YOGA-REISE

5 Wochen Indien – Guruji

Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr am Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute (RIMYI) in Pune. BKS Iyengar wäre am 14. Dezember 100 Jahre alt geworden. Die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten laufen schon seit Monaten. Es wird ein Film zusammengeschnitten, für den Yogalehrer aus der ganzen Welt ihre Erinnerungen an Guruji teilen. Schon jetzt wird aller paar Wochen ein Theaterstück aufgeführt, das seinen Lebensweg darstellt, produziert von seinem Sohn Prashant… Im Dezember werde ich längst nicht mehr in Pune sein, aber ich habe vor ein paar Tagen miterleben können, wie Iyengars 4. Todestag begangen wurde. Und das hat mich sehr berührt:

An diesem Tag fallen die Abendkurse am RIMYI aus. Stattdessen haben wir uns alle hübsch gemacht und in der großen Yogahalle versammelt, um BKS Iyengar zu gedenken. Es werden 5 Personen auf das Podest gebeten, die aus dem Nähkästchen plaudern und von ihrer Zeit mit Guruji erzählen sollen – und damit jeweils ein Jahrzehnt mit ihm repräsentieren.

Die älteste von ihnen, Navaz Kamdin, lernte Iyengar in den 60er Jahren kennen, weil ihr Vater Rückenprobleme hatte und ihm Yoga empfohlen wurde. Iyengars Yoga. Er nahm seine Töchter mit. Navaz’ Augen strahlen, wenn sie an die Zeit zurückdenkt, als die Klassen noch ganz klein waren. Das Verhältnis zur Familie Iyengar war eng und herzlich. Das Institut mit den tollen Übungsräumen gab es damals noch nicht. Ebensowenig wie die vielen Hilfsmittel, die heute ganz selbstverständlich die Asanapraxis unterstützen. „Wir hatten ein paar Decken, mehr nicht“, berichtet Navaz. Sie schwärmt von Iyengars Präsenz, seiner Ausstrahlung und seinem großen Talent als Lehrer. Alle, die ihm noch persönlich begegnet sind, stimmen ihr leidenschaftlich zu.

„Er hat zum Beispiel eine Yogaklasse unterrichtet und gleichzeitig im Hintergrund die körperlichen Beschwerden einer älteren Frau gelindert“, erinnert sich Birjoo Mehta, der die 70er Jahre repräsentiert. „Guruji hat uns angeleitet, gleichzeitig demonstriert und uns alle mit schnellen, präzisen Griffen in die jeweilige Haltung gebracht. Es war eine intensive und konzentrierte Praxis, bei der wir nur immer mal durch das laute Stöhnen der Frau im Hintergrund abgelenkt wurden. Er war ein begnadeter Lehrer.“ Schüler mit gesundheitlichen Problemen lagen ihm immer besonders am Herzen. Er hat noch mit über 90 seine berühmte Medical Class selbst unterrichtet. Denn er wusste ganz genau, was Yoga kann. Er hat es am eigenen Leib erlebt:

Bellur Krishnamachar Sundararaja Iyengar wurde 1918 im südindischen Bellur mitten in eine Grippe-Epidemie hineingeboren. Er war ein sehr kränkliches Kind unter vielen Geschwistern, erlitt unter anderem Malaria, Typhus und Tuberkulose. Seine Familie gehört den Brahmanen an, der höchsten Kaste, die der Gelehrten und Priester. Aber die Iyengars waren verarmt. Der Vater starb früh.

Mit 16 Jahren kam BKS Iyengar in die Obhut seines Schwagers Krishnamacharya, der später als „Vater des modernen Yoga“ in die Geschichte einging. Krishnamacharya unterrichtete zu dieser Zeit in Mysore am Palast des Maharadscha. Er war ein sehr kluger, aber auch strenger Lehrer. Iyengar hat unter seinen Fittichen einiges erleiden müssen, aber es ging ihm durch die Asanapraxis gesundheitlich bald sehr viel besser. Es gibt Videos von 1938, die Iyengar und Krishnamacharya beim Üben zeigen. Nach der harten Lehrzeit bei seinem Schwager, ging Iyengar auf dessen Anraten als Yogalehrer nach Pune.

Krishnamacharya mag den Samen gesetzt haben, aber Iyengars immenses Wissen über Ausrichtung und Wirkung der Asanas stammt in erster Linie aus seinem intensiven Selbststudium. Sein Körper war sein Labor. In jahrzehntelanger täglicher stundenlanger Übungspraxis hat er experimentiert, in sich hinein gespürt, korrigiert, beobachtet.

„Er hat jeden Tag selbst geübt“, erzählt Zubin Zarthoshtimanesh, der auf der Feier am Todestag aus den 80er Jahren berichten soll und Iyengar oft auf Conventions in aller Welt begleitet hat. „Auch wenn es abends spät wurde, ist er um 4.30 Uhr aufgestanden, hat seinen Kaffee getrunken und dann selbst praktiziert, bevor er die anderen unterrichtet hat. Er hat sich selbst nie als Guru oder Lehrer gesehen, sondern immer als Übenden.“ Iyengars Vorbild war ansteckend für seine Schüler und Assistenten. „Wir sind auf den Conventions auch so früh aufgestanden, um zu üben, weil wir ihm in nichts nachstehen wollten“, ergänzt Birjoo, der selbst oft genug dabei war. „Es ging immer mit Pranayama (den Atemtechniken) los. Einmal habe ich sehr lange Pranayama geübt, im Liegen in Savasana. Etwa eineinhalb Stunden…“ Birjoo grinst verschämt. Er ist offenbar dabei eingeschlafen. „Als ich dann endlich fertig war und aufgestanden bin, hat mich Guruji zu sich gerufen. Er wollte etwas demonstrieren und ich sollte dafür ad hoc in Pincha Mayurasana (den Unterarmstand) kommen. Ich gehöre nicht gerade zu den Flexibelsten, aber Guruji hat plötzlich meine Füße genommen und sie mir auf den Kopf gestellt. Das war das erste und das letzte Mal, dass ich in Vrschikasana (den Skorpion) gekommen bin. Er hat uns Sachen machen lassen, die wir selbst nie für möglich gehalten hätten. Und er wusste immer genau, wie er uns dabei greifen muss, damit wir uns nicht verletzen.“ Wieder nickt der ganze Saal oder wackelt mit dem Kopf, die zustimmende Geste der Inder.

 

Er hat in vielen Schülern das Selbstvertrauen aufgebaut und gestärkt. Er hat Mut in der Yogapraxis vermittelt, der einen auch aufrechter durchs Leben gehen lässt. Raya Uma Datta, der jüngste der 5 Repräsentanten, erinnert sich lachend, wie Guruji die Klasse in 2 Reihen aufgeteilt und im freien Kopfstand gegenüberstellt hat, so dass die Schüler mit dem Gesicht zueinander aufgebaut waren. „Dann ist er mit einem verschmitzten Grinsen durch die Reihen stolziert und hat plötzlich nach links und rechts ausgeholt und uns alle nach hinten umgestoßen, so dass wir völlig überraschend umgekippt und in Dwi Pada Viparita Dandasana gelandet sind. Es hat einen mächtigen Knall gegeben, als wir mit den Füßen aufschlugen, aber es hat sich niemand verletzt. Er wusste genau, was er tat. Er wollte uns die Angst nehmen, im Kopfstand umzufallen.“ Alle lachen im Saal, knuffen sich gegenseitig in die Rippen und tuscheln: „Typisch Iyengar…“, „Weißt Du noch, das hat er mit uns auch gemacht…“ Iyengar wusste, dass wir uns meist selbst ausbremsen, weil wir uns zu wenig zutrauen.

Er fand zielsicher immer den richtigen Muskel oder Knochen, der bewegt werden musste, um besser und tiefer in eine Haltung zu kommen. Seine Hilfestellungen waren nie missverständlich. Ihm wurde – im Gegensatz zu einigen anderen Yogagrößen – nie nachgesagt, dass er eine Schülerin unsittlich berührt haben soll. Es gibt keine Skandale im Leben von BKS Iyengar, obwohl er sicher die Gelegenheit gehabt hätte. Guruji soll mal gesagt haben, er sei froh über seine buschigen Augenbrauen, die hielten die Frauen auf Abstand. Er wurde mit Mitte 20 mit der 16-jährigen Ramamani verheiratet. Es war eine arrangierte, aber dennoch glückliche Ehe, aus der 6 Kinder hervorgingen. 1973 starb Ramamani mit nur 46 Jahren. Das Yoga-Institut, das 2 Jahre später eröffnet wurde, ist nach ihr benannt.

Manchmal stehen den Erzählenden und auch Iyengars Tochter Geeta, die neben dem Podest sitzt, die Tränen in den Augen bei der Erinnerung. Auch mir schnürt sich immer mal die Kehle zusammen, wenn ich höre, mit wieviel Liebe sie von Guruji erzählen. Er hat sein Leben dem Yoga gewidmet, ihn erforscht und weiterentwickelt und sehr zu seiner weltweiten Verbreitung beigetragen. Iyengar Yoga wird heute in mehr als 70 Ländern von etwa 2 Millionen Menschen praktiziert. Iyengars Sohn Prashant ermahnt uns, dass auch wir den Yoga ernsthaft studieren sollen, um Iyengar Yoga wahrhaftig zu üben. Anderenfalls seien wir nur Iyengar Yoga Followers.

Niemand maßt sich an, sich mit Guruji zu vergleichen. Wir würden ja doch daran scheitern, wie Rayas Geschichte zeigt: Der 39-jährige kam als Kind ins RIMYI und ist heute selbst ein großartiger Lehrer am Institut. „Ihr wisst, dass ich manchmal ein bisschen zur Arroganz neige“, meint er kokett. „Und so habe ich mir eines Tages vorgenommen, mal genauso intensiv zu üben wie Guruji. Genauso lang in jeder Haltung drin zu bleiben wie er.“ Iyengar übte an diesem Tag zuerst Dwi Pada Viparita Dandasana, mit dem Kopf am Boden und den Ellbogen in der Wand. Raya übte das Gleiche über dem Stuhl.

Auch intensiv, aber gestützt. Iyengar blieb 5 Minuten, 10 Minuten, 15 Minuten, 20 Minuten,… ohne sich zu rühren. Raya wollte mithalten. Irgendwann spürte er seine Arme nicht mehr. Schließlich kam Iyengar doch aus der Haltung. Raya triumphierte, weil er eine Minute länger ausgeharrt hatte. Aber nur kurz. Denn während Raya sich anschließend kaum noch bewegen konnte, sah der wesentlich ältere Iyengar erfrischt und rosig aus, wie das blühende Leben. Raya wirkte total verzweifelt – und Iyengar ging lachend an ihm vorbei aus dem Übungssaal. – Raya war zunächst enttäuscht, auch noch ausgelacht zu werden. Doch als er Iyengar später zufällig in der Bibliothek antraf, schenkte ihm dieser sein Buch „The Art of Yoga“. Mit einer Widmung. Raya wiederholt diese Widmung mehrfach und legt uns nahe, sie uns aufzuschreiben und immer wieder zu lesen, als ob sie auch uns persönlich gelten würde:

„Yoga is a difficult art to master, but not impossible. With love – BKS Iyengar“

„Schreibt es auf! ‚With love‘! Merkt es Euch!“, insistiert Raya. Und das hab ich auch gemacht.

Eure Nici

YOGA-REISE

5 Wochen Indien – das freie Üben

Samstags steht die große Übungshalle im Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute in Pune erst ab 16 Uhr für die eigene Yogapraxis zur Verfügung. Nach der langen Mittagspause ist es um diese Zeit noch recht ruhig im Gebäude und auf dem Gelände drumherum. Neben dem normalen Straßenlärm sind nur der Regen und ein Windspiel zu hören, das uns oft beim Üben begleitet.

Die ersten Yogalehrer, die für diesen Monat aus der ganzen Welt zusammengekommen sind, um mit und bei den Iyengars zu praktizieren und von ihnen zu lernen, tröpfeln in die Halle. Noch ist viel Platz. Sie streifen sich die langen Hosen oder Röcke ab. Die kurze Yogahose darunter kommt zum Vorschein. Wenn die überflüssige Kleidung und die Taschen auf den dafür vorgesehenen Gittern über uns verstaut sind, schnappen sie sich eine Matte und ein paar Hilfsmittel, suchen sich einen Platz in der Mitte der Halle oder bei den Wänden mit den Seilen und beginnen.

Es ist ein stilles Üben. Ich mag diese konzentrierte Stimmung, die den Raum erfüllt, sehr. Es ist ein ganz anderes Üben als zu Hause, wo ich meist ein Auge aufs Telefon habe oder wo der Paketbote plötzlich in der Tür stehen kann. Hier geht es nur um das gemeinsame eigene Praktizieren. Normalerweise bin ich mittendrin, heute sitze ich im Hintergrund in Upavistha Konasana auf dem Boden, gegen Holzbänke gelehnt, die als Hilfsmittel dienen, und mit einem Hocker vor mir zwischen den Beinen, auf dem das Tablet steht. Beobachte und beschreibe.

Der Raum liegt in einem angenehmen Halbdunkel. Manche beginnen ihre Praxis mit ein paar Minuten in Stille, die Augen zu, die Hände vor der Brust geschlossen. Ein Ritual, um die Konzentration auf das Üben zu richten und alles andere für diese Zeit außen vor zu lassen. Andere legen sich direkt in eine regenerative Haltung, routiniert unterstützt von diversen Decken und Bolstern. Es sieht total entspannt aus, aber ich weiß, dass auch sie ihre Zeit hier nutzen, um an ihren Defiziten zu arbeiten. Wer also für viele Minuten in Supta Baddha Konasana oder Supta Virasana ruht, möchte sehr wahrscheinlich seine Hüftöffnung verbessern bzw. die Dehnung der Oberschenkel-Vorderseiten und der Leisten. Wieder andere starten direkt mit einer intensiven, dynamischen Praxis.

Der Raum wird immer voller und jeder macht etwas anderes. Vor mir lehnt eine Polin mit dem Hintern an der Wand in einer kopfgestützten Vorbeuge. Daneben streckt ihre neue Freundin Arme und Beine im Herabschauenden Hund. Ein paar Meter entfernt liegt eine Chinesin in einer intensiven Rückbeuge über einem Stuhl. Schon seit mindestens 5 Minuten. Und neben ihr presst sich ein sehr tätowierter Yogi in ein hohes Rad. Ich glaub, das übt er gern. Ich seh ihn jedenfalls oft in anstrengenden Rückbeugen. Eine Inderin übt Drehhaltungen. Mein Lehrer und Ausbilder Michael Forbes aus München ist auch da. Er liegt gerade mit Beinen und Po auf dem Podest, während die Unterarme und die Schädelkrone in der Kopfstandhaltung am Boden ruhen. Eine ältere Frau hängt kopfüber in einem der Seile, die frei von der Decke baumeln. An der Wand übt eine Slowenin Handstand. Sie übt das Hochkommen, nicht das Obenbleiben. Mal mit dem rechten Bein, mal mit dem linken Bein. Hoch, runter, hoch, runter, rechts, links, links, rechts,…

Gesprochen wird kaum – höchstens leise, um sich gegenseitig in eine schwierigere Haltung zu helfen oder mit Hilfsmitteln zu beschweren, wenn es allein nicht möglich ist. Zu hören ist nur das Verschieben von Stühlen oder Hockern auf dem harten Boden. Oder das hemmungslose Stöhnen, wenn sich jemand in eine intensive Haltung drückt. Besonders laut ist dabei Abhijata Iyengar, Gurujis Enkelin, die oft mit uns in der freien Praxis für sich übt. Manchmal erinnern die Geräusche eher an Kreißsaal oder Swingerclub – genau wie die vielen verdrehten, gebogenen, durcheinander liegenden Leiber. Aber nur kurz…

16.45 Uhr. Für die Nachzügler ist es inzwischen schwer, einen Platz mit genug Raum für die Haltungen zu finden, die sie sich vorgenommen haben. Zum Teil liegt Matte an Matte. Es kann durchaus passieren, dass sich beim Üben plötzlich ein fremder Fuß von oben oder von der Seite vor die Nase schiebt. Überall liegen Decken, Bolster, Matten und Gurte.

Wenn ich zu Hause übe, habe ich oft fertige Sequenzen (aus „Licht auf Yoga“, meine Prüfungssequenzen, Inspirationen von anderen Lehrern, meine Übungsabfolge für den Unterricht der folgenden Woche,…) neben mir liegen. Hier übe ich anders. Ich überlege mir vor jeder Praxiseinheit 2 bis 3 Haltungen, die ich verbessern möchte und die ganz gut zusammenpassen, und arbeite dann mit vielen vorbereitenden Haltungen darauf hin. Spontan. Der Ablauf ergibt sich ganz organisch. Ich muss gar nicht darüber nachdenken, was ich als nächstes mache. Das ist eine tolle Erfahrung.

Es ist spannend, die anderen bei ihrer Asana-Praxis zu beobachten. Manche üben immer das Gleiche, um ihre „Problemzonen“, ihre Steifheit in bestimmten Bereichen, zu bearbeiten. Oder um eines ihrer Zimperlein selbst zu kurieren. Andere üben sehr fortgeschritten für den nächsthöheren Level. Viele wiederholen in der Zeit, die für die eigene Praxis zur Verfügung steht, interessante Abfolgen aus dem vorangegangenen Yogaunterricht. Zu recht. Ich habe bei diesen hochqualifizierten Lehrern hier am Institut schon einige Klassen mitmachen dürfen, die sich mir regelrecht ins Gedächtnis gebrannt haben, weil sie so besonders und intensiv waren. Und auch scheiße-anstrengend.

So unterschiedlich beim freien Üben auch praktiziert wird, die letzte halbe Stunde ist bei fast allen gleich oder zumindest sehr ähnlich: Genau wie im Unterricht wird gegen Ende der Praxis meist ein langer Kopfstand – mit oder ohne diversen Beinvariationen – und anschließend ein langer Schulterstand – ebenfalls mit oder ohne Variationen in der Haltung, mit 2 bis 3 Decken oder einem Bolster unter den Schultern, über dem Stuhl oder frei im Raum – geübt. Und fast alle ruhen am Ende noch ein paar Minuten in Savasana.

Ich habe heute nur zugeschaut, aber ich weiß, wie es den anderen jetzt geht: Nach 2 Stunden eigener Praxis fühle ich mich anders als nach dem Besuch einer angeleiteten Yogastunde. Oft mit einer größeren inneren Ruhe, die noch eine ganze Weile anhält. Das ist schön.

Eure Nici

YOGA-REISE

5 Wochen Indien – der Ayurveda-Arzt

Meinen Heuschnupfen hab ich dank regelmäßiger Nasenspülung im Griff. Und seit ich Pranayama, die Atemtechniken, übe, hatte ich keinen schweren Asthmaanfall mehr. Das Einzige, das mir immer wieder Probleme bereitet, ist meine Haut. Sie reagiert auf Druck – egal ob durch Stress oder physisch. Wenn ich mich selbst zu sehr unter Druck setze oder bei der Yogapraxis ein Körperteil sehr lange auf ein anderes drückt (z.B. in Padmasana, dem Lotussitz, die Füße auf die Oberschenkel), dann wird meine Haut anschließend stellenweise rot und geschwollen und juckt auch noch fürchterlich. Eine Form von Urtikaria, der Nesselsucht. Ich sehe nach einer intensiven Übungsstunde oft aus wie ein geprügelter Hund. Über Stunden. Manchmal könnte ich mir die Haut vom Leib kratzen – bis der Schmerz größer ist als der Juckreiz.

Vor ein paar Jahren habe ich in einer solchen Phase angefangen, mich mit dem Ayurveda zu beschäftigen. Ich habe herausgefunden, welcher Typ ich bin, und meine Ernährung entsprechend umgestellt, um alles zu reduzieren oder zu meiden, das die Hautirritationen noch befeuert, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe etwa 2 Jahre lang weder Kaffee noch Alkohol getrunken, scharfe und rote Lebensmittel gemieden, dafür mehr grünes, bitteres, besänftigenderes Essen zu mir genommen. Und das hat geholfen. Besser als jedes Medikament. Es erfordert aber viel Disziplin, und da es mir wieder gut ging, haben sich mit der Zeit auch wieder alte Essgewohnheiten eingeschlichen. Ich habe bis jetzt noch nicht die Disziplin von damals aufbringen können. Aber ich weiß immerhin, dass mir der uralte Erfahrungsschatz des Ayurveda helfen kann. Der Wissenschaft des Lebens / der Gesundheit, wie die Übersetzung heißt. Genau wie der Yoga hat der Ayurveda seine Wurzeln in Indien.

Ich war schon ein paar Mal in Deutschland bei dem einen oder anderen (deutschen) Ayurveda-Arzt. Die Besuche fand ich immer sehr spannend und inspirierend. Indien ist die perfekte Gelegenheit, einen einheimischen Arzt vor Ort aufzusuchen. Meine Mitbewohnerin Moni hat auch schon eine Empfehlung: Dr. Neelesh Taware. Er hat seine Praxis in der Happy Colony in Pune. Happy Colony – das klingt doch schon mal gut.

20 Minuten dauert die Fahrt mit der Rikscha. Auch wenn die Auto-, Motorrad- und Rikschafahrer unentwegt hupen und ohne jede Vorfahrtsregel und fast ohne Ampeln manchmal so eng neben-, vor- und hintereinander fahren, dass kein Blatt mehr dazwischenpasst, haben die meisten von ihnen total entspannte Gesichtszüge oder lächeln sogar. Es sieht in der Happy Colony genauso staubig und angerostet aus wie überall, aber auch hier gibt es ausgesprochen freundliche und hilfsbereite Menschen, die uns bei der Suche nach dem richtigen Haus helfen wollen und dafür alles stehen und liegen lassen. Sie bringen Farbe, Gelassenheit und Lebensfreude in die triste Umgebung.

Neeleshs kleine Praxis befindet sich am Ende von einem kleinen Hof. Ein alter Mann kehrt das Laub auf dem Hof von einem Eck ins andere. (In Indien wird eigentlich ständig gefegt, aber ich habe nicht den Eindruck, dass der Dreck dadurch weniger wird.) Vor dem Haus stehen ein paar Schuhe. Gleich hinter der Haustür befindet sich der winzige Warteraum mit einer Bank und dahinter die kleine Praxis mit dem Schreibtisch und einer Liege. Die Tür zur Praxis ist offen. Neelesh hat noch einen Patienten, deshalb warten wir draußen, um ein bisschen Diskretion zu wahren.

Neelesh spricht sehr gut Deutsch und Englisch. Er ist oft in Deutschland und hält dort Seminare. Seine Stimme und sein Gesicht wirken noch sehr jung, aber er ist schon völlig ergraut. Wir duzen uns. Moni hat einen Massagetermin bei ihm, danach bin ich dran mit der Anamnese.

Wir reden eigentlich bloß. Weil sein Computer seit dem letzten Update nicht mehr funktioniert, sind alle Notizen handschriftlich. Neelesh will ganz genau meinen typischen Tagesablauf wissen: Wann steh ich auf? Wann frühstücke ich? Was esse ich dann? Wie oft aufs Klo? Sieht der Stuhlgang aus wie eine sehr reife, braune Banane? – Äh… Zwischendurch fühlt er lange meinen Puls und betastet meinen Bauch. Man könnte meinen, Yogalehrer leben besonders gesund. Aber meine Doshas (die Bioenergien Vata, Pitta, Kapha) sind offenbar gestört. WEIL ich Yogalehrerin bin.

Das erste Problem sind die seltsamen Arbeitszeiten in unserer Branche: Morgens und vom Nachmittag bis in den späten Abend. Ich gebe normalerweise von 9 – 10.30 Uhr einen Kurs, danach übe ich selbst und gegen 12 Uhr „frühstücke“ ich. Dann erledige ich Büroarbeit, bereite Kurse vor, putze oder nehme Termine wahr. Zwischen 15 und 17 Uhr esse ich wieder was. Die Zeit ist abhängig vom Beginn der Abendkurse, denn mit vollem Bauch kann ich nicht unterrichten. Die Kurse gehen bis 21.45 Uhr. Buchhaltung, aufräumen,… – 1 Stunde später bin ich zu Hause. Und habe Heißhunger. Gehe dann vollgefressen oder viel zu spät ins Bett. Beides nicht gut.

Neelesh meint, die Zeit zwischen den Mahlzeiten am Abend ist viel zu lang. Nach der Ayurvedischen Lehre wandern dadurch die Enzyme, die eigentlich in den Verdauungsorganen arbeiten sollten, ins Blut und lösen Störungen aus. Außerdem schlafe ich mit 5 – 6 Stunden zu wenig. Jajaja, ich weiß…

Laut Neelesh regeneriert die Haut zwischen 1 und 3 Uhr morgens im Schlaf. Dazu braucht sie Nährstoffe aus dem Essen, das ich 4 bis 6 Stunden vorher zu mir genommen haben sollte. Und ich sollte zu diesem Zeitpunkt möglichst schon 3 Stunden schlafen. 8 Stunden Schlaf sollten mein Ziel sein. Das heißt idealerweise: 19 Uhr essen, 22 Uhr ins Bett. Dann erholt sich meine Haut und ich kann 6 Uhr morgens frisch und munter wieder aufstehen. Utopisch. Dazu brauche ich einen anderen Job. Neelesh weiß das und hilft mir mit ein paar Kompromissen: 1/2 Stunde früher ins Bett als gewöhnlich, 1/2 Stunde später aufstehen wären ein Anfang. Trockenobst zwischen den Abendkursen, um die lange Phase ohne Essen am Abend zu reduzieren und damit auch den nächtlichen Heißhungerattacken entgegenzuwirken. Reis, Gemüse oder Suppen vorbereiten, um nachts nicht so ungesund zu essen.

Besonders schlimm findet er, dass ich beim Essen meist lese oder weiterarbeite. Beim Essen soll man sich aufs Essen konzentrieren. Deshalb wird ja auch vor dem Essen gebetet. Ich soll beten? Und wenn ich an nichts glaube? „Beten ist doch meditieren“, belehrt er mich. „Meditiere oder übe ein bisschen Pranayama vor der EssensPAUSE.“ Okay…

Ich bekomme auch ein paar Tipps zu den Lebensmitteln selbst. Die Empfehlungen sind nicht allgemeingültig, sondern entsprechen meiner aktuellen Konstitution.

Das soll ich meiden oder reduzieren:

  • tierisches Eiweiß (wenn Käse, dann lieber Frischkäsesorten)
  • Beeren
  • Zitrusfrüchte (Zitronen und Grapefruit wirken übrigens im Körper basisch und sind daher erlaubt)
  • Nüsse (Waaaas??), besonders Erdnüsse
  • Bananen
  • Chilli
  • Salz (lieber Steinsalz verwenden)

 

Das wird mir neben den bereits erwähnten Lebensmitteln empfohlen:

  • morgens einen Teelöffel Panchatikta Ghrita (Kräuter-Ghee) und anschließend heißes Wasser
  • Müsli vorher einweichen oder kochen und Zimt, Kardamom und gerne auch Ingwer hinzufügen
  • 1 Teelöffel Kurkuma / Tag, das verbessert die Leberfunktion und damit auch das Hautbild
  • Brot immer mit Salat oder warmen Gemüse kombinieren
  • lieber Espresso mit Wasser statt Filterkaffee
  • so viel Tee aus Sariva-Pulver, wie ich mag
  • Äpfel, Birnen, Papayas, alle Melonensorten, Granatäpfel

 

Nach dem Essen soll ich mindestens 1/2 Stunde nichts trinken.

Neelesh hat noch mehr Tipps auf Lager:

  • Zur Nasenspülung:
    • 5 ml Mandelöl in das Salzwasser geben. Wirkt vorbeugend gegen Heuschnupfen.
  • Zum Pranayama:
    • Wechselatmung üben. Wirkt ausgleichend bei Problemen durch einen unregelmäßigen Arbeitsalltag.
  • Zur Asana-Praxis:
    • Umkehrhaltungen üben. – Okay. Mach ich eh gern.
    • Viel Bauch- und Drehhaltungen. Meine Konstitution braucht vor allem Haltungen, bei denen Druck auf den Bauch ausgeübt wird. Am besten Mayurasana (Hilfe, die Haltung hab ich bis jetzt möglichst vermieden…)iyengar.jpg

Meine Arbeit ist Neelesh zufolge aber noch in einer ganz anderen Hinsicht problematisch: Wir Yogalehrer reden meist, wenn wir eine Haltung vorzeigen. Wenn wir unseren Brustkorb in der Übung öffnen und weiten, wie es meist der Fall ist, und gleichzeitig ausatmen, weil wir sprechen, ist das für den Körper sehr irritierend. (Wer es genau wissen möchte: Aus ayurvedischer Sicht werden dadurch Prana- und Udana-Vayu gestört.) Ich habe mir beim Unterrichten schon häufiger einen Nerv eingeklemmt im Nacken- oder Schulterblatt-Bereich. Neelesh ist überzeugt davon, dass das Reden beim Vorzeigen die Ursache dafür ist.

Eine Alternative wäre, einen Schüler die Haltung demonstrieren zu lassen und an ihm zu erklären, statt selbst vorzuführen, schlägt Neelesh vor. Hm. Kann man immer mal machen, seh ich aber nicht als Dauerlösung. Ich weiß noch nicht, wie ich im Unterricht damit umgehen werde. Zumindest ist mir das Problem jetzt mal bewusst.

Wir reden über eine Stunde. Der Besuch kostet mich 35 Euro. Neelesh ist nicht dogmatisch, sondern versucht vor allem pragmatische Empfehlungen zu geben. „Wie sagt man in Deutsch? Mein Lehrer würde umdrehen Grab“, sagt er am Ende und strahlt mich an.

Jetzt ist es an mir, seine vielen Tipps auch umzusetzen.

Eine kurze und prägnante Einführung zum Thema Ayurveda erhaltet Ihr übrigens unter http://www.ayurvedatrends.com/. Dort findet Ihr auch ein E-Book, dass Ihr Euch kostenlos herunterladen könnt.

Eure Nici

YOGA-REISE

5 Wochen Indien – meine Packliste

Meine zweite Indien-Reise und damit der erste Besuch am Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute (RIMYI) in Pune steht an. Das Institut der Familie Iyengar ist ein Pilgerort für Iyengar Yogalehrer aus der ganzen Welt. Ich habe mich vor zwei Jahren dafür angemeldet, man bleibt üblicherweise einen ganzen Monat.

Pune ist eine Millionenstadt im Westen Indiens. Im August herrscht Regenzeit, was ich als Asthmatikerin eher angenehm finde. Ich fliege mit Moni, einer befreundeten Yogalehrerin, ab  München über Abu Dhabi nach Pune. Wir haben von einer dort ansässigen Schottin eine Privatwohnung in der Nähe des Instituts gemietet. Es gibt WLAN und eine Waschmaschine. Und wir konnten eine einheimische Köchin engagieren, die uns mit indischem Essen verwöhnt. Darauf freue ich mich besonders.

Hier kommen meine Reisevorbereitungen und die Packliste. Vielleicht profitiert noch jemand davon. Ich werde jedenfalls bei einer nächsten Reise sicher froh darüber sein, dass ich nachschlagen kann. Denn nach Pune fliegt man als Iyengar Yogi meist nicht nur einmal…

Termine vor Reiseantritt:

  • Zahnarzt
  • Lungenarzt wegen Asthma
  • Hausarzt wegen Impfungen (Typhus, Hepatitis, Auffrischung Tetanus + Diphterie)
  • Frisör
  • Pediküre

Papiere / Unterlagen:

  • Flugticket
  • Visum
  • Geldbeutel, Bargeld, Kreditkarte, Blocker-Card
  • Reisepass
  • Impfausweis
  • Allergiepass
  • Krankenversichertenkarte
  • Auslandskrankenversicherung
  • Reiseführer (war überflüssig, Bobby Clennells „Pune Guide“ reicht für Iyengar Yogis völlig)
  • Adresse, Kontakt, Wegbeschreibung Unterkunft
  • Notizbuch,3 Stifte
  • Buch

Reiseapotheke:

  • Pille (nehme ausnahmsweise durch, habe schlechte Erfahrung mit öffentlichen indischen Toiletten)
  • Schmerzmittel
  • Grapefruitkernextrakt ab 1 Woche vorher, soll Magen-Darm-Geschichten vorbeugen helfen
  • Magen-Darm-Mittel
  • Malaria-Tabletten, just in case
  • Mittel zur Heilung von Mückenstichen
  • Fettcreme wegen Hautallergien
  • Asthma-Präventions- und Notfall-Spray
  • Pflaster
  • Desinfektionsmittel (nicht benutzt)

 

Hygiene:

  • Reinigungstücher zum Abschminken, Gesichtspads, -wasser, -waschcreme
  • Reise-Nasenspülkännchen + Salz (kaum benutzt, umständlich wegen des Wassers)
  • Zahnbürste, Zahnpasta, Zahnseide, Zungenschaber
  • Ohrenstäbchen
  • Ladyshaver
  • Bimsstein
  • Handcreme, Fußcreme, kleine Bodylotion (überflüssig durch hohe Luftfeuchtigkeit)
  • Deo, Parfüm in Probefläschchen (Parfüm überflüssig)
  • Haarwäsche, Haarspray, Haargel, Kamm
  • Lippenpflege
  • Nagelschere, 2 Nagelfeilen, Nagel-Polierer, Nagelhaut-Entferner (Creme)
  • Pinzette
  • Mückenschutz
  • Sonnencreme (war im August überflüssig durch Regenzeit)
  • Reise-Waschmittel (nicht benutzt)
  • Taschentücher

Kosmetik:

  • Puder
  • Abdeckstift
  • Rouge
  • Wimpernzange
  • Wimperntusche
  • Eyeliner
  • Augenbrauenstift
  • Spitzer

 

Kleidung:

  • 5 kurze Yogahosen (obwohl man sonst in Indien eigentlich kein Knie zeigt, wollen die Iyengars sehen, ob die Kniescheiben auch hochgezogen sind, daher sind am Institut – wie überall auf der Welt – kurze Hosen beim Iyengar Yoga üblich)
  • 2 Yoga-Leggings
  • 13 T-Shirts für Yoga und Alltag (Schultern sollten bedeckt sein)
  • 3 Longshirts
  • 7 Hosen, lang (wegen Mücken und Anstand) + leicht (wegen Wetter)
  • 5 Tanktops, lang (nicht benutzt)
  • 5 Tanktops, kurz (nur zum Ausgehen, nicht zum Üben)
  • 4 dünne Strickjacken, um die Tanktop-Schultern zu bedecken
  • 3 leichte Pullis
  • 1 großes, leichtes Tuch
  • 1 kurzer Schlafanzug
  • 1 Schlafbrille (falls ich nachts eine Mücke höre – um zu verhindern, dass sie mich aufs Augenlid sticht + entstellt…)
  • 1 Bikini (überflüssig)
  • 10 Unterhosen, 5 Yoga-BHs
  • 5 Paar Socken (2 Paar reichen)
  • Gummistiefel, Crocs, Sandalen (Sandalen nicht benutzt wegen Dreck, nur Gummischuhe getragen)
  • 3 Haarbänder
  • 1 Kette, 3 Armbänder, 2 Ringe, 1 Fußkettchen, 1 Paar Ohrringe (immer 2 Fußkettchen tragen oder keins)
  • 2 Brillen, 1 Sonnenbrille, Brillenputztücher (Sonnenbrille überflüssig)
  • Bauchtasche (nicht benutzt)
  • Schirm
  • Platz im Koffer lassen für Shopping (insbesondere kurze Yogahosen, T-Shirts, Tücher, Bücher vom RIMYI,…)

 

Technische Ausrüstung:

  • Handy, Ladekabel, kurzer Kabeladapter, Kopfhörer
  • Tablet, Tastatur, Ladekabel, Hülle
  • Trackinguhr, Ladekabel
  • 2 Steckdosenadapter (haben in der Wohnung nicht gepasst und waren zudem überflüssig)

 

Hab ich was vergessen?

Eure Nici