort angefixt. „Ich liebe Umkehrhaltungen! Kopfstand, Handstand, Unterarmstand – mach ich alles gern. Und ich wollte schon immer mal kopfüber hängen.“ Hängen kann man sonst nur in den Seilen beim Iyengar Yoga, aber dieser Yogastil war Dhanya zu streng. Die Tücher dagegen wirkten spielerisch. Das Foto vermittelte Leichtigkeit und Schwerelosigkeit. Genau, was sie wollte. Weil sie in dem Moment zum Arzt gerufen wurde, riss sie heimlich das Bild aus der Zeitschrift, wie sie heute etwas verschämt einräumt.

Dhanya und das Tuch – Liebe auf den ersten Blick

So fing alles an. Inzwischen hat Dhanya ein Ausbildungsinstitut und reist das ganze Jahr durch Deutschland, in die Schweiz und nach Sri Lanka, um selbst Aerial Yogalehrer aus- und fortzubilden. Einmal im Jahr kommt sie dafür auch ins YogaKraftwerk.

Auf nach Amerika

2011 gab es noch keine Aerial Ausbildung in Deutschland, das hat Dhanya gleich nach dem Arztbesuch recherchiert. Aerial Yoga ist in den USA entwickelt worden, und zum damaligen Zeitpunkt konnte man auch nur in Amerika eine entsprechende Ausbildung absolvieren. Dhanya bestürmte deshalb ihren Mann: „Ich muss nach New York!“ Seine Begeisterung war etwas verhaltener und er bestand darauf, dass sie wenigstens eine Stunde im Tuch ausprobiert haben sollte, bevor sie nach Ameria fliegt. Und so fuhr Dhanya am Montag drauf von Hamburg nach Berlin zu einem Fitnessstudio, das Aerial Yoga schon im Programm hatte. Nach den 60 Minuten im Tuch war klar: Es geht nach New York.

Nachdem alles Organisatorische für die Reise geregelt war, bekam sie doch etwas Angst vor der eigenen Courage: „Ich allein in New York mit meinem Schulenglisch….“ Noch dazu ein Aerial-Anfänger zwischen lauter Amerikanerinnen, die regelmäßig durchs Tuch turnen…

Die Ausbildung wurde tatsächlich tränenreich, aber aus anderen Gründen. „Ich war total geflashed, was man mit dem Tuch alles machen kann. Und ich habe auch viel geweint. Vor Rührung, weil es einfach so unglaublich schön war.“

Yoga ist kein Sport

Trotzdem hat ihr etwas gefehlt. Der yogische Gedanke. Die Aerial Ausbildung war reine Körperarbeit. Keine Atemübungen, keine Meditation, keine Mantren. Es war Sport, kein Yoga. Das wollte Dhanya ändern.

Morgenmeditation beim Aerial Yoga Teacher Training auf der Terrasse vom YogaKraftwerk

Das Teacher Training im Tuch ist eine ergänzende Ausbildung. Es setzt eine Yogalehrer-Ausbildung voraus. Als Dhanya in New York den Umgang mit dem Tuch lernte, war sie schon seit fast zehn Jahren Yogalehrerin. Die gelernte Schneiderin hatte 2002 in Südindien eine Sivananda Ausbildung absolviert und bald darauf die ersten Kurse gegeben. „Ich habe zunächst bei einer Freundin im Wohnzimmer unterrichtet. Für 3 Mark pro Teilnehmer! – Die Freundin konnte umsonst mitmachen“, ergänzt sie lachend. Wenig später hat sie sich auf Anraten ihres Mannes einen Raum gemietet und ihre Schülerzahlen wuchsen. Yoga nahm einen immer größeren Platz in ihrem Leben ein. Auch heute unterrichtet sie noch klassisches Sivananda Yoga. Dabei werden fünf Prinzipien vermittelt, um geistig und körperlich gesünder zu werden: Neben den Körperübungen zählen zum Sivananda Yoga die richtige Atmung, die richtige (vegetarische) Ernährung, die richtige Entspannung sowie positives Denken und die Meditation. Diese Prinzipien sind bei Dhanya in Fleisch und Blut übergegangen. Sie lebt Yoga. Auch bei der Arbeit mit dem Tuch.

Wochen des Zweifels

Mit 40 hat sich Dhanya eine sechswöchige Panchakarma-Reinigungskur im Ashram der berühmten Amma in Indien gegönnt.* Dhanya hat die Kur nicht wegen körperlicher Beschwerden in Angriff genommen. „Es ging mir eher um ein geistiges Reinigen. Darum, Altes loszulassen.“ Und weil Dhanya keine halben Sachen macht, hat sie sich vor Ort dafür auch von ihren langen Haaren getrennt und sich eine Glatze scheren lassen. „Das war ein irres Gefühl. Der Kopf wurde ganz heiß.“ Dhanya machte in dieser Zeit echte Entgiftungsprozesse durch und stellte im Zuge dessen ihr ganzes Leben in Frage. „Ich hatte zum ersten Mal nichts zu tun und Langeweile. Viel Zeit zum Nachdenken. Da kommt einiges hoch. Ich fand plötzlich alles Scheiße. Mein Leben war Scheiße. Yoga war Scheiße… Ich war zwischenzeitlich ganz schön deprimiert.“ Aber in der letzten Woche standen Stirngüsse auf dem Plan. Und einer davon war ein ganz besonderes Erlebnis und hat Dhanya mit ihrem Leben völlig ausgesöhnt: Eine Stunde lang tropfte Öl zwischen die Augenbrauen und sie wurde dabei immer entspannter. Dhanya konnte endlich loslassen.

„Nach der Kur holte mich mein Mann dort ab. Ich war inzwischen in einem ganz anderen Film und fand mich total schön mit meiner Glatze. Mein Mann meinte nüchtern, ich sähe aus wie nach einer Chemotherapie… Ich hatte mich verändert. Wir haben eine ganze Woche gebraucht, um wieder zueinander zu finden.“

Dhanya im Wunderland

Aerial Yoga und die Gründung ihres eigenen DANA® Aerial Yoga Ausbildungsinstituts erfüllen Dhanya heute voll und ganz. Sie arbeitet mehr denn je, ist die Hälfte des Jahres auf Reisen, entwickelt neue Fortbildungsseminare, arbeitet an ihrem zweiten Aerial Yoga Buch, schneidert Meditationskissen und Yogakleidung. Ihr Mann Mathias hält ihr den Rücken frei. Die beiden haben einen gemeinsamen Traum, den sie sich nun erfüllen werden. Sie haben ein Grundstück in Bellin, Mecklenburg Vorpommern, gekauft. „Mitten im Niemandsland“, um mehr im Einklang mit der Natur zu leben.

Aerial Yoga im Belliner Niemandsland

Dort soll ein Yogazentrum entstehen, ein kleiner Ashram. Mathias ist gerade dabei, seinen Beruf aufzugeben, um in den nächsten vier, fünf Jahren zu bauen. Bereits heute finden dort im Sommer Aerial und Sivananda Seminare statt. Später soll es ganzjährig betrieben werden. „Ich fühle mich dort wie Alice im Wunderland“, meint Dhanya. „Es ist alles so unwirklich schön.“

Eure Nici

*Amma ist ein Thema für sich, hier nur die Kurzform: Amma reist durch die Welt, um Menschen fest in den Arm zu nehmen. Ich habe sie in München mal selbst erlebt und mich von ihr umarmen lassen. Sie hat eine faszinierende Ausstrahlung. Erwachsene Männer liegen laut schluchzend in ihren Armen…

LEBENSGESCHICHTEN

Licht und Liebe

Die Beschreibung von Utes Lebensentwurf ist ausdrücklich keine Empfehlung zur Nachahmung. Es ist ein Porträt über eine interessante Frau, die unkonventionelle Wege geht, um ihren Körper zur Ruhe zu bringen und schmerz- und beschwerdefrei zu werden. Ein langer Prozess, der schon vor Jahrzehnten begonnen und sich seither in vielen Aus- und Fortbildungen und behutsamen Experimenten entwickelt hat. Es geht Ute dabei um die eigene Gesundheit. Sie will nicht bekehren, drängt niemandem ihren Lebensentwurf auf. Sie erzählt mir ihre Geschichte, weil ich sie danach frage. Sie ist dabei auffallend zurückhaltend. Zum einen will sie zu nichts animieren, das gefährlich werden könnte. Zum anderen ist ihr bewusst, dass sie manch einer als esoterische Spinnerin abtun wird. Denn: Ute macht schon zum wiederholten Male eine Lichtnahrungskur.

Ute ist eine der Teilnehmerinnen der Aerial Yogalehrer Ausbildung von Dhanya Daniela Meggers, die zur Zeit im YogaKraftwerk stattfindet. Ich nahm am ersten Tag an der Vorstellungsrunde teil, in der alle erzählten, wie sie zum Yoga gekommen sind. Dabei ist mir die große, ruhige Frau besonders aufgefallen. „Es begann mit einem Traum. Ich habe geträumt, dass ich Yogalehrerin werden soll.“ Ute saß ganz ausgewogen im Lotussitz und erzählte davon, wie Yoga dazu beigetragen hat, die körperlichen Probleme zu reduzieren.

Yoga für mehr Körperspannung

Ute ist hyperflexibel. Erst durch Yoga erlernte sie eine Grundspannung, mit der sie ihren Körper zusammenhält. „Wer überbeweglich ist, kommt zwar in jede Haltung leicht hinein, aber ohne Körperspannung reißt es einen dann einfach auseinander. Durch die Yogapraxis kann ich jetzt mit meinem Körper ganz anders umgehen. Das zu erfahren war wichtig und auch sehr erleichternd für mich.“

Das bessere Körpergefühl bewirkt auch, dass Ute weniger stürzt. Sie hat schon viele Unfälle in ihrem Leben gehabt und sich dabei teils heftige Verletzungen zugezogen. Sie ist gefallen, hat sich verbrannt, die Kniescheibe gebrochen,… „Ich bin ein Ersatzteillager“, sagt sie nüchtern. Eine Schraube im Finger, eine Kreuzbandplastik im Kniegelenk,… Sie wurde 2007 von dem Sturmtief Kyrill mit ihrem Fahrrad hochgehoben und durch die Luft gewirbelt. Das gab ihrem Knie den Rest und setzte Ute für Monate außer Gefecht. Ich sehe die Narben, und trotzdem hat Ute ihre Beine in den Lotus verschlungen. Sie bekam ihr Knie in den Griff. Und nicht nur das.

Fasten gegen Krebs

Die Psychologin hatte als Kind schon Rheuma und musste heftige Medikamente dagegen nehmen. Das wollte sie als Erwachsene nicht mehr. Selbst bei der großen Knie-OP bestand sie auf einer Spinalanästhesie und schaute bei der Operation zu. „Ich konnte auf den Geräten sehen, wie mein Blutdruck hoch und runter geht, und habe ihn mit meiner Atmung selbst reguliert“, sagt sie schmunzelnd. Das beeindruckte sogar den skeptischen Anästhesisten.

Borreliose, wandernde Gelenkentzündungen, Unterleibskrebs – Ute blieb wenig erspart. Aber sie fand einen entscheidenden Weg für sich, ihren Körper zu besänftigen: über die Ernährung. Dem Krebs ist sie mit der Schattentherapie von Rüdiger Dahlke und der zugehörigen dreiwöchigen Fastenkur entgegengetreten. Sie hat heute keinen Krebs mehr. Das ist kein Plädoyer für alternative Heilmethoden, aber für sie hat es funktioniert.

Die allmähliche Umstellung der Ernährung begann mit einem Schlüsselerlebnis, wie die heute 52-Jährige erzählt: 1993 ist vor ihrem Haus ein Kälbertransport umgekippt und die armen Viecher lagen wild durch- und übereinander gequetscht im Laster herum und kämpften um ihr Leben. Ute informierte sich daraufhin über die Bedingungen bei der Viehzucht und entschied, Vegetarierin zu werden. Dabei stieß sie auf viel Unverständnis und regelrechte Anfeindung. Zum Teil von Leuten, die heute selbst vegetarisch leben. Erst als sie – nach ihrem Traum – die Yogalehrer Ausbildung bei Yoga Vidya begann, traf sie endlich auf Gleichgesinnte. Ein Osteopath sagte ihr später, die vegetarische Ernährung sei die beste Entscheidung gegen die rheumatischen Schmerzen gewesen. Später ist sie noch einen Schritt weiter gegangen und hat auf vegane Ernährung umgestellt. Ihre körperlichen Probleme wurde immer weniger.

Ein umstrittenes Experiment

„2007 bin ich schließlich auf die Lichtnahrung gestoßen. Ich wollte es ausprobieren, um mein Knie zu heilen.“ Lichtnahrung ist eine äußerst umstrittene esoterische Fastenmethode nach Ellen Greve, einer Australierin, die sich Jasmuheen nannte. Die Kur dauert 21 Tage. In den ersten sieben Tagen wird dabei weder gegessen noch getrunken. Ab dem achten Tag werden langsam wieder Wasser und Säfte zugeführt. Mehr nicht. Nach den drei Wochen kann man entscheiden, ob man wieder zu normaler Nahrung übergeht oder dabei bleibt. Es heißt allgemein, dass der Mensch drei bis vier Tage ohne Trinken und bis zu 60 Tage ohne feste Nahrung überleben kann. Bei dem Versuch, sich ausschließlich von Prana (feinstofflicher Energie, unter anderem Licht) zu ernähren, sind schon Menschen gestorben.

Das Buch von Jasmuheen allein hätte Ute noch nicht überzeugt, aber sie las auch den Erfahrungsbericht des Chemikers Michael Werner über Lichtnahrung. „Der Ton des nüchternen Naturwissenschaftlers hat mich schon eher dazu bewogen, es auszuprobieren.“ Ute zog sich für drei Wochen allein an die Ostsee zurück. „Mir war klar, dass ich sofort wieder was trinken würde, wenn ich mich dabei zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr wohlfühlen würde.“ Aber es ging ihr gut. „Erst habe ich etwas Gewicht verloren. Das hat sich dann eingependelt und schließlich habe ich mich richtig fit gefühlt.“ So fit, dass sie eigentlich auch nach den drei Wochen dabei bleiben wollte. Aber dann holte sie der Alltag wieder ein. „Als ich wieder anfing zu arbeiten, hat es für mich nicht mehr funktioniert und ich habe wieder gegessen. So ist es bei der Kur geblieben, die mir sehr gut getan hat. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass man Aussagen wie ‚Nach drei Tagen ohne Trinken stirbt man‘ auch hinterfragen kann.“ Aber das ist ihre Erfahrung. Ute hat ihren Körper jahrzehntelang erforscht und ich habe bei ihr das Gefühl, dass sie weiß, was sie tut. Sie experimentiert für ihr Wohlbefinden, aber sie ist nicht leichtsinnig.

Die Grenzen des Lichtes

Kurz vor der Aerial Yogalehrer Ausbildung hat sie wieder eine Lichtnahrungskur begonnen und die ersten Tage hier auch tatsächlich nur Wasser getrunken. Wenn die anderen in der Mittagspause auf der Terrasse aßen, hat sie sich auf ihrer Matte in der Sonne ausgebreitet. „Guten Appetit!“, rief ihr Dhanya dann amüsiert zu. Am fünften Tag der Ausbildung hat Wasser nicht mehr gereicht. Es geht an die körperliche Substanz, den ganzen Tag durchs Tuch zu fliegen. Dabei oft kopfüber und in Rückbeugen. (Ich weiß, wie das ist. Ich war damals bei meiner Ausbildung die ganze Zeit wie unter Drogen.) Deshalb hat sich Ute in der Mittagspause Erdbeeren und drei Spargelstangen gekauft. Immerhin.

Ute (rechts) nimmt am diesjährigen Aerial Yoga Teacher Training von Dhanya Daniela Meggers teil

Was sagt ihre Familie dazu? „Wir waren schon immer etwas anders“, meint sie lächelnd. Ihr Mann Andreas, lange Zeit Mitglied der recht bekannten Folk-Band „Das blaue Einhorn“, schnappte sich beispielsweise nach 25 Jahren Ehe seine Bouzuki und ist ohne Geld und Handy auf Wanderschaft gegangen. Er ist aus dem Gartentor marschiert, „rechts zur Elbe und dann nach Süden“. Auf 1600 km hat er Osteuropa zu Fuß durchquert und kam nach einem halben Jahr wieder zurück. Eine Grenzerfahrung, die er in dem Buch „Hans im Glück oder die Erlaufung des Südens“ festgehalten hat. Nach seiner Rückkehr ging Ute weg: für ein ganzes Jahr nach Bad Meinberg zu Yoga Vidya. Ihre Auszeiten führten zunächst dazu, dass sich bei den beiden Harmoniemenschen auch ein paar Reibungspunkte herauskristallisierten, was sie später nur noch enger zusammen gebracht hat. „Wir hatten schon immer eine glückliche Ehe, aber nach diesen Reisen haben wir uns noch mal ganz neu kennengelernt. Wir haben mehr Verständnis für die Eigenheiten des anderen entwickelt.“

Weitere Facetten

Ute und Andreas haben eine sehr enge Verbindung zu ihren zwei Kinder und inzwischen sechs Enkeln. „Von ihnen hab ich ganz viel gelernt“, sagt Ute. „Kinder können einem so viel vermitteln, wenn man aufmerksam ist: Dass Leben auch Spaß machen darf. Dass man nicht immer nur funktionieren muss. Dass man sich nur richtig freuen kann, wenn man diese Freude auch mit anderen teilen kann. Miteinander statt gegeneinander.“ Ihre „Leidensgeschichte“ hat sie zwar sehr geprägt, ist aber nur eine Facette der Frau, die seit mehr als zwei Jahren Sommer wie Winter barfuß läuft. Um mehr zu spüren, bewusster zu gehen, sich zu erden. Ihre Intention ist die Gemeinschaft. Ute und ihr Mann geben Gemeinschaftsbildungsseminare nach Scott Peck. Dabei geht es darum, Gruppen zusammenzuführen und zu unterstützen, die in einer Gemeinschaft zusammenleben wollen. Damit das funktioniert, müssen sie miteinander kommunizieren können.

Das Ehepaar will demnächst selbst mit mehreren Generationen unter einem Dach leben. Dabei wird nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Musik eine große Rolle spielen. Denn Ute und Andreas machen heute oft gemeinsam Musik, treten zusammen mit ihren „Liebesliedern“ auf. Gern auf sogenannten Wohnzimmerkonzerten. „Gleich nach der Aerial Ausbildung stehen die nächsten beiden an“, sagt Ute und ihre Augen leuchten dabei. Sie wirkt kerngesund – und voller Lebensfreude.

Eure Nici